Mehr als Techno: Elektronische Musik
13. Dezember 2021Elektronische Musik gehört zu diesen "alles außer..."-Genres. Fragt man jemanden, was für Musik er oder sie mag, heißt es häufig: "alles außer Schlager" oder "alles außer Klassik". Und sehr oft eben auch: "alles außer Elektro". Dabei weiß die angesprochene Person oft nicht, dass sie vielleicht ständig elektronische Musik hört.
Elektro (auch oft "Electro" geschrieben) ist behaftet mit zahlreichen Vorurteilen: dass sie stumpf und eindimensional sei, "zu kühl" klinge oder nur im Rausch konsumierbar sei. Diese Klischees sind ebenso verbreitet wie die Vorstellung, dass Elektronik aus den 1980er- oder 1990er-Jahren stamme. In Wahrheit ist elektronische Musik jedoch ein enorm breit gefächertes musikalisches Genre mit einer langen Geschichte.
Theremin, Hammondorgel und Co.
Bereits im 19. Jahrhundert finden erste Experimente mit elektronischen Klangerzeugern statt, die in der Entwicklung der ersten elektromechanischen Klaviere gipfeln.
Eines der wohl bekanntesten frühen elektronischen Instrumente entwickelt der Russe Leon Theremin in den 1920ern am physikalisch-technischen Institut in Leningrad. In seinem "Ätherophon", das später nach seinem Erfinder Theremin benannt wurde, scheinen Töne wie von Geisterhand zu entstehen. In Wahrheit handelt es sich um zwei Antennen und einen Oszillator. Durch die Bewegungen der Hände werden die elektrischen Schwingungen unterbrochen und dadurch die Tonhöhen entsprechend verändert. Das wenig später entwickelte Trautonium von Friedrich Trautwein ist einer der Vorläufer des für die elektronische Musik essenziellen Synthesizers - ebenso wie die 1935 in den USA entwickelte elektromechanische Hammondorgel.
Avantgarde und Neue Musik
Während in den USA Komponisten wie John Cage und Steve Reich die Grenzen der Musik erweitern, ist in Europa die elektronische Musik der Nachkriegszeit vor allem mit dem Namen Karlheinz Stockhausen verbunden, der im Studio für elektronische Musik in Köln Soundexperimente macht. Beeinflusst durch die Neue Musik bedienen sich in den 1960er- und 1970er-Jahren auch zahlreiche Vertreter des Avantgarde Rock und Krautrock elektronischer Elemente. Bands wie The Who und später Pink Floyd experimentieren in England mit rückwärts abgespielten Tonbändern, Sequenzern, Synthesizern und frühen Samples. Die Bands Can und Neu! erforschen in Deutschland die Poesie der Monotonie. So unterschiedliche Produzenten wie Conny Plank oder Giorgio Moroder tragen ebenfalls zur Weiterentwicklung des Genres bei - der eine mit seinen Klangforschungen, der andere mit seiner elektronischen Weiterentwicklung von Disco und Pop.
In den 1970ern wird die musikalische Fackel nach Düsseldorf weitergereicht, wo die Band Kraftwerk in ihrem Kling-Klang Studio jenen Sound entwickelt, der elektronische Musik bis heute entscheidend geprägt hat. Dank Kraftwerk bekam das Genre seinen ersten großen Popularitätsschub und befriedigte dabei nicht nur die Musikkritik, sondern eine stetig wachsende Zahl an Fans weltweit. So unterschiedliche Künstlerinnen und Künstler wie David Bowie, Afrika Bambaata, Joy Division, New Order, Depeche Mode oder Blur wurden von den Düsseldorfern inspiriert, die die "New York Times" einmal als "die Beatles der elektronischen Tanzmusik" bezeichnete.
Die Rückkehr des Synthesizers
Auch in Frankreich geht die Geschichte der elektronischen Musik weiter. Jean-Michel Jarre öffnet mit wegweisenden Alben wie "Oxygène" die Welt endgültig dem Synthesizer. Später entwickelt sich mit Künstlern wie Laurent Garnier, Air, Daft Punk und dem Genre French House ein neuer Elektronik-Hotspot in Paris.
Obwohl viele Wurzeln der elektronischen Musik in Europa liegen, ist sie bei weitem kein rein europäisches Phänomen. In den späten 1960er-Jahren experimentieren auf Jamaika verschiedene Produzenten und Sänger wie Lee "Scratch" Perry mit elektronischen Effekten an Instrumentalversionen von Reggae-Songs und erfinden dabei Dub Music. In den USA entwickeln sich in Detroit und Chicago jeweils eigene Spielarten von Techno und House, die in Amerika den Rap verändern und in Europa großen Einfluss auf die aufkeimende Rave-Kultur nehmen.
