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Prozess-Beobachtung: Erdogan warnt Diplomaten

28. März 2016

Der Streit um die Präsenz ausländischer Diplomaten als Beobachter im Prozess gegen zwei regierungskritische Journalisten in der Türkei verschärft sich. Präsident Erdogan machte seinem Ärger erneut Luft.

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Türkei Präsident Tayyip Erdogan Rede
Bild: Getty Images/AFP/A.Altan

In einer Rede in Istanbul attackierte der türkische Präsident insbesondere den britischen Generalkonsul Leigh Turner. Ohne Turner namentlich zu nennen, kritisierte Erdogan, dass dieser sich für einen Journalisten einsetze, der wegen Spionagevorwürfen vor Gericht stehe. "Und als ob das noch nicht genügt, macht er auch noch ein Foto Wange an Wange mit ihm, und stellt es ins Netz", sagte Recep Tayyip Erdogan laut der Nachrichtenagentur Anadolu.

Regierungskritische Journalisten vor Gericht

Turner hatte am Freitag mit mehreren ausländischen Diplomaten, darunter auch der deutsche Botschafter Martin Erdmann, den Auftakt des höchst umstrittenen Prozess gegen die zwei regierungskritischen Journalisten Can Dündar und Erdem Gül besucht. Dem Chefredakteur der Zeitung "Cumhuriyet", Dündar, und seinem Hauptstadt-Büroleiter, werden unter anderem Spionage, der Verrat von Staatsgeheimnissen und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Bei einer Verurteilung droht beiden lebenslange Haft.

Von seinem Prozessbesuch veröffentlichte Turner mehrere Fotos im Online-Netzwerk Twitter, darunter ein Selfie mit Dündar und kommentierte die Verhandlung mit den Worten: "Die Türkei entscheidet selbst, was für ein Land sie sein will." Erdogan erklärte, damit sei eine Grenze überschritten worden. "Wenn diese Person noch immer ihren Dienst in der Türkei fortführen kann, ist das unserem Edelmut und unserer Gastfreundschaft zu verdanken", sagte der Präsident laut Anadolu. Anderswo würden Diplomaten, die ein solches Benehmen an den Tag legten, nicht einen Tag länger geduldet.

Justizminister: Verhalten der Diplomaten unakzeptabel

Anadolu berichtete zudem unter Berufung auf Diplomatenkreise, das türkische Außenministerium habe sich bei einigen ausländischen Vertretungen wegen der Prozessteilnahme ihrer Diplomaten offiziell beschwert. Wie genau die Beschwerde aussah, war zunächst unklar. Auch eine Bestätigung des Außenministeriums lag zunächst nicht vor. Die Regierung in Ankara ärgere sich vor allem über Veröffentlichungen von Diplomaten bei Twitter, wie ein türkischer Diplomat sagte. Dies könne als Einmischung in die unabhängige Arbeit des Gerichts gewertet werden und verstoße gegen die "Unparteilichkeit" von Diplomaten.

Justizminister Bekir Bozdag bezeichnete das Verhalten der Diplomaten türkischen Medienberichten zufolge als "inakzeptabel". Auch Ministerpräsident Ahmet Davutoglu hatte die Prozess-Teilnahme der Diplomaten angeprangert. Und Erdogan hatte bereits am Samstag die ungebetenen Prozessbeobachter mit einem Wutausbruch bedacht: "Dies ist nicht Ihr Land, dies ist die Türkei", empörte er sich in einer Rede. Die Diplomaten könnten im Rahmen ihrer Vertretungen tätig werden, ansonsten sei eine Erlaubnis nötig.

Internationale Kritik an Prozess

Hintergrund der Anklage gegen Dündar und Gül ist ein Bericht der "Cumhuriyet" aus dem vergangenen Jahr über angebliche Waffenlieferungen der Türkei an Extremisten in Syrien. Erdogan, der gegen Dündar und Gül persönlich Anzeige erstattet hatte, sowie der türkische Geheimdienst MIT treten als Nebenkläger auf.

Türkei PK Can Dundar und Erdem Gul
Den Journalisten Can Dündar (r.) und Erdem Gül droht lebenslange HaftBild: picture-alliance/AP Photo/C. Erok

Gegen den Prozess hatten der Europarat, internationale Journalistenverbände sowie unter anderen mehr als hundert Autoren in einem offenen Brief protestiert, unter ihnen Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa. Die Organisation Reporter ohne Grenzen und Menschenrechtsorganisationen fordern eine Einstellung des Verfahrens, das aus ihrer Sicht politisch motiviert ist.

Verhandlung künftig unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Der Prozess findet hinter verschlossenen Türen statt. Die Richter gaben zum Prozessauftakt einem entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft statt. Die Unterstützer der beiden Angeklagten im Gerichtssaal reagierten empört auf den Ausschluss der Öffentlichkeit.

Kritiker werfen der türkischen Regierung ein zunehmend repressives Vorgehen gegen oppositionelle Medien vor. Auf einer Rangliste zum Stand der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt die Türkei auf Platz 149 von 180 Staaten. Dutzende Journalisten sind in dem Land inhaftiert.

ww/fab (afp, dpa, rtr)