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Die Völkerschlacht von Leipzig als Wegmarke zur Friedenspolitik

Birgit Görtz15. Oktober 2013

Steffen Poser leitet das Museum Leipziger Völkerschlachtdenkmal. Für ihn ist die Schlacht vor 200 Jahren ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem friedlichen Europa.

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Das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig (Foto: Ellie Nator)
Bild: Fotolia

Die Völker Europas haben Napoleons Fremdherrschaft als Tyrannei empfunden, dabei haben die französischen Besatzer in viele Länder zivilisatorischen Fortschritt gebracht und mitunter sogar Verfassungen. Warum war Napoleons Herrschaft den Völkern so unbeliebt, dass sie 1813 beschlossen, gegen Frankreich zu Felde zu ziehen?

Ich glaube nicht, dass die Völker Napoleons Herrschaft verabscheut haben. Zunächst mal muss man sich davon verabschieden, dass es sich bei der Völkerschlacht tatsächlich um einen Volkskrieg handelt. Es ist ein ganz traditioneller Krieg der Kabinette mit stehenden Armeen, der aus vordringlich dynastischen und territorialen Interessen der jeweiligen Monarchen geführt worden ist. Es hat in vielen deutschen Staaten, vor allem in Preußen eine Bewegung gegeben, freiwillig gegen Napoleon ins Feld zu ziehen. Diese Bewegung war aber nie so dominant, wie wir das aus der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts kennen.

Kriegsmüdes Europa

Was sicher alle Völker Europas ausgezeichnet hat, war eine enorme Kriegsmüdigkeit. Vor allem nach der beispiellosen Tragödie des Russlandfeldzugs nun wieder erneute Rekrutierungen gab, Belastungen aufgrund der durchziehenden Armeen, die es zu ernähren gab, war man kriegsmüde. Sicherlich war man mehrheitlich der Ansicht, dass bevor Napoleon nicht geschlagen ist, hören diese Kriege nicht auf. Wir reden über eine Periode, die Zentraleuropa spätestens seit 1806 permanent mit Krieg überzogen hat. Die Menschen wollten, dass das endlich aufhört.

Steffen Poser (re) und der für die Sanierung zuständige Ronald Börner. Nach zehnjähriger Überholung präsentiert sich das Denkmal in neuem Glanz. (Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa)
Steffen Poser (re) und der für die Sanierung zuständige Ronald Börner. Nach zehnjähriger Überholung präsentiert sich das Denkmal in neuem Glanz.Bild: picture-alliance/dpa

Man darf auch nicht vergessen, dass es eine ganze Reihe deutscher Intellektueller gab, die diese Ereignisse als Befreiung begriffen hat. Ich erwähne den immer wieder ins Feld geführten Goethe, der lange nach 1813 noch der Meinung gewesen ist, dass sich in Napoleon der Fortschritt der Menschen verkörpert habe, die er freilich versuchte mit kriegerischen Mitteln zu ihrem Glück zu zwingen. Mit dieser Haltung war Goethe beileibe nicht der Einzige. Als nach 1815 Repression und Restauration wieder einsetzten, der Versuch, die politischen und teils territorialen Verhältnisse von vor 1789 in Deutschland wieder herzustellen, war die Ernüchterung aller Orten sehr groß.

Warum Leipzig?

Seit Anfang 1813 gab es in Sachsen und in der Region die verschiedenen Truppendurchzüge. Doch warum fand die Schlacht ausgerechnet um Leipzig statt?

Zunächst ging es Napoleon um das Halten Mitteldeutschlands in seinem Einflussgebiet. Entscheidend ist die Elbe-Linie. Das hat mit strategischen Erwägungen zu tun: die Elbe als einer der großen deutschen Flüsse. Er entscheidet sich dafür, die Oberelbe als Linie zu halten, wenn er nicht viele hundert Kilometer Richtung Westen zurückgedrängt werden will. Das ist eine Abfolge von verschiedenen Truppenbewegungen seiner Armee und seiner Gegner, die ihn in die Leipziger Gegend drängen. Napoleon wollte Sachsen, das damals doppelt so groß war wie heute, unbedingt halten und weiterhin zu seinen Verbündeten zählen. So dass er sich zur Verteidigung Dresdens und dann zur Verteidigung Leipzigs als der zweiten großen sächsischen Stadt entschloss.

Zusammentreffen der siegreichen Verbündeten (von links nach rechts: Zar Alexander I. von Russland, Kaiser Franz I. von Österreich, König Friedrich Wilhelm III. von Preussen, Johann Carl Kronprinz von Schweden) am 21. Oktober 1813. (Foto: Verlag Ignaz Eder)
Zusammentreffen der siegreichen Verbündeten (von links nach rechts: Zar Alexander I. von Russland, Kaiser Franz I. von Österreich, König Friedrich Wilhelm III. von Preussen, Johann Carl Kronprinz von Schweden) am 21. Oktober 1813.Bild: picture-alliance/IMAGNO/Austrian Archives

Ein Bild des Jammers

Wie muss man sich das vorstellen: Wie hat es damals in Leipzig ausgesehen, in der das Sterben sozusagen vor der Haustüre stattfand?

