Tschad: Arm trotz Öl
27. November 2013Ende der 90er Jahre auf einem Markt im Süden des Tschad: Hirse, Zwiebeln, Tomaten, Rindfleisch - das Angebot auf den Märkten lieferten vor allem die Bauern aus der Umgebung. Importwaren gab es lediglich aus den Nachbarländern Nigeria und Kamerun: Batterien, Seife und bunte Stoffe. Anderes konnten sich die Menschen ohnehin nicht leisten. Höchstes Luxusgut waren die blauen Fahrräder von Cyclotchad aus der Provinzhaupstadt Moundou. Ansonsten schien die Gegend von der Welt ausgeschlossen. Asphaltierte Straßen gab es keine, wer in die 500 Kilometer entfernte Hauptstadt N'Djamena wollte, brauchte mindestens zwei Tage.
Doch dann kam Esso, eine Tochter des amerikanischen ExxonMobil-Konzerns, und kündigte an, in der Gegend Erdöl fördern zu wollen. Explorationsteams schwärmten aus und bohrten Löcher in die Savanne. Für die Menschen rund um Moundou eröffneten sich plötzlich neue Horizonte. Youssouf Banengone, damals Kreisvorsteher eines Dorfes mitten im zukünftigen Ölfördergebiet, brachte die Hoffnungen seiner Gemeinde auf den Punkt: "Wir erwarten von Esso, dass sie Schulen bauen, Gesundheitsstationen, Brunnen und Straßen zwischen den Dörfern."
Hoffnung auf Bildung, Wasser und Gesundheit
Genährt wurden diese Hoffnungen auch von der Regierung des Tschad. Immerhin wollte das von Esso angeführte Konsortium aus drei großen Ölkonzernen weit mehr als drei Milliarden Euro ausgeben, damals die größte je in Afrika getätigte Investition. Das Staatsbudget werde um 50 Prozent wachsen, verkündete der damalige Erdöl-Minister.
Doch in die Euphorie mischte sich schon früh Skepsis. Bürgerrechtler und Umweltschützer meldeten sich zu Wort. Immerhin hatte der Tschad keinerlei Erfahrungen mit dem Management eines so großen Projektes. Strukturen für eine demokratische Kontrolle der Staatseinnahmen gab es nicht. Rund um die Erdölregion waren Rebellengruppen aktiv. Zwar wollte niemand im Tschad die Erdölförderung ablehnen, denn das Land hatte ansonsten keine Perspektiven für einen schnellen Weg aus der Armut. Doch die Kritiker mahnten zur Vorsicht. Einer von ihnen war Djéralar Miankeoel, der damals für eine lokale Entwicklungshilfeorganisation arbeitete. Er warnte vor der Zuwanderung und dem Ressourcendruck, die eine so große Investition nach sich ziehen würde: "Die Menschen werden schon in fünf bis zehn Jahren so wenig Land zur Verfügung haben, dass sie ihren Lebensbedarf nicht mehr decken können."
Vorzeigeprojekt der Weltbank
Die Weltbank dagegen sah eher die Chance, Wohlstand in eines der ärmsten Länder der Welt zu bringen. Sie unterstützte die Regierungen des Tschad und Kameruns dabei, die 1000 Kilometer lange Pipeline zu finanzieren, durch die das Öl an die Atlantikküste Kameruns fließen sollte. Nahe dem kamerunischen Hafen Kribi entstand ein Terminal für das Verladen auf Tankschiffe. Als Gegenleistung mussten sich die Regierungen beider Länder verpflichten, die Einnahmen durch Öl und Pipeline in die Bekämpfung der Armut zu investieren. Obwohl die Weltbankgelder nur drei Prozent der Gesamtinvestitionen ausmachten, hatten auch die Ölkonzerne ein Interesse daran, die Weltbank ins Boot holen. So wollten sie ihren Geldgebern signalisieren, dass alle internationalen Standards eingehalten würden.
Für die noch schwache Zivilgesellschaft im Tschad hatten die von der Weltbank gesetzten Bedingungen ebenfalls Vorteile. Die Bauern der Ölregion und die sie unterstützenden Nichtregierungsorganisationen aus Europa, den USA und dem Tschad konnten sich auf die Standards der Weltbank berufen und höhere Entschädigungssummen für von der Industrie genutztes Land durchsetzen. Bürgerrechtler durften sogar in den Gremien mitarbeiten, die die Verwendung der Ölgelder überwachen sollten.
