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Erdogans Selbstdemontage

Baha Güngör2. Januar 2014

Die Macht gleitet dem türkischen Premier aus den Händen - doch auch die möglichen Alternativen verheißen nichts Gutes für die Türkei, meint Baha Güngör.

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Baha Güngör, Leiter der Türkischen Redaktion (Foto: DW)
Baha Güngör, Leiter der Türkischen Redaktion der DWBild: DW

Seine Regierungsbilanz zum Jahresende hat sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sicherlich ganz anders vorgestellt. Statt weiterer beneidenswerter Wachstumsraten, einer gefestigten Landeswährung und einer wachsenden Bedeutung der Türkei als Regionalmacht lautet die Frage längst nicht mehr, ob Erdogan mit seiner Regierung zurücktritt, sondern nur noch wann er die Reißleine zieht.

Der Chef der religiös-konservativen Regierungspartei AKP (Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung) stützt sich auf eine bequeme absolute Mehrheit im Parlament und konnte seit seinem ersten Wahlsieg 2002 nahezu ungestört und ohne eine ernstzunehmende politische Opposition beliebig schalten und walten. Doch Erdogan macht die gleichen Fehler wie so viele Alleinherrscher und hält sich für unfehlbar. Kritik an seiner Politik duldet er immer weniger und lässt anders denkende Journalisten, Intellektuelle und Politiker einsperren. Sogar große Teile der früheren Führungsriege der Armee wurden wegen angeblicher Putschvorbereitungen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Unmenschliche Härte gegen Demonstranten im Sommer 2013

Statt sich zu einem großen politischen Führer zu entwickeln - getragen von einer Erfolgswelle im In- und Ausland - begann Erdogan im Sommer 2013 mit seiner Selbstdemontage. Die Auseinandersetzung mit den demokratischen Kräften und zivilen Gesellschaftsgruppen wegen eines Bauvorhabens auf einem Parkgelände am zentralen Istanbuler Taksim-Platz und die unmenschliche Härte des Premiers und der Polizei gegen die Demonstranten zeigten, dass bei Erdogan die Nerven schon längst blank lagen.

Endgültig versagten seine Nerven im Verlauf der Aufdeckung eines in der 90-jährigen Geschichte der türkischen Republik beispiellosen Korruptionssumpfes durch Polizei und Justiz. Als die gravierenden Vorwürfe wie Geldwäsche, Goldschmuggel, illegale Bankgeschäfte mit dem Iran und Schmiergeldzahlungen für staatliche Bauprojekte sein persönliches Umfeld erreichten, reagierte Erdogan mit einem Fluchtversuch nach vorne. Doch der Austausch von zehn der 26 Kabinettsposten konnte die Entwicklungen nicht mehr umkehren. Die türkische Lira fiel gegenüber dem Euro und dem US-Dollar auf ein Rekordtief. Zuletzt machte ihm auch noch die höchste Instanz der Verwaltungsgerichtsbarkeit einen Strich durch die Rechnung und erklärte Erdogans Entscheidung, Polizisten und Staatsanwälten mit Meldepflichten über eingeleitete Ermittlungen die Hände zu binden, für nichtig.

Keine schlagkräftige Opposition

Wenn Erdogan zum Opfer seiner Selbstüberschätzung werden und stürzen sollte, verheißen die Alternativen aber auch nichts Gutes für den NATO-Staat: Eine überzeugende, schlagkräftige politische Opposition gibt es nicht. Der stärkste Gegner Erdogans ist der Prediger Fethullah Gülen, der den Versuch des Premiers bestrafte, die Schulen der Gülen-Gemeinde unter seine Kontrolle zu bringen. Diese Schulen sind nämlich die Kaderschmieden Gülens, der seit über 13 Jahren in den USA lebt und die Rückkehr in die Türkei bislang nicht wagt.

Gülen ist ein religiöser Führer, dessen wahre Ziele - wie einst bei Erdogan - nicht zu definieren sind. Strebt er einen Gottesstaat mit dem Koran als Grundgesetz an? Will er wirklich den Beweis erbringen, dass Religion und Demokratie sich sehr wohl ergänzen und die Türkei als Modell für andere islamische Staaten und Gemeinschaften dienen könnte?

Wer in der freien Natur in einen Sumpf fällt, darf auf keinen Fall versuchen, sich selbst zu befreien. Das Strampeln führt nur dazu, dass man tiefer im Sumpf versinkt und die Rettung immer schwieriger wird. Erdogan strampelt schon seit vielen Monaten. Seine Rettung und damit sein Verbleib im Amt werden immer schwieriger.