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Gertrud Schädla

Tillmann Bendikowski28. März 2014

Zwischen Kriegsbegeisterung und Skepsis: Wie haben die Deutschen den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erlebt? Wir zeigen deutsche Schicksale 1914. Diese Woche: Gertrud Schädla

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Gertrud Schädla
Ein einziges Foto ist von Gertrud Schädla erhalten.Bild: Stadtarchiv Verden an der Aller

Gertrud Schädla ist das, was man einen guten Christenmenschen nennt: Aufgewachsen in einem evangelischen Pfarrhaus, besucht die 27-jährige Lehrerin regelmäßig den Gottesdienst und hört auf das, was die Pfarrer sagen. Auch im Sommer 1914, als der Krieg beginnt und viele Menschen in die Kirchen strömen. Daheim im Städtchen Verden in der Nähe von Bremen genießt Schädla diese feierlichen Momente Anfang August: Der Pfarrer lässt die anwesenden Soldaten auf den Stufen des Altars niederknien: "Seid ihr auch bereit, euer Leben hinzugeben für die Brüder?" Mit Gottes Segen zu den Waffen.

Dass es sich beim lieben Gott genau genommen um den "Gott der Deutschen" handelt, steht für Gertrud Schädla außer Frage. Für sie sind Thron und Altar – der Kaiser und die protestantische Kirche – feste Säulen ihres Lebens. Wenn der Kaiser sagt, Deutschland sei am Kriegsausbruch unschuldig, dann ist das für sie unzweifelhaft wahr. Und sie glaubt an die göttliche Vorsehung: "Nun hat uns der freundliche Gott wieder geholfen", notiert sie nach dem Sieg über die russischen Armee in Tannenberg im August 1914 in ihr Tagebuch. Und: "Auch die Engländer, die treulosen Verräter, wird Gott noch in unsere Hände geben!"

Als Volksschullehrerin darf Gertrud Schädla nicht heiraten – so konzentriert sich ihre familiäre Zuwendung auf die Mutter und ihre zwei jüngeren Brüder Gottfried und Ludwig. Sie leisten gerade ihren Militärdienst ab und werden bei Kriegsausbruch sofort an die Westfront geschickt, wo die Kämpfe in den ersten Wochen besonders verlustreich sind. "Es ist ein Bereitsein zum Tode nötig", notiert Gertrud Schädla, als ihre Brüder losmarschieren. Bruder Gottfried sieht hingegen – wie andere Männer auch – niedergeschlagen seinem Kriegsdienst entgegen. Mutter und Schwester ermutigen ihn deshalb, doch bitte mit Gottes Hilfe seine Ängste zu überwinden und notfalls "voll Freuden" das junge Leben fürs Vaterland zu geben.

Für die heimatliche Kriegsbegeisterung zahlen die jungen Männer an der Front den Preis. Auch Ludwig und Gottfried Schädla. Sie fallen bereits im September und Oktober 1914. Sie werden auf den Schlachtfelder Frankreichs gar nicht oder nur provisorisch beigesetzt, die Familie erhält eine kurze Nachricht und später einige persönliche Habseligkeiten. "Tot, Du bist bitter! Womit sollen wir uns trösten?", fragt Gertrud Schädla ihren Gott. Für die Toten kommt das Entsetzen der Heimat zu spät – und das Sterben an der Front wird noch vier lange Jahre andauern.