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"Einweg-Regierung" oder "Wirtschafts-Zar"?

18. Juni 2011

Evangelos Venizelos wechselt vom griechischen Verteidigungs- ins Finanzministerium. Ein cleverer Schachzug oder sinnlose Rochade? Die Reaktionen der griechischen Presse sind eher kritisch.

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Themenbild Presseschau. (Foto: DW)
Bild: DW

Am Freitag (17.6.) hat der griechische Ministerpräsident Giorgios Papandreou sein Kabinett umgebildet. Wichtigste Änderung: Der neue Finanzminister ist der bisherige Verteidigungsminister Evangelos Venizelos. Damit übernimmt ein politisches Urgestein der Panhellenischen Sozialisten Bewegung (Pasok) die Schlüsselposition in der aktuellen Wirtschaftskrise, aber auch ein früherer Rivale Papandreous und eben kein "Technokrat" mit einschlägigem Wirtschaftsbackground. Ein Blick in die griechische Presselandschaft.

Die konservative Athener Tageszeitung "Kathimerini" schreibt:

"Es ist eine Umbildung, um die Regierungspartei Pasok zu vereinen, damit sie dem anstehenden Reformpaket zustimmt, aber auch um den Zusammenhalt der Fraktion wiederherzustellen und – soweit möglich – den Druck der Gesellschaft zu schwächen. (…) Grundlegendes Merkmal der Kabinettsumbildung ist die Aufwertung des Evangelos Venizelos, der nun Vize-Ministerpräsident ist, aber auch die Zügel der griechischen Wirtschaft in der Hand hält – und das in der kritischsten Phase. (…) Mit seiner gestrigen Entscheidung hofft Papandreou, dass er unbeschadet die Vertrauensfrage übersteht, die er kommenden Dienstag stellen will. Außerdem wertet er die Vertrauensfrage als Indikator für die Zustimmung zum anstehenden Reformpaket, obwohl niemand seiner Mitarbeiter neue "Überraschungen" derer, die von Regierungsumbildung enttäuscht sind, wirklich ausschließen kann."

Die in Athen erscheinende linksgerichtete "Eleftherotypia" sieht das ähnlich:

"Es ist weder eine Regierung nationaler Notwendigkeit noch nationaler Zusammenarbeit oder Zustimmung, noch eine Regierung von Persönlichkeiten oder Technokraten oder von Personen, die allgemein akzeptiert werden. In die neue Regierung passt das so genannte "ganze Pasok", mit den wichtigsten Mitgliedern in der ersten Reihe. Es ist eine Regierung, bei der es deutlich um Wahlvorbereitung geht, die allen Einschätzungen zufolge weit vor dem eigentlichen Wahljahr 2013 liegen wird, vielleicht sogar bevor das Jahr 2011 endet… (…)"

"Der "Vater" des Ausdrucks "das ganze Pasok", Evangelos Venizelos, ist die starke Persönlichkeit als Vize-Ministerpräsident und Finanzminister. (…) Die Regierungsumbildung hat zwei Schlüsselfunktionen: Das erste ist die Übernahme der Verantwortung in Wirtschaftsfragen durch Evangelos Venizelos. Sein Name wurde seit langem genannt. Wohlweislich hat er in den vergangenen zwei Monaten Abstand gehalten von den Handlungen des bisherigen Finanzministers Papakonstantinou. Als Vize-Ministerpräsident kann er auch eine Vermittler-Rolle im Wirtschaftssektor spielen. (…) Das zweite ist die Bildung eines Regierungsausschusses, ein Instrument, das Papandreou sich geweigert hatte zu etablieren und das die tägliche Regierungstätigkeit koordinieren wird. (…) Dieser Ausschuss war der Wunsch aller wichtigen Mitglieder, um das Regierungshandeln institutionell zu koordinieren, so dass nicht mehr die – außerinstitutionelle – Clique des Ministerpräsidenten diese Aufgabe übernimmt, wie Vasso Papandreou es beschreibt."

Die konservative Zeitung "Eleftheros Typos" spricht von einer Einweg-Regierung:

"Die Regierungsumbildung zeugt einerseits von einem Versagen der Wirtschaftspolitik und andererseits von einem Recyclen immer derselben Personen auf Regierungsposten mit zeitgleicher Bestätigung, dass die Regierung sich weiterhin in der dieselbe ausweglose Richtung bewegen wird. Es ist eine Tatsache, dass der neue "Zar" der Wirtschaftspolitik, der Kritik an der Wirtschaftspolitik seines Vorgängers geübt hat, keine Möglichkeiten hat, substantiell etwas zu verändern, wenn die zentrale politische Richtung dieselbe bleibt."

"Offensichtlich ist, dass der Ministerpräsident schlicht beschlossen hat, sich an das Innere von Pasok zu wenden und sich nur um das partei-interne Gleichgewicht zu kümmern, anstatt die Politik zu verändern, von der er selbst sagt, dass sie falsch sei. Statt einer "Regierung der Rettung der Nation", von der er in der letzten Zeit gesprochen hat, hat Papandreou bezeichnenderweise entspannt eine Regierungs-Zusammensetzung gewählt, die die Rettung seiner selbst und seiner Regierung im Blick hat. Anstatt sich der empörten Gesellschaft zuzuwenden, die die Lage nicht mehr erträgt, hat Papandreou es vorgezogen, die Klagen der Abgeordneten seiner Partei anzuhören und der Minister, die sich nicht in seine Regierung integrieren lassen, um parteiintern Zeit zu gewinnen. (…)"

Etwas positiver sieht ein Kommentator der linksgerichteten Zeitung "To Vima" die Regierungsumbildung:

"Seit etwa zwei Jahrzehnten waren die Akteure der Wirtschaftspolitik Wirtschaftswissenschaftler, meist spezialisierte und promovierte Professoren. Man könnte der Meinung sein, das unsere Erfahrungen daraus nicht die besten waren. Zum ersten Mal nach vielen Jahren steht nun am Ruder der Wirtschaft ein reiner Politiker, der von Anfang an seine Position und das Problem aus gesellschaftlicher Sicht sieht und nicht nur aus der Perspektive der Zahlen. Dass das griechische Wirtschaftsproblem auch technokratische Aspekte hat, bezweifelt niemand. Trotzdem zeigt sich, dass es in erster Linie ein politisches Problem ist. Daher ist es interessant, dass der erste Akteur nunmehr in erster Linie ein Politiker ist, der dem Klima und der Atmosphäre eine besondere Bedeutung zumisst. Schon in seinen ersten Äußerungen hat er gezeigt, dass er für Ruhe und Optimismus sorgen möchte."

Zusammengestellt von Daphne Grathwohl
Redaktion: Arne Lichtenberg