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PolitikEuropa

Erbitterter Streit um Migration prägt EU-Gipfel

30. Juni 2023

Gerade hatten sich die Innenminister der EU auf eine Asylreform geeinigt, da stellen die Regierungschefs Polens und Ungarns sie wieder in Frage. Viktor Orban spricht von "Migrationskrieg". Bernd Riegert aus Brüssel.

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Belgien EU-Gipfel in Brüssel
Viktor Orban (Mi.) widerspricht dem neuen Migrationspakt der EU, der eigentlich schon beschlossen warBild: Geert Vanden Wijngaert/AP/dpa/picture alliance

 

Die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen, Migranten und Asylbewerbern ist seit zehn Jahren eines der umkämpftesten Themen in der Europäischen Union. Wie emotional dieser Streit geführt wird, wurde auch bei diesem EU-Gipfeltreffen wieder deutlich.

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban sprach von einem "Freiheitskampf", den er gegen die EU-Asylpolitik führen müsse. Im Saal habe eine Stimmung wie bei einem "Migrationskrieg" geherrscht. Bei früheren Gelegenheiten hatte Orban in der Manier rechtspopulistischer Verschwörungstheoretiker davor gewarnt, die EU-Kommission wolle Ungarn zwingen, Migranten aufzunehmen und die Bevölkerung auszutauschen. Auch Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki lehnte die vereinbarte Verpflichtung ab, nach der EU-Staaten eine bestimmte Quote Migranten aufzunehmen oder andernfalls PolenAusgleichszahlungen leisten müssen. Polen solle ein sicheres Land bleiben.

Mateusz Morawiecki geht vor einer Reihe Flaggen von EU-Mitgliedsstaaten her
Polens Premier Morawiecki will ein Referendum über AsylpolitikBild: Virginia Mayo/dpa/picture alliance

ÖsterreichischeDiplomaten sprachen davon, dass die Migrationsfragean den Kern der EU rühre und deren Fortbestand und inneren Zusammenhalt betreffe. Österreich ist neben Deutschlandeiner der Staaten mit den höchsten Zahlen an Asylanträgen in der EU. Nur Zypern hat relativ zur Bevölkerung mehr Anträge als die Alpenrepublik. Die Regierung in Wien lehnt deshalb die weitere Aufnahme von Migranten ab. Sie möchte, dass die Staaten der Ersteinreise sich um die Ankömmlinge kümmern und sie schneller abschieben, wenn sie keine Aussicht auf Asyl haben.

Kanzler setzt auf Solidarität

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hält, wie die Mehrheit der in Brüssel versammelten Staats- und Regierungschefs, an dem vor drei Wochen von den Innenministern vereinbarten Asylreform fest. Der Kern der Regelung sei Solidarität der Mitgliedsstaaten untereinander. "Ich glaube, dass am Ende sich alle daran halten werden. Und ich glaube, dass das auch gut möglich ist", sagte Scholz. Die Vereinbarung sei ein Durchbruch, nachdem es Jahrelang keine dauerhafte Lastenteilung gegeben habe.

Olaf Scholz am Rednerpult des EU-Gipfels
Bundeskanzler Scholz: Der Kern ist SolidaritätBild: Geert Vanden Wijngaert/AP/dpa/picture alliance

Vielmehr hätten Länder in dem Moment nach Solidarität gerufen, als sie betroffen waren, sie aber nicht geleistet, wenn andere sie bräuchten. "Die Konsequenz und Lehre daraus muss sein, dass wir solidarisch miteinander umgehen, die Herausforderungen miteinander tragen, unsere humanitären Verpflichtungen und die von uns unterschriebenen internationalen Verträge zum Flüchtlingsschutz gemeinsam bewältigen."

Deutschland verspricht sich von Asylverfahren an den Außengrenzen der EU eine Entlastung. Bislang reisen viele Migranten aus Ersteinreiseländern wie Italien oder Griechenland nach Deutschland weiter, ohne an den Außengrenzen überhaupt registriert worden zu sein.

Georgia Meloni vor einer Reihe Pressemikrofonen
Italiens Premier Meloni: Bei einem Gipfel werde man sich nie auf eine Lösung für Migrations-Probleme innerhalb der EU einigenBild: Virginia Mayo/dpa/picture alliance

Italien will Ankünfte beschränken

Die rechtsextreme Regierungschefin von Italien Giorgia Meloni versuchte auf dem Gipfel, eine Art mittlere Position zwischen den widerborstigen Polen und Ungarn und dem großen Rest der EU-Mitgliedsstaaten einzunehmen. Sie sagte, die interne Dimension der Migration, also die Verteilung auf die Staaten, werde man niemals regeln können. Deshalb solle man sich auf die externe Dimension konzentrieren. Denn alle Mitgliedsstaaten, auch Polen und Ungarn, würden zustimmen, dass der Schutz der Außengrenzen verbessert und Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern zur schnellen Rückführung von Migranten abgeschlossen werden müssten. Nach Auffassung der italienischen Regierung müsse die Einreise in die EU verhindert werden, damit erst gar keine Probleme bei der Verteilung geben könne.

EU-Gipfel: Streit über Migrationspolitik

Formal haben die Staats- und Regierungschefs trotz langer Diskussion nichts beschlossen. Es gab keine schriftliche Erklärung zur Migration, denn dafür hätte es Einstimmigkeit gebraucht. So liegt der Ball wohl nun wieder im Feld der Innenministerinnen und ‑minister, die sich in drei Wochen treffen werden.

Bundeskanzler Olaf Scholz geht indes davon aus, dass sich am Ende auch Polen und Ungarn an die neuen Regeln halten. Bis die Regeln allerdings Gesetzeskraft erhalten, können ohnehin noch zwei Jahre vergehen. Zunächst muss sich der EU-Ministerrat mit dem Europäischen Parlament auf einen Gesetzestext einigen. Das soll bis Ende des Jahres geschehen. Dann folgen Abstimmungen im Plenum und im Ministerrat und schließlich die Übertragung in nationales Recht in den Mitgliedsstaaten.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union