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PolitikNahost

Algerien, Europa und das Gas

24. August 2022

Ein ausgedehnter Besuch Emmanuel Macrons in Algerien lässt erkennen, wie wichtig das Land als Energielieferant noch werden könnte - nicht nur für Frankreich. Doch allzu hohe Erwartungen scheinen fehl am Platze.

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Blick auf das Gasfeld von Tiguentourine im Süden Algeriens
Blick auf das Gasfeld von Tiguentourine im Süden AlgeriensBild: Mohamed Messara/dpa/picture alliance

Gemessen an der Zeit, ist Emmanuel Macrons Staatsbesuch in Algerien von einiger Bedeutung: Ganze drei Tage wird er von Donnerstag dieser Woche an in dem Maghreb-Staat Algerien verbringen. Allein dies zeigt, welche Rolle das nordafrikanische Land für Frankreich spielt.

Die Beziehungen beider Länder waren zuletzt stark belastet. Im Oktober vergangenen Jahres hatte Macron indirekt unter anderem kritisiert, dass sich Algerien seit der Unabhängigkeit auf Erinnerungen ausruhe - gemeint war die Diskussion um die lange französische Kolonialherrschaft (1830-1962) und die während dieser Zeit und im Unabhängigkeitskrieg von Frankreich verantworteten Verbrechen. Die Erinnerung an diese würde von der algerischen Regierung zur Durchsetzung politischer Interessen missbraucht. Daraufhin zog Algerien seinen Botschafter in Paris für drei Monate zurück. Erst als Macron sein "Bedauern" über diese Äußerung bekundete, schickte Algerien den Botschafter wieder nach Frankreich. Dass Macron nun 60 Jahre nach Erlangung der Unabhängigkeit nach Algerien reist, wird allgemein als versöhnliche Geste verstanden.

Frankreichs Präsident Macron bei einer Rede zum Ende des Algeriens-Kriegs vor 60 Jahren in Paris
Macron reist zu einem ausgedehnten Staatsbesuch nach Algerien. Unser Foto zeigt ihn bei einer Rede zum 60. Jahrestag des Endes des Algerien-Kriegs in Paris, März 2022Bild: Gonzalo Fuentes/AP/dpa/picture alliance

Zugleich ist Algerien auch als künftiger Energielieferant von Interesse - und zwar keineswegs nur für Frankreich, sondern auch für andere europäische Länder. "Das derzeitige europäische Interesse an Algerien hat ganz wesentlich einen energiepolitischen Hintergrund", stellt auch Matthias Schäfer im Gespräch mit der DW fest. Schäfer ist Repräsentant der Konrad-Adenauer-Stiftung in Algerien.

Tatsächlich ist das Land einer der weltweit größten Produzenten von Erdgas. Experten gehen von einer Menge von gut vier Billionen Kubikmetern Gasreserven aus. Zudem verfügt das Land über Erdölreserven von 1,5 Milliarden Tonnen. Auch als Transitland könnte Algerien künftig eine Rolle spielen, wie die Pläne mehrerer afrikanischer Staaten zum Bau einer Gaspipeline nach Europa erkennen lassen.

Wie wichtig Algerien als Energielieferant der Zukunft ist, zeigte sich bereits kürzlich im Juli, als Konzerne aus Italien, Frankreich, den USA und Algerien ein gemeinsame, auf 25 Jahre angelegte Vereinbarung zur gemeinsamen Ausbeutung der Vorkommen unterzeichneten.

Allein nach Italien sollten rund vier Milliarden Kubikmeter Gas zusätzlich geliefert werden, hieß es Mitte Juli, als der italienische Premier Mario Draghi das Land besuchte. Bereits im April hatte er sich zusammen mit Außenminister Luigi Di Maio in Algerien aufgehalten und dort einen Liefervertrag unterzeichnet.  Insgesamt erhält Italien im laufenden Jahr 21 Milliarden Kubikmeter Gas aus Algerien.

Der italienische Außenminister Luigi di Maio und sein algerischer Amtskollege Ramtan Lamamra unterzeichnen im April einen Handelsvertrag über Erdgas-Lieferungen
Italiens Außenminister Luigi Di Maio (l.) und sein algerischer Kollege Ramtan Lamamra unterzeichneten im April einen Handelsvertrag über Erdgas-Lieferungen Bild: Presidency of Algeria/Handout/AA/picture alliance

Veraltete Infrastruktur

Doch trotz des enormen Potentials könnte auch Algerien bei weitem nicht im Alleingang Europa mit Öl und Gas versorgen, betont Schäfer. Dies gelte insbesondere für Deutschland, da Länder wie Italien,  Spanienund Frankreich traditionell in Algier "viel bessere Verhandlungspositionen haben".

