Ende der Ehekrise?
20. Februar 2015Es sah alles nach einem Neuanfang aus: Die deutsche Kanzlerin und der französische Staatspräsident haben ihr gesamtes politisches Gewicht in die Waagschale geworfen, um der Ukraine Frieden zu bringen. Es kam überraschend, als die beiden am 11. Februar erst mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und danach mit Russlands Staatschef Wladimir Putin verhandelten. Zwar waren die Aussichten auf Erfolg ihrer Friedensvermittlung von Anfang an gering, und der Pessimismus vieler Beobachter hat sich inzwischen ja auch bestätigt. Aber umso mehr wurde die französisch-deutsche Aktion gelobt: als Ausdruck einer Verantwortung, die das politische Risiko nicht scheut, aber ebenso als Wiederannäherung zwischen Berlin und Paris nach jeder Menge Streit.
Auch das Zusammenstehen nach den islamistischen Anschlägen auf die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" im Januar war so ein Zeichen der Gemeinsamkeit. Das war nicht immer so. Bis vor kurzem gifteten sich deutsche und französische Politiker aus der zweiten Reihe oft gegenseitig an, und die Treffen zwischen Merkel und Hollande schienen wenig mehr als routinierte Staatsräson zu sein. Unterschiedliche Positionen in der Wirtschafts- und Haushaltspolitik haben immer wieder für Streit gesorgt. Die Deutschen galten als Oberlehrer, die Franzosen als veränderungsscheu.
Alte Rollen überwunden
Braucht es also erst große Konflikte, um die beiden wieder zusammenzuführen? Die Französin Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik bejaht diese Frage: "Durch diese Krisen hat die deutsch-französische Beziehung unter Merkel und Hollande eine neue Qualität erreicht - auf der Arbeits- wie auch auf der menschlichen Ebene. Sowohl beim Ukraine-Konflikt als auch bei den Anschlägen in Paris geht es um Sicherheit und Frieden, also um Werte, die uns vereinen."
Merkel hatte sich schon lange als dominierende Unterhändlerin in der Ukraine-Krise engagiert. Dass sie Hollande dann so prominent eingebunden hat, sieht Frank Baasner, Leiter des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg, als geschickten Schachzug. Beide hätten zeigen wollen: "Wir gehen nicht allein, es geht nicht um deutsche Interessen, es geht um europäische Interessen." Wäre Merkel dabei ohne Hollande geblieben, so Baasner, hätte es so ausgesehen, "als ob Deutschland die europäische Politik völlig dominiert, und das ist nie gut". Claire Demesmay betont, eine gemeinsame Diplomatie gebe es nicht nur in der Ukraine-Frage. Die beiden Außenminister Laurent Fabius und Frank-Walter Steinmeier seien schließlich nicht nur in Kiew, sondern zum Beispiel auch in Nordafrika zusammen aufgetreten. "Damit wollen sie zeigen, dass die alte Rollenverteilung - Deutschland ist für den Osten zuständig, Frankreich für den Süden - nicht mehr relevant ist."
Griechenland hat nicht gespalten
Solche Aktionen können aber nicht über die Unterschiede in der Wirtschaftspolitik hinwegtäuschen. Die französische Regierung hat lange auf staatliche Konjunkturprogramme gesetzt und eine angeblich von Deutschland aufgezwungene und einseitige europäische Sparpolitik bekämpft. Sie hat große Schwierigkeiten, Reformen im eigenen Land politisch durchzusetzen. Das liegt zum Teil daran, so Demesmay, dass "das politische System Frankreichs von politischer Polarisierung lebt und also stets zu einer Rechts-Links-Konfrontation führt. Deswegen lehnen die meisten Konservativen die Vorhaben der sozialistischen Regierung ab, auch wenn sie selber für Reformen plädieren."
Meinungsunterschiede zu wirtschafts-, finanz- und haushaltspolitischen Fragen "werden bleiben, weil beide Länder in diesen Fragen unterschiedliche Interessen und Lösungsansätze haben". Demesmay glaubt jedoch, dass "die Annäherung der vergangenen Wochen auf beiden Seiten zu mehr Kompromissbereitschaft führen könnte". Baasner sieht solche Zeichen bereits im Verhalten gegenüber Griechenland. "Die neue griechische Regierung hat ja versucht, einen Keil in die gemeinsame europäische Währungspolitik zu treiben und das ist nicht gelungen. Das zeigt, dass die französische Regierung weiß, dass die Richtung insgesamt nicht verkehrt ist."
Gestärkte Mitte
Noch etwas anderes hat sich verändert in Frankreich: Nach den islamistischen Anschlägen in Paris rückten nicht nur die Franzosen politisch und gesellschaftlich zusammen. Auch der Präsident, bis dahin der unbeliebteste Staatschef seit Jahrzehnten, stieg plötzlich im öffentlichen Ansehen durch sein besonnenes und gleichzeitig entschiedenes Auftreten. Frank Baasner vom Deutsch-Französischen Institut glaubt, dass die politische Mitte in Frankreich zumindest vorübergehend gestärkt und der rechtsextreme Front National geschwächt worden ist.
Ob sich das aber auf die nächsten Präsidentschaftswahlen 2017 auswirken werde, das könne man noch nicht sagen. Die Französin Claire Demesmay ist ähnlicher Meinung: "Die Anschläge werden die politische Kultur Frankreichs langfristig prägen, haben aber die politischen Verhältnisse grundsätzlich nicht verändert." Die deutsche Kanzlerin trifft bei ihrem Besuch in Paris auf ein politisch gespaltenes und wirtschaftlich verunsichertes Land. Doch wenigstens atmosphärisch hat sich die Stimmung zwischen beiden Ländern - und zwischen Merkel und Hollande - deutlich verbessert.