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PolitikTürkei

Was steckt hinter dem Politikverbot für Imamoglu?

15. Dezember 2022

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen verhängt die türkische Justiz Haftstrafen und Politikverbote gegen Oppositionspolitiker und Rivalen Erdogans. Jüngstes Opfer: Der Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu.

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Imamoglu nach der Urteilsverkündung vor dem Rathaus
Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu nach der Urteilsverkündung am 14.12.2022 vor dem RathausBild: ONUR GUNAL/IBB/REUTERS

Es fühlt sich an wie ein Dé­jà-vu. Ein türkisches Gericht hat den Istanbuler Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu wegen Beleidigung zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft verurteilt. Mit dem Urteil geht das Verbot einher, auch künftig keine politischen Ämter ausüben zu dürfen.

Auf den ersten Blick scheint sich damit die Geschichte zu wiederholen. Denn vor 24 Jahren widerfuhr einem erfolgreichen Istanbuler Oberbürgermeister dasselbe Schicksal. Der damalige Oppositionspolitiker wurde vom Gericht mit einem lebenslangen Politikverbot belegt. Der Name des damaligen OB: Recep Tayyip Erdogan.

So wie Erdogan damals, hält auch Istanbuls jetziger Oberbürgermeister Ekrem Imamoglu das Gerichtsurteil für politisch motiviert. Die Verurteilung ist nicht die einzige Gemeinsamkeit der beiden politischen Widersacher. Beide Männer stammen aus der eher konservativ-nationalistisch geprägten Schwarzmeerregion. Wie Erdogan wuchs auch Imamoglu in bescheidenen Verhältnissen auf, besuchte eine Koranschule und spielte Fußball.

Bei den Umfragen ist Imamoglu beliebter als der jetzige Amtsinhaber Erdogan.
Amtsinhaber Erdogan liegt in den aktuellen Umfragen hinter dem beliebten Oppositionpolitiker Ekrem Imamoglu Bild: Presidential Press Service/dpa/picture alliance

Doch damit hören die Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Männern auf. Imamoglu hat ein Diplom in der Tasche, er hat Betriebswirtschaftslehre studiert. Über Erdogans Ausbildung wird auch nach 20 Jahren immer noch spekuliert.

Kandidiert Imamoglu bei den Wahlen?

Der in der Türkei beliebte Politiker Imamoglu gehört der größten Oppositionspartei, der republikanischen Volkspartei CHP, im Land an. Diese hat sich Anfang des Jahres mit weiteren fünf Oppositionsparteien zu einem Bündnis zusammengeschlossen und arbeitet gemeinsam an einem Programm für die im Juni 2023 bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Noch ist nicht bekannt, wer als Herausforderer gegen Erdogan kandidiert.

Genau diese Tatsache scheint die AKP-Regierung und Präsident Erdogan zunehmend nervös zu machen. Denn sie haben Schwierigkeiten, eine Gegenstrategie zu entwickeln.

Laut Umfragen gibt es zwei Politiker, die für den jetzigen Amtsinhaber Erdogan gefährlich werden könnten: Einer von ihnen ist Ekrem Imamoglu. Politische Beobachter gehen davon aus, dass Erdogan ihn nicht nur als möglichen Rivalen vor den nächsten Präsidentschaftswahlen loswerden, sondern auch aus seinem Amt als Oberbürgermeister Istanbuls verdrängen will.

Istanbul ist von überragender Bedeutung

Die 16-Millionen-Metropole ist das Herz der türkischen Wirtschaft. Mehr als 20 Prozent der landesweiten Beschäftigten arbeiten am Bosporus. Rund 51 Prozent der Exporte und 55 Prozent der Importe werden in Istanbul abgewickelt.

Nachdem die AKP dieses Wirtschaftszentrum 2019 an die Opposition verlor, kam mehr und mehr ans Licht, wie die Partei von ihrer Regierungszeit am Bosporus vor allem selbst profitiert hatte. So hat die AKP durch öffentliche Gelder der Stadt scheinbar jahrelang regierungsnahe Stiftungen und Medien unterstützt und bei der öffentlichen Auftragsvergabe bestimmte Firmen bevorzugt.

"Ein fatales Signal"

Der Politikwissenschaftler und Türkei-Experte Burak Copur aus Essen ist fest davon überzeugt, dass es sich bei der Verurteilung Imamoglus nicht um ein juristisches, sondern ein höchst politisches Verfahren handelt. "Das Urteil soll dazu dienen, bei den Wahlen 2023 den stärksten Gegenkandidaten von Erdogan auszuschalten", erklärte er in einem Interview mit der DW.

Anhänger Imamoglus protestieren gegen Verurteilung vor dem Rathaus in Istanbul
Tausende Anhänger des Oberbürgermeisters Imamoglu protestieren vor dem Rathaus in Istanbul gegen die VerurteilungBild: Cumhur Yetmez/Depo/IMAGO

Das Politikverbot folge derselben Systematik wie bei der Verurteilung des Ex-HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtas oder der Istanbuler CHP-Vorsitzenden Canan Kaftancioglu. Politische Rivalen, die mächtig würden, sperre der Präsident einfach mit Hilfe einer ihm hörigen Justiz weg.

Nils Schmid, Außenpolitischer Sprecher der SPD, hält die Verurteilung von Imamoglu für einen "Skandal". Für die Wahlen in der Türkei sei die anhaltende Politisierung der Justiz ein fatales Signal.

Nach Einschätzung von Renata Alt, Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte im Bundestag, ist das harte Urteil gegen Imamoglu ein Anzeichen für die wachsende Furcht vor der Opposition. "Der Versuch, Imamoglu im Vorfeld der Parlamentswahlen auszuschalten, ist eine beispiellose Instrumentalisierung der Justiz", so die FDP-Politikerin. Die Türkei müsse zur Rechtsstaatlichkeit zurückkehren und Imamoglu müsse ein faires Berufungsverfahren garantiert werden.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kritisiert das Politikverbot gegen Imamoglu als kalkulierten Angriff auf die gesamte türkische Opposition. Es zeige, dass die AKP-Regierung bereit sei, die Gerichte zu missbrauchen, um wichtige Oppositionelle zum Schweigen zu bringen, so HRW am Donnerstag.

Eine Chance für die Opposition?

Doch Türkei-Experte Copur sieht im harten Urteil gegen Imamoglu auch eine Chance für die Opposition. Es könnte den Oppositionspolitiker auch stärken, falls er kandidierte. Denn der Prozess habe Imamoglu zu einem politischen Opfer stilisiert.

Copur erinnert daran, dass Erdogan selbst einmal "Leidtragender einer politischen Justiz" war und aus dieser Opferrolle heraus Staatspräsident wurde. "Wenn die türkische Opposition diese Krise als Chance begreift und die Bevölkerung mobilisieren kann, könnte dieser politische Justizputsch ein großes Eigentor für die AKP werden und den Anfang vom Ende Erdogans einleiten", glaubt Copur.

Welcher Oppositionspolitiker bei den Wahlen gegen Erdogan antreten wird, ist noch offen. Sicher ist, dass Imamoglu gegen das Urteil in Berufung gehen will.

Elmas Topcu | Journalistin
Elmas Topcu Reporterin und Redakteurin mit Blick auf die Türkei und deutsch-türkische Beziehungen@topcuelmas