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Verhandlungsstrategien im Griechenland-Poker

Richard A. Fuchs7. Juli 2015

Wieder wartet die EU auf den nächsten Sondergipfel. Wieder geht es darum, den Grexit abzuwenden. Doch noch immer scheint eine Lösung im Finanz-Drama fern. Was sagen Verhandlungs-Profis: Gibt es Erfolgsstrategien?

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Rot beleuchtete Anzeige mit der Aufschrift: Nicht öffentlich ! Foto: Fredrik von Erichsen/dpa
Bild: picture-alliance/dpa/F.v. Erichsen

Romain Kirt kennt sich mit Europas Krisen aus. Viele würden den Publizisten sogar als den wichtigsten europäischen Krisen-Experten bezeichnen. Er ist schließlich auch Herausgeber des Buchs "Die Europäische Union und ihre Krisen". Sein Fazit aus der Analyse zahlloser Krisengipfel auf EU-Ebene: "Die jeweils aktuelle Krise ist immer die größte". Dass sich Europa in diesen Tagen aber tatsächlich in einer Ausnahmesituation befindet, das würde auch Kirt nicht bestreiten. Das deutliche Nein der griechischen Bevölkerung zu den europäischen Sparvorschlägen hätte auch er nicht für möglich gehalten. Auf dieses Szenario sei die EU nicht vorbereitet gewesen. "Ich glaube, viele waren nicht nur vom Nein überrascht, sondern auch von der Prozentzahl des Neins".

Kirt: Referendum ist ein "Pyrrhussieg"

Dennoch hält Kirt das vom griechischen Ministerpräsidenten Tsipras gewonnene Referendum für einen "Pyrrhussieg". Der Grund: Jetzt stehe zwar die Mehrheit der Griechen hinter Tsipras. Er trage dafür nun aber auch die alleinige Verantwortung für Erfolg oder Scheitern der Gespräche - die am Sonntag vielleicht zu einem Ende kommen. "Er ist in einer Bringschuld, denn er muss jetzt eine Interpretation des Referendums machen und den Leuten in den Institutionen sagen, was der Ausgang im Endeffekt für ihn und seine Verhandlungsposition bedeutet", so Kirt. Die Euro-Finanzminister seien weiter zum Warten verdammt: "Stellen sie sich mal vor, nach diesem Ergebnis würde jetzt ein Vorschlag von der Eurogruppe kommen. Das würde in Griechenland doch als glatte Missachtung des Bürgervotums gewertet."

Wird hier wirklich miteinander gesprochen? Verhandlungsrunde von EU-Spitzenpersonal. Foto: dpa Bildpool
Rede-Kultur: Kanzlerin Merkel in einer Verhandlungsrunde mit EU-SpitzenpersonalBild: picture-alliance/dpa/E. Dunand

Kirt schätzt, dass insbesondere bis Sonntag das Wörtchen "Grexit" noch häufig zu hören sein wird. Als Drohkulisse. Vor allem für einen: "Ich denke, wenn Tsipras sich jetzt Gedanken darüber macht, was ein Grexit für sein Land bedeuten würde, dann glaube ich, dass er doch stark einlenken wird". Zudem habe eine Grundregel des europäischen Verhandlungs-Pokers weiterhin absolute Gültigkeit, so Kirt. Der Glaube nämlich, dass derjenige, der das Geld gebe, auch die Bedingungen bestimme. "Ich glaube, das ist eine sehr menschliche Reaktion, denn auch die Finanzminister und die Staats- und Regierungschefs haben Bevölkerungen hinter sich".

Verhandlungstrainer Robert Weibel bei der Arbeit Foto: Weibel/ CENAD
Verhandlungstrainer Robert Weibel bei der ArbeitBild: Weibel/CENAD

Weibel: "Öffentliche Verhandlungen sind weder schnell, noch effektiv"

Doch wie gelingt jetzt ein Deal? Robert J. Weibel schult seit 1986 Politiker und Diplomaten darin, eine Lösung sogar in Situationen zu finden, die zunächst unlösbar erscheinen. Das Spezialgebiet seines Brüsseler Unternehmens CENAD: Verhandlungen auf EU-Ebene. Besonders problematisch sei, so Weibel, dass die Verhandlungen zwischen Griechenland und der EU bisher vor den Augen der ganzen Welt abliefen. "Verhandlungen in aller Öffentlichkeit sind weder schnell, noch effektiv. Das versteht man, wenn man sich ein Schachspiel in einem Park vorstellt, wo sehr viele Leute vorbeikommen und sagen, wie der nächste Zug aussehen müsste."

Deshalb brauche es jetzt Vertrauen - und auch Vertraulichkeit, glaubt der Trainer. Beides sei in den vergangenen fünf Monaten glückloser Gespräche zu kurz gekommen. "Es braucht ein gutes neues Angebot von Seiten der Griechen, aber es braucht daneben auch die richtige Chemie zwischen den Verhandlungspartnern und ein gemeinsames Verständnis der EU-Verhandlungskultur."

Hier würde sich der aktuelle Streit zwischen Griechenland und der EU von allen anderen Vorgängerkrisen am deutlichsten unterscheiden, so Weibel. Griechenlands neue Regierung habe es bisher nicht verstanden, die über 50 Jahre eingeübten Spielregeln der EU-Diplomatie zu akzeptieren. "Hier geht es nicht darum, jemand niederzuringen und als Sieger rauszulaufen, sondern es geht darum, einen Kompromiss zu finden, mit dem am Ende wirklich alle Leben können." Also eine Paketlösung, die es allen Seiten erlaube, mit erhobenem Haupt den Verhandlungstisch zu verlassen.

Griechenlands Ex-Finanzminister Varoufakis im Motorradhelm. Foto: Daniel Ochoa de Olza, AP
Schwieriger Partner für Verhandlungen: Griechenlands Ex-Finanzminister VaroufakisBild: picture alliance/AP Photo/D. O. de Olza

Den Rücktritt des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis, der oft als purer Provokateur wahrgenommen wurde, sieht Weibel als wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer solchen Paketlösung. "Mit ihm wären Entscheidungen mit kühlem Kopf nicht mehr möglich gewesen." Jetzt komme es darauf an, dass nicht mehr Berater das Wort führten, sondern Politiker, die genau herausfinden, was sie in ihren jeweiligen Heimatländern gerade noch als Kompromiss verkaufen könnten. Für einen solchen Kompromiss bleibe wahrlich nicht mehr viel Zeit, so Weibel: "Wir sind im Endspiel."

Die EU als "erfolgreichste Krisengemeinschaft der Welt"

Das Ende Europas sieht Romain Kirt dennoch nicht gekommen. Er ordnet die aktuelle Griechenland-Krise als einen "Katharsis-Prozess" der europäischen Integration ein: "Es ist ab und zu mal gut, wenn so was passiert. Dann hinterfragen alle Seiten ihre Positionen und man erkennt auch Probleme, die man sonst nicht so erkannt hat". Die Europäische Union sei, zitiert Kirt einen deutschen Politikwissenschaftler, die vielleicht "erfolgreichste Krisengemeinschaft der Welt". Das gelte weiter, auch nach dem kommenden Sonntag, ist der Luxemburger überzeugt.