Zudem ist die technische Infrastruktur des algerischen Energiesektors erheblich in die Jahre gekommen. Für Modernisierung und Ausbau sind erhebliche Investitionen notwendig. Vor wenigen Wochen erklärte auch der algerische Energieminister in einem Interview mit dem "Spiegel", wer mit Algerien Geschäfte machen wolle, müsse zunächst investieren. "Man muss in Europa also zunächst einmal bereit sein, erhebliche Summen vorab zu finanzieren, um gemeinsam mit den Algeriern die Infrastruktur aufzubauen und dann zu profitieren", sagt Matthias Schäfer.

Den in Europa gewünschten Fördermengen stehe womöglich noch ein weiterer Umstand entgegen, so Schäfer: der algerische Eigenbedarf. "Es heißt ja allgemein, die Ressourcen-Verschwendung in Algerien sei relativ hoch", sagt der deutsche Experte und führt aus: "Vieles von dem, was Algerien überhaupt an zusätzlichem Gas fördern kann, läuft darum in den Binnenmarkt und steht nicht für den Export zur Verfügung." In der Summe bräuchte es also erhebliche Zeit, bis Europa von den algerischen Ressourcen profitieren könne.

Erdölfelder im Südosten Algeriens
Nicht nur Gas: Erdölfelder in der Sahara im Südosten AlgeriensBild: Sofam/dpa/picture-alliance

Regime dürfte profitieren

Der algerischen Regierung dürften weitere Energie-Deals mit europäischen Partnern freilich sehr gelegen kommen, sagt Maria Josua, Algerien-Expertin beim German Institute for Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg. Denn diese würden klar die Stabilität des dortigen Regimes stärken, auch gegenüber innenpolitischen Widersachern. Josua verweist hier auf die Protestbewegung "Hirak", die mit ihren Anliegen - etwa rechtsstaatliche Verhältnisse oder Kampf gegen Korruption - seit Jahren erheblichen Druck auf die Regierung ausübt.

"Die nun zu erwartenden Einkünfte dürfte die Regierung dazu nutzen, das bestehende, überwiegend auf Einnahmen aus dem Energiegeschäft beruhende System weiter zu stützen", so Josua im DW-Gespräch. "Um in Teilen der Bevölkerung die entsprechende Akzeptanz zu schaffen, dürfte sie Lohnerhöhungen im öffentlichen Sektor, Rentensteigerungen und höhere Leistungen für Arbeitslose veranlassen", erwartet die Politologin. "Das dürfte den sozialen Druck und damit auch die Protestbereitschaft durchaus mindern." Doch die Not insbesondere der armen Algerier wäre damit nur zu Teilen behoben, betont sie.     

Politisch sei solcher Handel mit Algerien riskant, sagt Josua. "Denn durch die Importe hilft Europa, ein eindeutig autoritäres Regime zu stabilisieren. Man nickt die verheerende Innenpolitik ab und verschließt die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen." Tatsächlich wird die Menschenrechtslage in dem Maghreb-Staat regelmäßig beanstandet. Laut Angaben von Amnesty International wurden etwa im vergangenen Jahr zahlreiche Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Umfeld der Hirak-Bewegung sowie Menschenrechtler strafrechtlich verfolgt, inhaftiert und verurteilt. Diese Lage gelte es beim Handel mit Algerien stets zu bedenken, sagt Josua. "Ansonsten riskiert Europa, ökonomische Stabilität über die Menschenrechte und jene Werte zu stellen, durch die es sich auszeichnet."

Eine Demonstration der Bewegung "Hirak" in Algerien
Kundgebung der Protestbewegung "Hirak" in Algier, Februar 2021Bild: Mousaab Rouibi/AA/picture alliance

Wandel durch Handel?

Ob dies auch der französische Präsident so sieht? Ja, meint das französische Nachrichtenmagazin "Le Point": "Er weiß, dass das System aus Militärs und Geschäftsleuten, das das Land seit Jahrzehnten regiert, nicht beabsichtigt, seine DNA auch nur um ein Jota zu verändern". Dass Macron energiepolitische Geschäfte an grundlegenden politisch-moralischen Wertefragen scheitern lassen könnte, glaubt das Magazin jedoch nicht. Matthias Schäfer von der Adenauer-Stiftung sieht hierin sogar eine gesellschaftspolitische Entwicklungschance, denn mit immer mehr Energieabkommen würde sich auch die soziale Situation in Algerien auf lange Sicht verbessern: "Aus der Energietransformation könnten Jobs kommen, die die Wertschöpfung anregen und damit gerade der jungen, besonders unzufriedenen Bevölkerung entgegenkommen könnten."

Frankreichs Sühne

 

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika