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Politik

El Chapos verschwundenes Vermögen

DW Kolumne Anabel Hernández
Anabel Hernández
28. Juli 2019

Ein Drogenboss ist nicht am Ende, wenn er hinter Gitter kommt. Sondern dann, wenn sein Vermögen konfisziert wird. Genau das aber ist im Fall "El Chapo" nicht geschehen. Anabel Hernández fragt: Warum eigentlich nicht?

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Symbolbild Waffen, Geld und Drogen
Bild: Colourbox/R. Carner

Wenn Sie 12,6 Milliarden Dollar hätten, was würden Sie damit machen? Wo würden Sie sie verstecken? Das ist die Frage, die sich die Regierungen der Vereinigten Staaten und Mexiko seit letzter Woche stellen, als ein Gericht in New York die Beschlagnahmung dieses Geldbetrages vom mexikanischen Drogenhändler Joaquín "El Chapo" Guzmán anordnete, dem zu lebenslanger Haft verurteilten Boss des Sinaloa-Kartells.

Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador hat diese Summe als Eigentum Mexikos deklariert. Dies sei eine Frage der "Gerechtigkeit". Andererseits haben seine Vorgängerregierungen in den 18 Jahren des sogenannten Krieges gegen die Drogenmafia bei der Konfiszierung des Vermögens von "El Chapo" und seiner Familie vollständig versagt.

Die Regierung der Vereinigten Staaten steht aber auch nicht besser da. Mariel Colón, Anwältin im Verteidigerstab El Chapos in New York, teilte telefonisch mit, dass die US-Regierung bis jetzt noch nichts beschlagnahmt hat.

"Man hat keinen Besitz gefunden, der auf den Namen von Guzmán Loera eingetragen wäre. Der Betrag von 12 Milliarden Dollar ist lächerlich. Herr Guzmán hat diesen Betrag nicht", sagte mir Mariel Colón. Star-Anwalt Jeffery Lichtman, El Chapos Hauptverteidiger, zu dessen Kunden auch Mafiabosse wie John A. Gotti gehören, äußerte sich nach dem Urteil des Richters Brian Cogan betont ironisch: "Wenn es keine Vermögenswerte gibt, gibt's auch nichts zu bezahlen". Und Lichtman setzte noch einen nach: "Seit wann sucht man nach seinem Vermögen? Seit Jahrzehnten?"

USA «El Chapo»-Prozess,
Joaquín "El Chapo" Guzmán wurde am 17. Juli 2019 in New York zu lebenslanger Haft verurteilt. Bild: picture-alliance/dpa/E. Williams

Das Weiße Haus kündigte schon vor dem Urteil an, das zu beschlagnahmende Geld von "El Chapo" für den Bau der Mauer zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten verwenden zu wollen. Und wofür könnte man das Geld in Mexiko verwenden? Nach Durchsicht der öffentlichen Ausgaben für 2019 könnte die Regierung von López Obrador mit 12,6 Milliarden Dollar praktisch den gesamten Jahresetat für die Justiz sowie für alle Institutionen der inneren und nationalen Sicherheit finanzieren. Zu deren Aufgabenbereich gehört der Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Sie sollen Drogenbosse wie "El Chapo" beobachten, fangen und bestrafen. Aber warum konnten weder die USA noch die mexikanische Regierung bisher auch nur einen Bruchteil des veranschlagten Vermögens von "El Chapo" finden?

Der Verlust des Geldes schmerzt mehr als der Verlust der Freiheit

Die wirkliche Niederlage eines Schwerverbrechers bedeutet nicht die Verurteilung zu lebenslanger Haft, sondern der Verlust seines angesammelten Vermögens, erklärt Roberto Scarpinato, italienischer Staatsanwalt aus Palermo, der seit mehr als 25 Jahren gegen die organisierte Kriminalität kämpft und höchst erfolgreich bei der Beschlagnahmung von Vermögenswerten der sizilianischen Mafia ist. Allein zwischen 2008 und 2010 entriss er der Mafia fünf Milliarden Dollar aus den Händen.

"Die Mentalität dieser Menschen ist so: Während ich im Gefängnisse sitze, arbeitet außerhalb des Gefängnisses mein Geld für mich. Obwohl ich im Gefängnis sitze, habe ich die Zukunft meiner Familie gesichert. Mein Wort hat noch Macht, also bin ich nicht gescheitert", so Scarpinato.

Er erklärt, dass das beschlagnahmte Geld in Italien in den Staatshaushalt integriert wird und hauptsächlich für die Entschädigung der Opfer der Mafia bestimmt ist. Beschlagnahmtes Grundeigentum kann für soziale Zwecke verwendet werden: für Zufluchtsstätten, Ämter, Suchtpräventionszentren. Unternehmen, die direkt oder indirekt im Besitz der Mafia waren, gehen in Staatsbesitz über.