Die Verhältnisse sind natürlich katastrophal. Auch nach den Maßstäben, die wir heute anlegen, wo wir ja leider viel schlimmeres Elend und Schlachten kennen. Man muss sich vergegenwärtigen, dass Leipzig 1813 eine relativ kleine Stadt mit 33.000 Einwohnern ist und dass sich der größte Teil der Schlacht in den Dörfern rund um Leipzig abspielte. Die Dörfer lagen unmittelbar im Kampfgebiet, die Kavalkaden zogen mehrmals durch. Dort bleibt teilweise kein Stein auf dem anderen.

Die Vorräte der Bevölkerung sind restlos aufgebraucht. Wir reden ja von 500.000 bis 600.000 aktiven Soldaten, die an der Schlacht beteiligt waren. Derartige Massen konnte das bestorganisierte Heer nicht versorgen. Mitte Oktober ist es kalt, die Soldaten nächtigen draußen. Die Soldaten haben alles Holz, Obstbäume, Türen, Fensterrahmen, verfeuert. Sie haben mitgenommen, was von Wert ist. Die Menschen um Leipzig stehen hinterher da mit nichts. Leipzig selbst bleibt von den Kampfhandlungen verschont. Aber die Stadt ist seit Anfang 1813 zentraler Lazarettstandort der französischen Armee. Seit Frühjahr hatte es ja eine Reihe von Schlachten gegeben, die fast alle in Sachsen stattfinden.

Die russisch-orthodoxe St. Alexij-Gedächtniskirche in Leipzig (Foto: Dirk Goldhahn)
Die russisch-orthodoxe St. Alexij-Gedächtniskirche in LeipzigBild: cc-by-sa-2.5/Dirk Goldhahn

Als am 19. Oktober die Waffen endlich schweigen, muss man sich Leipzig als Ort des Sterbens und des Jammers vorstellen. Die Verwundeten liegen auf offener Straße, daneben die Toten, eine Unzahl von Fahrzeugen, Artilleriewagen und Kanonen verstopfen die Straßen, Pferdekadaver allerorten. Ein riesiges Durcheinander mit teils geplünderten Häusern. Das ist die Situation, die sich am Abend des 19. Oktober dem Betrachter darstellt.

Leipzig im kollektiven Gedächtnis

22.000 russische Soldaten sind in der Schlacht gefallen. Aber das Datum Oktober 1813 hat im kollektiven Bewusstsein von Russen oder gar den unterlegenen Franzosen nicht die große Bedeutung, die das Datum in Deutschland hat.

Die Bedeutung in Deutschland hat das Datum vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewonnen, weil man die Schlacht gleichsam zur Geburtsstunde der deutschen Nation stilisieren wollte. Der Versuch, die Befreiungskriege mit dem zentralen Ereignis der Völkerschlacht dem deutschen Gründungsmythos einzuverleiben, hat dazu geführt, dass die Bedeutung in Deutschland wesentlich anders gesehen wird als von außerhalb. Bei den Russen ist es so, dass die erfolgreiche Vertreibung der Invasionsarmee 1812 das zentrale Ereignis der napoleonischen Kriege ist, wiewohl sie das Ereignis als solches als wichtige Schlacht sehen, zumal die russische Seite den größten Blutzoll gezahlt hat. Das zeigt sich auch daran, dass hundert Jahre später, einen Tag vor der Einweihung des Völkerschlachtdenkmals, und in Sichtweite des Denkmals, die russisch-orthodoxe Gedächtniskirche eingeweiht wird. Sie ist einzig und allein den russischen Gefallenen der Völkerschlacht gewidmet.

Völkerschlacht bei Leipzig in einem Kolorierter Kupferstich von François Pigeot (1769-1823) (Foto: picture alliance/akg-images)
Kolorierter Kupferstich von François Pigeot (1769-1823)Bild: picture alliance/akg-images

Die Botschaft für die Gegenwart

Worin liegt für Sie das Vermächtnis der Völkerschlacht, die Botschaft an die heutige Generation: Ist es der europäischen Gedanke, die Völkerverständigung?

Was man heute sinnvollerweise mit diesem Datum anfangen kann, ist, dass es sich um ein Datum handelt, an dem alle europäischen Nationen versucht haben, politische Konflikte mit der Waffe in der Hand auf einem Schlachtfeld zu lösen und nun erstmals in ihrer Geschichte erkannt haben, dass das ein fragwürdiges Unternehmen ist Das ist das, was man heute aus der Beschäftigung mit diesem Datum in die Gegenwart nehmen sollte: Es ist ein wichtiges Ereignis unserer gemeinsamen europäischen Geschichte, eine Marke auf einem sehr steinigen Weg zu einer weitgehend friedlichen Gesellschaft, in der wir heute leben dürfen.