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Corona: Todesstoß für deutsche Innenstädte?

Mirjam Benecke
14. Juni 2020

Die Einkaufsmeilen in Deutschland füllen sich wieder. Trotzdem fürchten viele Händler um ihre Existenz. Die Corona-Krise sorgt für einen gewaltigen Umbruch in den Innenstädten.

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Deutschland Köln | Coronavirus | Innenstadt
Bild: DW/M. Benecke

Samstagvormittag in der Kölner City: Hunderte Menschen strömen am Dom vorbei in die Fußgängerzone. Einige tragen Masken, andere schlecken Eis. Ein Ehepaar bleibt vor einem Schaufenster stehen, in dem knallbunte Bikinis und Badehosen ausgestellt sind. Nach kurzem Zögern gehen sie weiter. "Vorhin wollten wir auch in einen Laden gehen und dachten dann doch: 'Ach nee'", sagt Susen, die für einen Kurzurlaub nach Köln gereist ist. Die Maskenpflicht mache das Shoppen anstrengend. Da genieße sie lieber einfach den Trubel auf den Straßen nach den langen Wochen der Isolation.

Schaufensterbummel statt Shoppingwahn

"Ja, die Stadt ist voll. Es sind massenhaft Leute unterwegs", sagt Obsthändler Sven Liebe. Er hat seinen Stand auf der Hohen Straße Ecke Schildergasse aufgebaut. Bananen, Melonen und Pfirsiche türmen sich auf dem Verkaufstresen. Sven Liebe steht mit verschränkten Armen davor. "Aber die Leute sind eben nicht kauflustig. Die wollen alle nur bummeln."

Der Händler zeigt auf die vorbeiziehenden Passanten. Tatsächlich fällt auf: Nur wenige Menschen tragen gefüllte Einkaufstüten mit sich herum. Deshalb überlegen es sich Sven Liebe und seine Mutter Petra morgens immer zweimal, ob sie mit ihrem Obst und Gemüse in die Innenstadt ziehen. "Ich kaufe für 500 Euro Waren ein und fahre mit 100 Euro zurück. Da bleib ich lieber Zuhause. Nur Schaulustige brauche ich nicht."

Deutschland Köln | Coronavirus | Innenstadt, Obsthändler Sven Liebe
Obsthändler Sven Liebe: Besucher wollen nur bummelnBild: DW/M. Benecke

Etliche Kölner Händler stehen vor existenziellen Problemen. "Nach wie vor finden deutlich weniger Kunden als vor der Corona-Krise üblich den Weg in die Geschäfte. Die Umsätze erreichen vielerorts kein auskömmliches Niveau", sagt Stefan Genth, Geschäftsführer vom Handelsverband Deutschland (HDE).

Über ein Drittel der Nicht-Lebensmittelhändler in Deutschland fürchtet wegen der durch die Pandemie massiv gesunkenen Umsätze um ihre Existenz. Das zeigt eine Umfrage des HDE unter 400 Handelsunternehmen in ganz Deutschland.

Deutschland: Keine Lust auf Konsum

Für die Zukunft sehen knapp 80 Prozent der Händler schwarz: Sie rechnen damit, dass es als Folge der Krise eine Insolvenzwelle in der Branche geben wird. Damit könnte sich auch das Bild der Innenstädte verändern. "Ohne Handel stirbt die Innenstadt", so Genth.

Auf den Kölner Einkaufsmeilen reihen sich die Geschäfte großer Handelsketten aneinander. Doch abseits von Neumarkt und Hohe Straße gibt es sie noch: die kleinen Boutiquen, Blumenläden und Schmuckgeschäfte, in denen ein Plausch mit dem Inhaber zum Einkauf dazugehört. Die Verkäufer haben sich einiges von der Seele zu reden.

Corona bringt kleine Geschäfte an ihre Grenze

Hans Georg Reifenrath steht hinter der Theke seines Geschenkartikelladens "Traumstern" in der Pfeilstraße. "Wir haben gerade unsere Halbjahresbilanz gemacht", sagt er. Im Vergleich zu 2019 habe sein Geschäft 61 Prozent weniger Umsatz verbucht. "Das ist im Grunde ein Todesstoß. Sechs Monate Verlust kann man nicht mehr einholen."

Natürlich habe er beim Staat die Soforthilfe für kleine Unternehmen beantragt. Aber: "Das hat gerade mal gereicht, um die Mietkosten zu decken." Kleinere Geschäfte hätten es wesentlich schwerer, durch die Krise zu kommen als große Ketten, so Reifenrath. Ihnen fehlten die Rücklagen und der Online-Absatz. 

Der Ladenchef wünscht sich dringend mehr Unterstützung vom Staat - zum Beispiel nach französischem Vorbild. Dort werden derzeit Miete oder Gas- und Stromkosten für mittelständische Unternehmen ausgesetzt, falls sie finanziell straucheln.

Deutschland Köln | Coronavirus | Innenstadt
Volle Einkaufsstraße - leere GeschäfteBild: picture-alliance/dpa/Henning Kaiser

Selbst, wenn die Corona-Krise überwunden ist, werden es viele Händler in Zukunft schwer haben, über die Runden zu kommen. "Die Zunahme des Online-Handels wird sich in der Form nicht zurückdrehen lassen, und damit wird schlichtweg Umsatz fehlen in den Zentren", sagt Stadtforscher Thomas Krüger im Interview mit tagesschau.de. "Es wird - das werden wir in den kommenden Wochen und Monaten sehen - zu massiven Leerständen kommen."

Doch das sei nicht der einzige gravierende Einschnitt, der deutschen Innenstädten bevorstehe. "Auch im Bereich der Büronutzung stehen wir vor fundamentalen Veränderungen", sagt Thomas Krüger. "Die Arbeitsstrukturen in den Büroberufen, die mittlerweile 70 Prozent der Arbeitsplätze in den Großstädten ausmachen, werden sich durch die Krise und das Homeoffice erheblich verändern."

Deutschland Stadtansicht Köln Innenstadt mit Dom
Die Stadt-Silhouette wird bleiben, aber die Gebäudenutzung könnte sich gravierend ändern - außer vielleicht beim DomBild: picture-alliance/J. Schwenkenbecher

Wie wird die Kölner Innenstadt in fünf oder zehn Jahren aussehen? Leere Geschäfte im Erdgeschoss und darüber verwaiste Büros? Dazu muss es nicht kommen. "Wenn die Mieten sinken, dann haben Geschäftsmodelle eine Chance, die noch nicht so stark sind wie die großen Ketten - zum Beispiel Fusionskonzepte zwischen Gastronomie, Kunst, Verkauf und Büro", so der Stadtforscher. "Das kann ja alles auf einer Fläche hochspannend zusammengeführt werden, auf ganz verschiedenen Märkten mit ganz verschiedenen Angeboten."

In der Krise stecke laut Krüger auch die Chance, für mehr urbane Vielfalt zu sorgen. Aber: "Da braucht es Vermieter, die sich darauf einlassen. Und es braucht auch Unternehmerinnen und Unternehmer, die etwas wagen."