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Endstation Rosenheim

Lidet Abebe3. Oktober 2014

366 Flüchtlinge starben am 3.10.2013 vor der italienischen Insel Lampedusa. Eine andere EU-Politik konnte das Elend nicht mildern - täglich greifen Fahnder an der süddeutschen Grenze Flüchtlinge auf.

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Bundespolizisten führen auf dem Rosenheimer Bahnhof Flüchtlinge ab
Bild: DW/L. Abebe

Um fünf Uhr morgens beginnt die Schicht für die beiden Bundespolizisten Ronny und Jako in Rosenheim. Ihre Nachnamen wollen sie nicht in den Medien sehen. Sie sind "zuständig für alles, was sich im Grenzbereich innerhalb 30 Kilometer zu Österreich abspielt", sagt Jako, während er den Dienst-BMW startet.

Es ist noch dunkel, aber auf der Autobahn A8 nach München herrscht schon dichter Verkehr. In ihrem silber-farbenen Zivil-Wagen sind Ronny und Jako auch an diesem Morgen auf der Suche nach illegal über die Grenze geschleusten Personen. Schon beim dritten Fahrzeug, das die Beamten kontrollieren - ein Reisebus mit italienischem Kennzeichen - werden sie fündig. Zwei Nigerianer haben ohne gültige Papiere die deutsche Grenze überquert. Einer der beiden, der sich Kennedy nennt, rückt nach anfänglichem Zögern mit der Wahrheit heraus: "Ich habe mir gedacht, es ist eine gute Idee, wenn ich hier her komme und Asyl beantrage."

Kennedy erzählt, er sei über Libyen nach Italien gekommen, habe dort aber auch nach mehr als drei Jahren keinen Job gefunden. Dass er von der deutschen Polizei festgenommen wurde, stört ihn nicht. Er sei sowieso auf dem Weg nach München, um dort Asyl zu beantragen, erzählt er gelassen.

Nächster Halt: Polizeiinspektion

Beide Männer aus Nigeria werden in die Inspektion der Bundespolizei nach Rosenheim gebracht. Dort müssen sie erst einmal warten. Kollegen von Ronny und Jako sind gerade mit sieben syrischen Flüchtlingen und einem Schleuser eingetroffen. "Wir sind wirklich am Limit", sagt Jako, "jeden Tag haben wir um die 30 Personen oder mehr, die unerlaubt nach Deutschland eingereist sind."

Aufnahme eines Fingerabdrucks
Mit einem Scanner nehmen die Bundespolizisten die Fingerabdrücke der Flüchtlinge auf und gleichen sie europaweit abBild: DW/L. Abebe

Die meisten Flüchtlinge kommen derzeit aus Syrien, Eritrea, Somalia, Afghanistan und Nigeria. Allein in Rosenheim hat die Bundespolizei seit Jahresbeginn mehr als 5000 unerlaubt eingereiste Personen registriert. 2013 waren es noch etwa 4000 im gesamten Jahr. Die Dunkelziffer , schätzen die Beamten, ist hoch.

Auch Mohamed Idris aus Eritrea hat eine lange, gefährliche Reise hinter sich. Nachdem er von den Bundespolizeibeamten aufgegriffen wurde, stellte er einen Asylantrag und wohnt nun seit einigen Wochen in einer Flüchtlingsunterkunft im Rosenheimer Vorort Frasdorf. Sein Weg führte Idris aus seiner Heimat am Horn von Afrika zunächst in den Sudan und dann weiter nach Libyen. "In Libyen war es hart", erzählt Idris. "Einen Monat habe ich dort im Gefängnis gesessen. Aber danach habe ich Libyen verlassen und bin mit dem Boot übers Meer nach Italien gereist."

Diese Bootspassage von Libyen nach Italien in völlig überfüllten Booten ist der gefährlichste Abschnitt der Reise. 3000 Dollar habe er Schleusern dafür bezahlt, berichtet der 17-jährige Ali Ahmed aus Somalia. Er lebt seit drei Wochen in Rosenheim in einer Flüchtlingsunterkunft. "Es gibt sehr viele Leute, die Geld nehmen und einem helfen, nach Europa zu kommen." Ahmed wollte eigentlich nicht nach Deutschland, sondern lieber weiter in den Norden nach Norwegen. Doch nachdem er in Rosenheim festgenommen worden war, habe er eben hier einen Asylantrag gestellt, erzählt der Jugendliche.

Am Knotenpunkt der Schleuserrouten

Die Bundespolizei ist lediglich für die Registrierung der Flüchtlinge zuständig. Über ihr weiteres Schicksal entscheidet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Wer bereits in einem anderen EU-Staat registriert wurde, muss in der Regel dorthin zurück. Ansonsten werden Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern wie Ali Ahmed und Mohamed Idris nach der Vernehmung meist auf freien Fuß gesetzt und können Asyl beantragen.

Im süddeutschen Rosenheim laufen mehrere wichtige Schleuserrouten zusammen. Die "Balkan-Route" etwa führt aus Afghanistan bis hierher, während eine weitere, die "Brenner-Route", aus Afrika über das Mittelmeer und Italien sowie Österreich verläuft. Hinzu kämen die internationalen Bahnverbindungen, erklären die Polizisten.

Karte Rosenheim Bayern Deutschland
In Rosenheim treffen sich zwei wichtige Schleuserouten

Es ist inzwischen Mittag. Ronny und Jako kontrollieren den Schnellzug Eurocity 88, den sie jenseits der Grenze in Österreich bestiegen haben. Der erste Flüchtling fällt ihnen bereits an der Zugtür auf. Nachdem der Zug die Grenze zu Deutschland passiert hat, sprechen sie ihn an: "We are German Police. Passport please!" Der verzweifelte Afrikaner ahnt, was gemeint ist, und nickt resigniert mit dem Kopf. "Sudan" sagt er leise auf die Frage nach seinem Herkunftsland. Die Beamten durchsuchen ihn, sie wollen feststellen, ob er Waffen oder andere gefährliche Gegenstände bei sich trägt. Doch außer einem Zettel finden sie nichts. Der Mann hat nicht einmal Gepäck dabei und trägt seine einzigen Kleider auf dem Leib.

Der Zettel, das einzige offizielle Dokument, das der Sudanese besitzt, ist eine österreichische Bescheinigung. Kollegen dort haben ihn offenbar bereits am selben Morgen kontrolliert.

Von Kufstein in Österreich bis ins deutsche Rosenheim benötigt der Schnellzug gerade einmal 20 Minuten. Zwei illegal Eingereiste nehmen Ronny und Jako bei dieser Fahrt fest - und bei der Ankunft auf dem Bahnsteig in Rosenheim gleich noch einen dritten. Die beiden Polizisten vermuten aber, dass noch weitere Flüchtlinge im Zug sind und verständigen ihre Kollegen am Münchner Hauptbahnhof - dort ist der nächste Halt des Zuges.

Polizeiinspektion Rosenheim
Die Bundespolizeidirektion Rosenheim: Mehrere Dutzend Flüchtlinge werden hier täglich registriertBild: DW/L. Abebe

Eine Reisende aus Deutschland, die aus Italien kommend in Rosenheim aussteigt, ist erschüttert von den Flüchtlingsschicksalen, die sie auf ihrer Reise gesehen hat. Der Bahnhof in Bozen in Südtirol sei ebenso wie der Zug überfüllt gewesen, berichtet sie. "So etwas habe ich noch nie erlebt." Überall habe sie verzweifelte afrikanische Flüchtlinge gesehen, erzählt die Frau, während Ronny und Jako die drei Festgenommenen Richtung Polizeiinspektion abführen.