"Welle des Terrorismus"
18. November 2014DW: Ihr "Institute for Economics and Peace" (IEP) misst die Terroraktivität weltweit. Was sind die Hauptergebnisse des neuen "Global Terrorism Index"?
Steve Killelea: Sowohl Intensität als auch Breite des Terrorismus haben zwischen 2012 und 2013 erheblich zugenommen. Die Zahl der Todesopfer ist um 61 Prozent auf fast 18.000 gestiegen. Zudem ist die Zahl der Länder mit mehr als 15 Terroropfern um 60 Prozent gestiegen - von 15 auf 24 Länder. Wenn wir noch etwas genauer hinschauen, stellen wir fest, dass 82 Prozent der Toten in fünf Ländern gezählt wurden: Irak, Afghanistan, Pakistan, Nigeria und Syrien. Für 66 Prozent der Toten sind vier Terrororganisationen verantwortlich: Der "Islamische Staat" (IS), Boko Haram, Al-Kaida und die Taliban.
Was sind die Hauptgründe für die Zunahme?
Zwischen 2007 und 2011 war die Zahl der Terroropfer um 20 Prozent zurückgegangen. Dann begann der Bürgerkrieg in Syrien und löste eine neue Welle des Terrorismus aus, die mit dem Erfolg des IS in Syrien ihren Anfang nahm und dann in den Irak hinüberschwappte.
Gibt es bestimmte Bedingungen, unter denen Terrorismus gedeiht?
Wir haben sehr viele statistische Analysen durchgeführt, um zu verstehen, was die sozioökonomischen Indikatoren sind, die mit Terrorismus in Verbindung stehen - und das Ergebnis war faszinierend. Die drei Schlüsselfaktoren, die mit Terrorismus korrelieren sind Staatsterror, also gezielte Tötungen und Folter; Gruppenkonflikte wie im Irak, wo sich die Sunniten benachteiligt fühlen und schließlich eine allgemeine Gesetzlosigkeit im jeweiligen Land. Armutsindikatoren wie Pro-Kopf-Einkommen oder Lebenserwartungen hatten dagegen keinen Einfluss.
Die meisten Anschläge finden in fragilen oder kriegsgeschüttelten Staaten statt. Wie ist die Situation in stabileren Ländern?
72 Prozent der Anschläge werden in Konfliktregionen begangen. Doch auch außerhalb dieser Länder finden wir Terrorismus. In Mexiko hat der Terror zugenommen. In der Türkei wurden 57 Menschenleben durch Anschläge ausgelöscht, 53 davon durch den IS. Es gibt Terrorismus in Ländern wie Indien, dort hauptsächlich in Zusammenhang mit kommunistischen und separatistischen Gruppen.
Wie zählen Sie die Terroropfer in Ländern wie Syrien, wo die Vereinten Nationen es sogar aufgegeben haben, die gesamten Opfer des Bürgerkrieges zu schätzen?
Wir benutzen die Datenbank der START-Gruppe der Universität von Maryland in den USA. Das ist die umfassendste Datenbank zu Terroraktivitäten weltweit. START wertet Zeitungsberichte aus: Ein Crawler durchsucht Artikel aus vielen Teilen der Welt. Im nächsten Schritt prüfen Mitarbeiter, ob die von der Suchmaschine automatisch herausgesuchten Artikel wirklich den Kriterien für Terroranschläge entsprechen. In einem Land wie Syrien ist es natürlich kaum möglich, jeden Terroranschlag akkurat zu zählen. In Syrien zählen wir vermutlich eher zu wenige als zu viele Anschläge.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde der so genannte Krieg gegen den Terror zu einer Priorität der USA und anderer westlicher Staaten. In dieser Zeit hat die Zahl der Terroropfer massiv zugenommen, von rund 4000 im Jahr 2002 auf fast 18.000 im vergangenen Jahr. Warum sind die Anti-Terror-Strategien gescheitert?
Im Fall von Afghanistan kann man nicht sagen, dass die militärische Antwort nicht angemessen gewesen wäre. Aber sie wurde nicht von vielen weiteren Initiativen zum Aufbau einer Zivilgesellschaft begleitet. Ein Beispiel dafür ist die außergewöhnlich korrupte Karsai-Regierung, die von vielen Gruppen in Afghanistan nicht unterstützt wurde und die für viele gezielte Tötungen und für Folter verantwortlich war. Um etwas aufzubauen, das wir Zivilgesellschaft nennen, braucht man viel mehr, als eine Militärintervention, um die Bösewichte zu töten. Es geht um Staatenbildung.
Was lässt sich gegen die Ausbreitung des Terrorismus tun?
Es gibt vier Dinge, die sich tun ließen. Zunächst ist da die Notwendigkeit, den Staatsterrorismus zu beschränken. Das zweite wäre der Versuch, sich den Gruppenkonflikten in verschiedenen Ländern so gut wie möglich zu widmen. Diese beiden Maßnahmen würden die Gründe entschärfen, aus denen sich Menschen Terrorgruppen anschließen. Den allgemeinen Grad der Gewalttätigkeit müsste durch effektivere und durch lokale Gemeinschaften unterstützte Polizeimaßnahmen angegangen werden. Keine dieser Maßnahmen lässt sich leicht durchführen. Schließlich ist es wichtig, moderate Ausprägungen des Islam zu unterstützen, um Terrorgruppen die moralische Rechtfertigung zu entziehen, dass sie für etwas Gutes kämpfen. Auch das ist nicht einfach - und es ist etwas, das aus den moderaten sunnitischen Ländern kommen muss.
Steve Killelea ist ein australischer Unternehmer, der im Jahr 2007 die Denkfabrik "Institute for Economics and Peace" (IEP) gründete. Das Institut erforscht insbesondere die Wechselbeziehungen zwischen Frieden und Wirtschaft.
Das Interview führte Dennis Stute.