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Immer mehr Tote in Ägyptens Haftzentren

Kristen Mc Tighe / wd2. Juni 2015

Tausende politischer Gefangener leiden in Ägyptens Gefängnissen unter Missbrauch und Folter. Jetzt bereitet eine steigende Anzahl von Sterbefällen noch mehr Sorge, wie Kristen McTighe aus Kairo berichtet.

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Acht Ägypter hocken zusammengekauert in einer Zelle - sie wurden wegen des angeblichen Besuchs einer Homosexuellen-Hochzeit angeklagt. Foto: AFP/Getty images
Bild: AFP/Getty Images

Abdulah Elshamy, ein äyptischer Journalist, verbrachte mehr als 300 Tage in Haft und mehr als einen Monat in Einzel-Isolation im berüchtigten Skorpion-Flügel von Kairos Tora-Gefängnis. Für ihn kommt der Tod zweier führender Mitglieder der Muslim-Brüderschaft in weniger als einem Monat wenig überraschend.

"Alle Führer der Muslim-Brüderschaft im Skorpion-Gefängnis werden in Einzelhaft gefangen gehalten und haben keinen Kontakt zu anderen Gefangenen", sagt Elshamy, dessen Gefangenschaft einen internationalen Aufschrei der Empörung auslöste, nachdem Bilder in die Öffentlichkeit geschmuggelt wurden, die den einst kräftigen Al-Jazeera-Korrespondenten nach einem Hungerstreik drastisch abgemagert und gebrechlich zeigten. "Wenn irgendetwas passiert, dann bist du da Gott weiß wie lange, bevor das jemand mitbekommt."

"Das ganze Gefängnis ist unmenschlich", sagt Elshamy der Deutschen Welle. "Es fehlt an jeder Menschenwürde"

Abdullah Elshamy im Gefängnis
Abdullah Elshamy im GefängnisBild: DW/A. Elshamy

Das hart durchgreifende Vorgehen gegen Dissidenten hat Tausende politische Gefangene hervorgebracht, eine steigende Anzahl von Todesfällen in Ägyptens überfüllten Gefängnissen und Haftzentren und hat die Vorwürfe von unmenschlichen Bedingungen und medizinischer Vernachlässigung angeheizt. Während Regierungsvertreter darauf beharren, dass die Gefängnisse ägyptische und internationale Gesetze beachten, sprechen Aussagen von Gefangenen eine deutlich andere Sprache.

"Die absichtliche medizinische Unterversorgung und die fehlende medizinische Aufmerksamkeit durch die Gefängnisverwaltung hat den Tod des geschätzten MP Mohamed Falaghy verursacht", ist in einem Statement des der Muslim-Brüderschaft verbundenen Ägyptischen Revolutionsrats zu lesen - nur einen Tag nach seinem Tod.

Medizinische Fahrlässigkeit?

Staatsanwälte sind der Ansicht, dass der 58-jährige Falaghy, der in der Hafenstadt von Damietta im Januar 2014 festgenommen wurde, im Gefängniskrankenhaus als Folge eines Leberversagens starb. Sein Begräbnis wurde angeordnet mit der Bestätigung, dass es keinen Verdacht auf ein kriminelles Verbrechen gebe. Der Tod des früheren Parlamentariers der Partei "Friede und Gerechtigkeit", dem politischen Arm der Muslim-Brüderschaft, erfolgte gerade einmal zwei Wochen nach dem Tod einer anderen führenden Figur - Farid Ismail, 59. Er verbüßte in Kairos Skorpion-Gefängnis eine siebenjährige Haftstrafe wegen einer Anklage aufgrund eines Gewaltverbrechens. Ägyptens Innenminister sagte, Ismail starb während einer Behandlung nach einem Leberversagen.

Ägyptens Verantwortliche haben alle Vorwürfe zurückgewiesen, dass absichtliche medizinische Vernachlässigung oder gar ärztliche Kunstfehler die Ursache für beide Todesfälle sind. Die Gefängnisse würden im Einklang mit den Menschenrechten betrieben. Menschenrechtsorganisationen sagen dagegen, dass Missbrauch und Vernachlässigung inzwischen die Norm seien.

"Diese Verletzungen konnten unbemerkt fortgesetzt werden seit der Zeit von Mubarak. Es ist die Herrschaft der staatlichen Sicherheitskräfte", sagt Nicholas Piachaud, Direktor von Amnesty International Ägypten gegenüber der Deutschen Welle. Piachaud sagt, dass eine ganze Reihe aufeinanderfolgender Regierungen, die Muslim-Brüderschaft eingeschlossen, wenig unternommen hätten, die Haftbedingungen zu verbessern. Jetzt kämen die Geschichten über die schlimmen Zustände schrittweise ans Tageslicht.

Die Bedingungen im Inneren

Eine solche Geschichte erzählt Ahmed Parsi, ein 27-jähriger Ingenieur, der bei einem Protest am 30. Juni 2013 festgenommen wurde und zwei Jahre in einem Flügel des Tora-Gefängnisses verbrachte, bis er vor vier Monaten entlassen wurde.