Vorbild Italien

Schön, aber wo ist jetzt das Geld von "El Chapo"? "In Italien beginnen wir die Nachforschungen nach den Besitztümern gleichzeitig mit den Untersuchungen zu den mutmaßlichen Straftaten", erklärt der Staatsanwalt. "Sobald wir die Untersuchungen erfolgreich abschließen, verhaften wir die Personen und beschlagnahmen die Besitztümer, um zu verhindern, dass sie verschwinden."

DW-Kolumnistin Anabel Hernández
DW-Kolumnistin Anabel Hernández

Sobald die Mitglieder eines Mafiaclans verhaftet werden, schließt sich eine weitere Untersuchung an, um die "tiefer" verborgenen Vermögenswerte zu finden. Diese Nachforschung schließt alle Verwandten der betroffenen Person ein: Ehefrauen, Kinder, Brüder, Cousins und auch weitere Vertrauenspersonen wie Freunde, Freundinnen, Liebhaber, und so weiter.

In Italien wird die falsche Deklaration von Vermögenswerten hart bestraft. Sobald sich bei vermeintlichen Komplizen Anzeichen unerklärlich hoher Eigentumswerte finden, beginnt eine neue Untersuchung. "Sollte eine Immobilie nicht mit der Steuerdeklaration vereinbar sein und auch kein Nachweis für den rechtmäßigen Besitz vorgelegt werden können, wird diese Immobilie konfisziert", so Scarpinato.

In der gleichen Woche, in der "El Chapo" verurteilt wurde, führte die Generalstaatsanwaltschaft von Palermo eine gemeinsame Operation mit der US-Regierung in Palermo und New York durch, um Mitglieder der Inzerillo- und Gambina-Clans der Cosa Nostra zu verhaften. Während einer Abhöraktion sagte ein Mitglied des Inzerillo-Clans: "Das Schlimmste ist, wenn sie dir das Vermögen beschlagnahmen".

Das Geschäft mit dem Stoff

Doch die Millionen von "El Chapo" sind vermeintlich unauffindbar. Derweil präsentierte dessen Tochter Alejandrina Gisselle Guzmán Salazar im Juli ihre eigene Modekollektion "El Chapo 701". Der Name spielt auf den Platz an, auf den das Forbes-Magazin ihren Vater auf der Liste der reichsten Männer der Welt gesetzt hat. Sie wurde 2012 von den US-Behörden verhaftet, als sie versuchte, mit gefälschten Papieren einzureisen, verbrachte zwei Monate im Gefängnis und wurde dann nach Mexiko abgeschoben.

Mexiko El Chapo Merchandise
Diese Kundin in Guadelajara freut sich sichtlich über die "El Chapo 701"-Modekollektion. Bild: Getty Images/AFP/U. Ruiz

Ihr Modeunternehmen verfügt über eine öffentliche Webseite und eine Präsenz auf Facebook. Der Sitz des Unternehmens ist die Stadt Guadalajara im mexikanischen Bundesstaat Jalisco. Zur hochpreisigen Produktpalette gehört ein Ledergürtel mit Stickereien aus Silberfäden zum Preis von 770 Dollar. Oder eine mit Silberfäden bestickte Brieftasche für 180 Dollar. Außerdem gibt es auch Damen-T-Shirts mit dem Konterfei von Guzmán Loera im Angebot. Einige der Produkte sind schon ausverkauft.

"Geboren in den Bergen, ein bescheidener Orangenverkäufer mit großen Zielen und viel Ehrgeiz, stolz auf seine Herkunft, Freund der Welt, entschlossener, aufmerksamer Anführer für seine Leute, mit starken Bestrebungen und Idealen, mutig, charismatisch und ehrenhaft…", so lautet die Werbebotschaft, mit der die Tochter ihren kriminellen Vater beschreibt, und dessen Namen sie kommerziell ausschlachtet.

"Die eigentliche Macht des Sinaloa-Kartells von "El Chapo" ist, wie die jeder anderen kriminellen Gruppe, die ökonomische Macht, mit der sie ihre Geschäfte illegal betreiben können", sagt Italiens Mafiajäger Scarpinato. "Sie können Behörden korrumpieren und ihre Drogenkriege finanzieren. Es ist eine unpersönliche Macht, die über die Figur des Drogenbosses hinausgeht. Es genügt nicht, den Einzelnen zu verfolgen. Man muss auch seine ökonomische Macht brechen".

Die Journalistin und Buchautorin Anabel Hernández berichtet seit vielen Jahren über Drogenkartelle und Korruption in Mexiko. Nach massiven Morddrohungen musste sie Mexiko verlassen und lebt seitdem in Europa. Für ihren Einsatz erhielt sie beim Global Media Forum der Deutschen Welle in Bonn den DW Freedom of Speech Award 2019.