Öl fließt - Hoffnungen enttäuscht
Am 10. Oktober 2003 floss schließlich das erste Öl durch die Pipeline Richtung Atlantik. Den Zahlen zufolge wuchs die Wirtschaft des Tschad in den folgenden Jahren rasant. In 2004 und 2005 stieg das Nationaleinkommen pro Kopf laut Weltbank um jeweils rund 25 Prozent. Doch in der Ölregion selbst war die Bilanz noch Jahre später eher gemischt. Zwar gab es neue Gesundheitsstationen, Verwaltungsgebäude und Straßen, doch die meisten Menschen mussten weiter ohne Strom und sauberes Wasser leben.
Auch die Weltbank war zunehmend unzufrieden mit der Entwicklung ihres Vorzeigeprojekts. 2008 zog sie sich zurück. Kurz zuvor hatte Präsident Idriss Déby alle Vereinbarungen über die Kontrolle und Verwendung der Öleinnahmen aufgekündigt. Er wollte das Geld lieber für Waffen als für Schulen und Krankenstationen ausgeben, denn immer wieder bedrohten Rebellengruppen sein Regime.
Nur wenige wurden reich
Djéralar Miankeoel, der schon 1998 vor den negativen Folgen der Ölförderung gewarnt hatte, bezeichnet die Lage im Ölfördergebiet heute - zehn Jahre nach Eröffnung der Pipeline - als katastrophal: "Die Umwelt dort ist völlig zerstört. Die Leute werden von Tag zu Tag ärmer."
Lediglich eine kleine Gruppe von Menschen sei reich geworden, klagt Miankeoel. Diesen Eindruck bestätigt auch der Deutsche Martin Petry, der seit mehr als 20 Jahren mit verschiedenen Organisationen im Tschad zusammenarbeitet und heute Berater für Friedens- und Menschenrechtsorganisationen in Afrika ist. Mit Regierung und lokalen Behörden verbündete Spekulanten zwängen die Bauern zum Verkauf ihrer Äcker oder vertrieben sie einfach, berichtet Petry: "Die Bauern haben keine Alternativen und leben dann als Tagelöhner in den großen Städten."
Kritik nicht erwünscht
Der Informationsminister der Regierung von Präsident Déby, Hassan Sylla Bakari, zieht dagegen eine ganz andere Bilanz nach zehn Jahren Ölförderung: "Das Erdöl hat dem Tschad innerhalb weniger Jahre einen enormen Aufschwung beschert: Krankenhäuser, Sekundarschulen, Brunnen, Wasserspeicher - alles das wurde gebaut und macht heute den Stolz der Tschader aus", erklärte Bakari im DW-Interview. Delphine Djiraibé, eine Anwältin und Menschenrechtsaktivistin, wirft der Regierung dagegen völliges Versagen vor: "Die Milliardensummen, die ins Land flossen, stärken nur das schädliche Verhalten einer Regierung, die nicht demokratisch ist, die korrupt ist und die die Menschenrechte nicht respektiert", schimpft Djiraibé. Zusammen mit der Arbeitsgruppe Tschad, einem Bündnis aus deutschen Nichtregierungsorganisationen, fordert sie, dass die Weltbank nie wieder ein solches Projekt fördern dürfe, ohne dass dort ein Minimum an guter Regierungsführung und Achtung der Menschenrechte gelte.
Kritiker werden von der Regierung des Tschad immer wieder bedroht oder gar inhaftiert. Einige haben für kurze Zeit oder auch dauerhaft das Land verlassen, weil sie ihr Leben in Gefahr sahen. Wie ungern die Regierung kritische Fragen hört, zeigte Informationsminister Bakari im Interview mit der DW. Schon bei der zweiten Frage brach er das Gespräch ab. Der Interviewer hatte ihn darauf angesprochen, dass der Tschad beim von den UN veröffentlichten Index für Menschliche Entwicklung auch 2012 wieder nur auf Platz 184 von 187 Plätzen gelandet ist.