"Die Zelle war voller Insekten und dreckig. Aber wir reinigten sie und konnten überleben", erzählt Parsi der DW über die vier mal fünf Meter große Gefängniszelle, die er sich mit durchschnittlich 15 anderen Männern teilte. In der Zelle gab es lediglich eine dunkle Ecke, die als Toilette dienen sollte. Gefangene hängten ein Tuch davor, um alles vom Rest der Zelle zu verdecken, was natürlich nicht verhinderte, dass sich der Gestank in der Zelle ausbreitete . Mit nichts mehr als einem Riss in der Decke als Fenster, war der Sommer unerträglich und im Winter war es bitterkalt.

Nach der Gesundheitspflege gefragt, für alle, die sie benötigten, erklärt Parsi: Es gab keine.

Ägypten Aktivist Mohammed Soltan.(Foto: Mostafa Eshemy Anadolu Agency)
Aktivist Mohammed Soltan: Unglaubliche ZuständeBild: picture alliance/AA

Für eine Weile seiner Gefangenschaft war Parsi Zellengenosse von Mohamed Soltan, US-Ägypter, politischer Aktivist und Sohn eines führenden Offiziellen der Muslim-Brüderschaft. Er wurde angeschossen, als das Rabaa al-Adawiya Protest-Camp 2013 gewaltsam aufgelöst wurde. Soltan wurde chirurgisch behandelt, aber bei seiner Verhaftung verschlimmerte sich der Zustand der Wunde, als die Polizei ihn vermeintlich mit Stöcken schlug und ihn in eine enge Zelle drängte. "Die Leitung des Gefängnisses tat nichts, um ihm zu helfen", erzählt Parsi.

Somaia Halawa, eine 28-jährige irisch-ägyptische Bürgerin, die drei Monate in Kairos Al-Quantar Gefängnis für Frauen verbrachte, beklagt ebenfalls schreckliche Zustände und fehlende Gesundheitspflege. Halawa wurde verhaftet, als sie mit ihrer Schwester und ihrem jüngeren Bruder in Kairo nach Schüssen der Polizei in einer Moschee Schutz suchte.

Ein Platz zum Sterben

"Das Gefängniskrankenhaus war kein Krankenhaus. Es war eher ein Platz für die Leute, um zu sterben", sagt Halawa über das Hospital von Al-Quantar.

Halawa und ihre Schwestern wurden im November 2013 freigelassen und nach Irland zurückgeschickt. Ihr Bruder aber, der mit erwachsenen Männern untergebracht war, kam nicht frei und erwartet seine Anklage und Verurteilung, die sogar die Todesstrafe umfassen könnte, trotz geringfügiger Vergehen zum Zeitpunkt seiner Festnahme. Nach zwei Jahren im Gefängnis ohne medizinische Versorgung seiner Schusswunde , kann er - so seine Schwester – seine Hand kaum noch richtig bewegen.

"Zu versuchen damit fertig zu werden, was ich im Gefängnis gesehen habe und was mein Bruder dort noch durchmacht, ist schwer", sagt Halawa. Sie behauptet, ihr Bruder sei beraubt, geschlagen und mit Elektroschocks gequält worden.

Ibrahim Halawa: Gefängniszustände. Foto: Somaia Halawa
Ibrahim Halawa klagt Gefängniszustände in Ägypten anBild: Somaia Halawa

Ägyptens Innenministerium, das 42 Gefängnisse im Land unterhält, antwortete wiederholt nicht auf Forderungen und nicht auf die Vorwürfe unmenschlicher Zustände.

Obwohl der Nationalrat für Menschenrechte ankündigte, die Menschenrechte zu überprüfen, beschreibt ein Bericht vom 13. Mai nach einem offiziellen Besuch von Kairos Abu Zabaal Gefängnis, dass Gefangene diszipliniert wurden, die sich beschwerten, kein Bad benutzen zu können, kein trinkbares Wasser und keine Belüftung zu haben. Gefangene wurden geschlagen und eingeschüchtert.

Im Mai veröffentlichte das El Nadeem Zentrum für die Rehabilitation von Gewaltopfern, eine in Kairo ansässige Menschenrechtsorganisation, dass man zehn Tote durch ungenügende Gesundheitsversorgung und Folter im April dokumentiert habe. Das betrifft die Zeit des erst kürzlich ernannten Innenministers General Magdy Abdel-Ghaffar. Die Gruppe, die mehr als 100 Todesfälle im Jahr 2014 verzeichnete, sagt, dass die Zahl der Todesopfer 2015 weiter ansteigt.

"Die Zahlen, die wir dokumentieren konnten, zeigen nicht einmal die gesamte Situation", schreibt die Menschenrechtsgruppe in ihrem Report. "Die Zahlen spiegeln wider, dass es nicht um persönliche Verstöße geht, sondern um eine grundsätzliche Strategie staatlicher Institutionen, um die Verfassung für ungesetzlich zu erklären."