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Politik

Erdogan: Starke Worte - schwache Währung

Daniel Heinrich
28. Mai 2018

Die türkische Währung fällt immer tiefer, das Vertrauen in die Wirtschaftskraft des Landes schwindet. Präsident Erdogan sieht ausländische Mächte am Werk. Experten schreiben ihm jedoch eine Mitschuld an der Misere zu.

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Türkei, Erzurum: Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Wahlveranstaltung
Bild: picture-alliance/AP Photo

Eines muss man Recep Tayyip Erdogan lassen, an ungewöhnlichen Ideen mangelt es dem türkischen Präsidenten nicht. Während eines Wahlkampfauftritts am Wochenende hat er die Bürger seines Landes dazu aufgefordert, ihre Dollar- und Euro-Ersparnisse in die heimische Währung umzutauschen: "Meine Brüder, die Dollar oder Euro unter ihren Kopfkissen haben, geht und legt euer Geld in Lira an. Wir werden zusammen dieses Komplott vereiteln", rief er seinen Fahnen schwenkenden Anhängern im osttürkischen Erzurum zu.

Anlass für Erdogans Apell ist der dramatische Wertverlust der türkischen Lira. In den vergangenen sechs Monaten hat die türkische Währung um knapp 20 Prozent nachgegeben. Erdogan sieht darin allerdings keine ökonomischen Gründe, sondern eine Verschwörung heimischer und ausländischer Finanzkräfte.

Infografik Türkische Währung auf historischem Tiefstand DE
Kursentwicklung Euro - Lira

Kontrolle über Notenbank angestrebt

Zusätzlich zu seinem Apell verkündete der türkische Präsident daher, dass er nach einer möglichen Wiederwahl bei den Präsidentschaftswahlen Ende Juni die Kontrolle über die bislang unabhängige Notenbank erlangen wolle.

Gerade letzteres verursacht bei Marcel Fratzscher großes Stirnrunzeln. Fratzscher ist der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Für ihn trägt Erdogan selbst eine Teilschuld an der wirtschaftlichen Misere der Türkei. Die Ankündigung des Präsidenten, die Unabhängigkeit der türkischen Zentralbank aufzuheben und selbst deren Entscheidungen treffen zu wollen, sei "einer der zentralen Gründe für die Währungskrise der Türkei". Als Konsequenz einer verfehlten Wirtschaftspolitik befürchtet Fratzscher, dass immer mehr Türken das Land verlassen oder zumindest ihre Ersparnisse außer Landes bringen würden.

Türkisches Außenwirtschaftskonzept in Gefahr

In der Tat ist die Lage der türkischen Wirtschaft ernst. Das liegt auch daran, dass das Außenwirtschaftsmodell der vergangenen Jahre ins Rutschen gekommen ist. Seit Jahren hatte das Land mehr Waren importiert als exportiert. Im Gegenzug investierten Ausländer Geld in der Türkei, weil sie auf Rendite hofften. Dieses Konstrukt lief jahrelang gut, das Land befand sich wirtschaftlich auf einem guten Weg. Doch nach dem Putschversuch 2016 und der daraus resultierenden Verhaftungs- und Entlassungswelle schwand das Vertrauen ausländischer Investoren in das Land immer mehr. Inzwischen ist das Leistungsbilanz-Defizit auf fünf Prozent gewachsen. Die Inflationsrate liegt derzeit bei rund elf Prozent - mehr als doppelt so hoch wie die fünf Prozent, die die türkische Zentralbank als Ziel anpeilt.

Türkei, Erzurum: Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einer Wahlveranstaltung
Seine Anhänger feiern ihn noch immer: Der türkische Präsident bei einem Wahlkampfauftritt im osttürkischen ErzurumBild: picture-alliance/AP Photo

Erdal Yalcin ist Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Hochschule Konstanz (HTWG). Gegenüber der DW skizziert der Wirtschaftswissenschaftler die Dramatik der gegenwärtigen Situation: "Wenn die türkische Lira weiter abwertet, kann es zu einem sogenannten Fire Sale kommen, bei dem das ausländische Kapital  binnen weniger Tage das Land verlässt."

Erdogan gegen Zinserhöhungen

Erdogans Verhalten in wirtschaftspolitischen Fragen trägt zusätzlich dazu bei, die Schwierigkeiten zu erhöhen. Um Inflation und Wertverfall der eigenen Währung zu stoppen, erhöht eine Zentralbank normalerweise deutlich die Zinsen. In der Türkei stemmt sich Präsident Erdogan jedoch vehement gegen diese wirtschaftspolitische Grundformel. Er spricht sich nicht nur regelmäßig öffentlich gegen Zinserhöhungen aus, er setzt die formal unabhängigen Geldwächter sogar unter Druck, Zinsen zu senken. Ein möglicher Grund dafür: Erdogan fürchtet, dass durch Zinserhöhungen das Wirtschaftswachstum von 7,4 Prozent im vergangenen Jahr abgewürgt werden könnte. Die bisherige Wirtschaftspolitik ist einer der Gründe für den Erfolg von Erdogan und seiner Regierungspartei AKP. Noch immer ist der Präsident bei seinen Anhängern unter anderem deshalb so beliebt, weil er vielen von ihnen über die Jahre hinweg zu wirtschaftlichem Wohlstand verhalf.

Ratingagenturen stufen Türkei herab

Für Marcel Fratzscher setzt der türkische Präsident diese Erfolgsgeschichte gerade durch sein jüngstes Verhalten aufs Spiel. Für Fratzscher steht fest, dass neben ausländischen auch viele türkische Unternehmer und Investoren das Vertrauen in Erdogans Wirtschaftspolitik verloren haben. "Die türkische Währung wird ihren Fall fortsetzen, wenn die türkische Regierung ihre Manipulation der Wirtschaft fortsetzt, aber auch wenn sie die Demokratie und Menschenrechte weiterhin beschneidet", so Fratzscher.

Marcel Fratzscher Präsident DIW
Marcel Fratzscher: Kritik an Wirtschaftspolitik ErdogansBild: DW/P. Kouparanis

Internationale Ratingagenturen stimmen mit dieser Sichtweise überein. Die Zinsen für türkische Staatsanleihen ist auf Rekordniveau gestiegen. Das bedeutet, dass Anleger nicht mehr bereit sind, dem Land zu den bisherigen Konditionen Geld zu leihen. Die US-Ratingagentur S&P hatte Anfang Mai ihre Bewertung der türkischen Kreditwürdigkeit auf die Note "BB-" gesenkt. Moody's, die andere große Ratingagentur, hatte das Land bereits im März herabgestuft.

Dass Erdogan selbst von diesen Bewertungen wenig hält, machte er bei seinem Wahlkampfauftritt in Erzurum am Wochenende deutlich: Ähnlich wie im Falle der strauchelnden türkischen Währung wollten auch die internationalen Ratingagenturen die türkische Wirtschaft "destabilisieren" und seine Abwahl befürworten, so der türkische Präsident. Erdogan schloss seine Ausführungen mit einer Drohung: Wenn der Finanzsektor Teil der "Manipulation" der Märkte würde, würde er einen "hohen Preis" dafür bezahlen müssen.