Gassenhauer und Zeitlupen-Beat
Diese hat in den 1990ern mit dem hessischen Techno-DJ Sven Väth, der Band Scooter aus Hamburg und der Loveparade in Berlin drei ihrer damals populärsten Vertreter. Die größten Erfolge im Mainstream feiert jedoch das Genre Eurodance, eine Spielart der Electronic Dance Music (EDM). Die Verbindung von Techno-Beats, einfachen Mitsing-Refrains und Rap-Parts bringt in ganz Europa die Dancefloors zum Kochen. Viele, die das Genre damals als "Eurotrash" belächelt haben, tanzen heute ganz unironisch auf Gassenhauer wie "Rhythm Is A Dancer" von Snap! oder "Mr. Vain" von Culture Beat.
Während EDM mit ihren zahllosen Subgenres - darunter Acid House, Drum'n'Bass, Dubstep, Trance oder Two Step - ordentlich aufs Gas drückt, entwickelt sich parallel dazu in England und Österreich ein enorm chilliger Sound. In Bristol sorgen Massive Attack und Portishead für entspannte Zeitlupen-Beats, die auch gerne unter dem Namen Trip-Hop zusammengefasst werden, während in Wien Kruder & Dorfmeister und die Sofa Surfers der Lässigkeit frönen.
Alles geht, nix muss: Crossover der 1990er
Das Köln-Düsseldorfer Duo Mouse On Mars erforscht hingegen die Grenzen zwischen Ambient, Breakbeat, Post- und Krautrock. Unter dem unscharfen Genrebegriff Intelligent Dance Music (IDM) werden später sie und andere avantgardistische Vertreter der Dance Music zusammengefasst, die sich nicht so einfach einordnen lassen.
In den 1990ern und um die Jahrtausendwende zelebrieren zahlreiche Künstlerinnen und Bands die Verbindung aus Elektronik und Rock. Britische Bands wie The Prodigy, Chemical Brothers und Radiohead, die Isländerin Björk und der US-Amerikaner Trent Reznor kombinieren Beats, Computerklänge und Synthesizer mit Indie- und Rock-Elementen und machen so elektronische Klänge auch für ein Indie-Publikum erfahrbar. In Deutschland leistet das vor allem die Band The Notwist aus dem bayerischen Weilheim. Im Berlin der Jahrtausendwende bauen Atari Teenage Riot oder die Kanadierin Peaches Brücken zwischen Performancekunst, Punk und Techno.
Immer wieder Köln und Düsseldorf
Während anderswo der Eklektizismus in der Elektronik seine Hochzeit feiert, konzentriert man sich in Köln Ende der 1990er auf das Wesentliche: den Beat. Das Label Kompakt Records ist wesentlich mit dem Subgenre Minimal Techno verbunden - eine Spielart der EDM, bei der die Tunes teilweise bis auf den nackten Beat heruntergekocht werden. Kompakt organisiert eigene Kölner Partyreihen und übt mit dem "Sound of Cologne" und Künstlerinnen und Künstlern wie Justus Köhncke oder T.Raumschmiere internationalen Einfluss aus.
Bis heute entwickeln sich immer neue Spielarten der Elektronik, und die Geschichte des immerjungen Genres geht weiter.
Zurück nach Düsseldorf, das mit Köln, Frankfurt und Berlin zu den wichtigsten Entstehungsorten elektronischer Musik in Deutschland gehört. Hier haben Kraftwerk in den 1970er- und 1980er-Jahren ihren unverwechselbaren Sound entwickelt und legendäre Orte wie der Ratinger Hof, Creamcheese, die Kunstakademie oder der Salon des Amateurs boten Raum für elektronische Experimente und Partys.
Nun würdigt die Stadt ihre wichtige Rolle in der elektronischen Musik mit einer großen Ausstellung: Der Düsseldorfer Kunstpalast bildet mit "Electro. Von Kraftwerk bis Techno" die über 100-jährige Geschichte der elektronischen Musik von ihren Anfängen bis zu Kompositionen Künstlicher Intelligenz ab. Zu den über 500 Exponaten gehören Instrumente, selbstgebaute Klangerzeuger, Fotografien, Audioeinspielungen, Videos und Grafikdesign. Die Ausstellung fand zuerst im Musée de la Musique in Paris statt und wurde in Zusammenarbeit mit dem Kunstpalast produziert und adaptiert. Die Schau in Düsseldorf entstand in enger Zusammenarbeit mit Kraftwerk-Gründer Ralf Hütter.
"Electro. Von Kraftwerk bis Techno" ist vom 9. Dezember bis zum 15. Mai 2022 im Düsseldorfer Kunstpalast zu sehen.