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Politik

Eine Schneiderin mit Vorbildfunktion

Jannis Papadimitriou
17. April 2020

In freiwilliger Arbeit näht die Albanerin Elona Agolli Mundschutz-Masken in der griechischen Stadt Grevena. Ein Vorbild für Bürgerengagement in Corona-Zeiten, lobt Griechenlands Staatspräsidentin.

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Griechenland Elona Agolli
Bild: Privat

Es begann mit einem überraschenden Anruf aus dem örtlichen Krankenhaus. Die Klinikleiterin erklärte, angesichts steigender Patientenzahlen brauche sie für die Ärzte und Pflegekräfte vor Ort dringend 600 Schutzmasken. Ob Frau Agolli Μasken aus Stoff nähen könne? Sie möge einfach einen Preis nennen und möglichst schnell mit der Herstellung beginnen.

Die Schneiderin aus Albanien zögerte keine Minute: "Ich mache mich gleich an die Arbeit, aber ich will kein Geld. Schließlich geht es hier um das Krankenhaus der Stadt, in der ich auch lebe", sagte sie am Telefon. Prompt wurden die Schutzmasken fertiggestellt und dankend angenommen.

Nun näht die emsige Schneiderin für die Polizei in Grevena und demnächst sogar für die Ordnungshüter in der zweitgrößten griechischen Stadt Thessaloniki. "Wenn ich nur genug Stoffe hätte, dann würde ich jeden Tag bis Mitternacht nähen", versichert sie. Und das freiwillig. Damit möglichst viele Menschen vor dem Virus geschützt werden.

Elona Agolli stammt aus der südalbanischen Stadt Korca und lebt seit nunmehr 21 Jahren in Grevena. Sie folgte dorthin ihrem Mann, der bereits mit 17 Jahren nach Griechenland gekommen war und sein Geld auf dem Bau verdiente. Bald konnte auch die junge Frau ihrem Beruf nachgehen - zunächst auf bescheidenen 17 Quadratmetern.

Elona Agolli
Elona AgolliBild: Privat

Nach einer kräftigen Mieterhöhung musste sie vor zwei Jahren umziehen und fand zum Glück einen viel größeren Geschäftsraum an der Evangelistrias Straße, im Herzen der Altstadt. Dadurch konnte sie den Betrieb sogar erweitern. "Im vorderen Ladenteil, zur Straße hin, biete ich Kleidungsstücke zum Verkauf an, und im hinteren Ladenteil läuft die Änderungsschneiderei weiter", freut sich die Mutter von zwei Kindern.

Eine Stadt im Dauerkrisenmodus

Schon vor der griechischen Schuldenkrise galt die Bergregion Grevena als eine der ärmsten in Hellas. Größter Arbeitgeber war früher ein Militärlager für bis zu 1.500 Wehrpflichtige und Berufssoldaten. Krisenbedingt fiel der Truppenstandort dem Sparstift zum Opfer. Dafür investiert die Region in den Winter- und Skitourismus, doch die milden Winter der letzten Jahre machten den Hoteliers einen Strich durch die Rechnung. Nun drohen weitere Einkommensverluste durch die Corona-Krise.

Gerade in der Osterzeit, sagt Elona Agolli, gab es früher einiges zu tun für eine Schneiderin, denn viele Menschen wollten ihre Kleidung auf Vordermann bringen, damit sie in die Kirche gehen oder die üblichen Familienbesuche abstatten. Leider alles vorbei. Auch sonst sei der Beruf der Schneiderin zwar nicht sehr ertragsreich, aber das mache ihr letzten Endes nichts aus. "Wir kommen mit wenig Geld zurecht und sind damit zufrieden, wir kennen es auch gar nicht anders" sagt die 40-jährige. Und setzt fast scherzhaft hinzu: "Auch deshalb nähe ich Mundmasken, denn sonst gibt es ja nichts zu tun…"

Die Mundschutzmasken - Mangelware

"Wochenlang hatten wir keine einzige Mundmaske im Angebot, erst in den letzten Tagen bekommen wir welche geliefert", sagt Evangelia Seviloglou. Sie führt in Grevena eine Apotheke und kann sich derzeit vor Bestellungen kaum retten. Jedem Kunden darf die Apothekerin höchstens fünf Masken anbieten, auch Desinfektionsmittel wird nur in handelsüblichem Umfang verkauft.

Das Problem in Corona-Zeiten: Viele ältere Kunden wohnen in abgelegenen Dörfern, können nicht mehr nach Grevena fahren und machen sich Sorgen, dass sie dringend benötigte Medikamente nicht rechtzeitig bekommen. Da improvisiert Sevilogolou nach Kräften: "Telefonisch organisieren wir Lieferungen über NGOs oder auch über Verwandte und Bekannte, denn immerhin kennt jeder jeden hier", sagt die Apothekerin.

Elona Agolli in der Werkstatt
"Wenn ich genug Stoffe hätte, dann würde ich jeden Tag bis Mitternacht nähen"Bild: Privat

Auch Elona Agolli hat immer wieder mit älteren Menschen zu tun, die sich um ihre Gesundheit sorgen. "Ab und zu kommt jemand vorbei, der an Krebs leidet oder sonst schwerkrank ist und bittet mich um eine Mundschutzmaske aus Stoff. Da versuche ich natürlich zu helfen", sagt sie.

Wenn die Staatspräsidentin anruft

Mit der Zeit wurde das Engagement der Frau in Grevena weit über die Stadtgrenze hinaus bekannt. Eines Morgens kam erneut ein überraschender Anruf: Die Staatspräsidentin wolle mit Frau Agolli sprechen, erklärte die Stimme am anderen Ende der Leitung.

"Ich dachte, da will mich jemand auf den Arm nehmen", erinnert sich die 40-Jährige. Doch dann kam tatsächlich die Staatspräsidentin ans Telefon. Katerina Sakellaropoulou, ehemalige Richterin und erste Frau im höchsten Amt des griechischen Staates, bedankte sich bei Frau Agolli und versprach, nach Ende der Corona-Beschränkungen die Stadt zu besuchen und auch mal vorbeizuschauen.

Auf Facebook lobt die Staatspräsidentin zudem das Vorbild "von Schneiderinnen, die Schutzmasken nähen, von Lehrern, die Online-Unterricht geben, von Unternehmen, die Geld- oder Sachunterstützung leisten" - unabhängig davon, woher sie kommen. In diesem Zusammenhang zitiert das Staatsoberhaupt den französischen Humanisten Michel de Montaigne: "Jeder Mensch trägt die ganze Gestalt des Menschseins in sich".