Junge Schwedin stoppt mutmaßliche Abschiebung
25. Juli 2018Elin Ersson ist gestresst. Sie hat rote Flecken im Gesicht und kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Die 21-jährige Schwedin befindet sich an Bord eines Flugzeuges und protestiert gegen eine mutmaßliche Abschiebung eines afghanischen Mannes. Die Szene festgehalten hat die junge Frau selbst. Und sie hat sie über die Sozialen Medien veröffentlicht. Die Turkish Airlines Maschine fliegt vom schwedischen Göteborg nach Istanbul. Doch die Maschine kann nicht starten, weil sie sich weigert, sich hinzusetzen. Der Grund: Mit an Bord ist nach Elin Erssons Angaben ein älterer Mann, der nach Afghanistan abgeschoben werden soll. "Ich werde mich erst hinsetzen, wenn sich diese Person nicht mehr im Flieger befindet", sagt sie. "Denn er wird höchst wahrscheinlich getötet, wenn er den Flug nimmt."
Diskussionen im Flugzeug
Ersson hat das Ganze festgehalten - in einem 14-minütigen Live-Video auf Facebook. Ihr Smartphone hat sie auf sich selbst gerichtet, während sie kommentiert, was im Flugzeug passiert. "Setz dich hin, wir wollen los", rufen Passagiere um sie herum. Ein Mann versucht ihr das Handy abzunehmen. Das Kabinenpersonal will Ersson dazu bewegen, sich hinzusetzen, um den Flugbetrieb nicht weiter zu stören. Doch Ersson bleibt eisern. "Was ist wichtiger? Euer Leben oder die Zeit?", fragt sie. "Ich tue, was ich kann, um das Leben eines Menschen zu retten". Von einigen Passagieren bekommt sie Applaus, ein Mann drei Reihen weiter steht auf, um ihr zu signalisieren, dass er sie unterstütze.
Elin Ersson gehört einer Gruppe schwedischer Aktivisten an. Die setzt sich dafür ein, die Abschiebepraxis ihres Landes zu ändern. Nur rund ein Drittel der Afghanen erhielt in Schweden in diesem Jahr nach Angaben der Migrationsbehörde bisher Asyl. 415 Afghanen wurden im vergangenen Jahr abgeschoben. "Afghanistan ist ein Kriegsland", sagt Ersson der DW. "Aber europäische Länder schieben Menschen noch immer an einen Ort ab, an dem sie nicht sicher sein können, ob sie am nächsten Tag noch leben", fügt sie hinzu.
Und ihr Protest scheint Erfolg gehabt zu haben: Zwar kann Elin Ersson nicht mit eigenen Augen sehen, dass der Mann das Flugzeug verlassen darf, doch die Flugbegleiter, die Ersson ebenfalls zum Ausgang führen, geben ihr zu verstehen, dass die Abschiebung gestoppt worden sei.
Als sie am Montagabend das Flugzeug betrat, war sie noch davon ausgegangen, die Abschiebung von zwei Männern zu verhindern. Die Familie eines 26-jährigen Afghanen hatte Kontakt mit der Aktivistengruppe um Ersson aufgenommen und um Hilfe gebeten, berichtet die Studentin der Sozialwissenschaften. Doch als Ersson im Flieger war, sei der Junge nicht an Bord gewesen. Stattdessen habe sie nur den älteren Mann gesehen, kurz mit ihm geredet und schließlich versucht, seine mutmaßliche Abschiebung zu verhindern.
Millionen sehen das Video
In den sozialen Netzwerken wurde Erssons Video von Montagabend an hunderttausendfach geteilt und geliked. Die Deutsche Welle nahm daraufhin Kontakt zu der 21-Jährigen auf und durfte ihr Videomaterial für ein eigenes, kürzeres Webvideo für Facebook nutzen. Auch hier zeigen die Verbreitungszahlen, dass die Aktion Menschen auf der ganzen Welt bewegt. Mehr als fünf Millionen Aufrufe erhielt das Video der Deutschen Welle innerhalb eines Tages. Über 110.000 Menschen teilten den Videopost in der Zeit, es gingen mehr als 10.000 Kommentare ein.
Von vielen Menschen wird Ersson für ihre Aktion gefeiert. "Eine einzelne Person kann einen Unterschied machen", heißt es in den Kommentarspalten. "Ein perfekter Akt des gewaltfreien Widerstandes" - oder: "Wenn es einen Himmel gibt, dann kommt dieses Mädchen da rein."
Debatte um zivilen Ungehorsam
Die offenbar blockierte Abschiebung hat aber auch eine Diskussion über zivilen Ungehorsam und den Bruch geltenden Rechts ausgelöst. "Fürs Erste applaudieren ihr alle, aber warum haben wir Gesetze und Gerichte, wenn jeder die Exekutive davon abhalten kann, ihre Pflicht zu tun", schreibt ein Facebook-Nutzer in einem Kommentar. "Ich weiß, viele Menschen denken, Anarchie sei eine schöne, romantische Idee, aber vielleicht sollten sie einen Blick in die Länder werfen, in denen Gesetze keine Macht mehr haben", schreibt er weiter.
Viele Facebook-Nutzer wollten wissen, wieso der Afghane abgeschoben werden sollte. Die schwedische Polizei, die für Abschiebungen zuständig ist, erklärte auf Anfrage, man äußere sich nicht zu individuellen Fällen. Auch ob der Mann noch in Schweden ist oder mittlerweile doch in Afghanistan konnte bisher nicht geklärt werden.
Dass Elin Ersson sich geweigert hat, sich hinzusetzen, könnte für die junge Studentin noch juristische Folgen haben. Passagiere, die sich dem Bordpersonal widersetzen, müssen laut Polizei mit einer Strafe rechnen.