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Vom Vogel zum Flugzeug: Wie die Natur Design inspiriert

21. Mai 2023

Pflanzen und Tiere haben sich im Laufe von Milliarden von Jahren an alle möglichen rauen Umgebungen angepasst. Forschende suchen bei ihnen immer öfter nachhaltige Lösungen für knifflige Technikprobleme.

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Ein schwimmender Blauhai scheint in die Kamera zu blicken
Die antibakterielle Haut des Blauhais ist nur eines von vielen Beispielen, wie die Natur die Forschung inspiriertBild: Michael Weberberger/imageBROKER/picture alliance

Die Natur hat einige der größten Erfindungen der Welt beeinflusst. Flugzeuge ahmen einen Vogel im Flug nach. Die Idee für den Klettverschluss entstand, als ihr Erfinder nach einem Spaziergang Kletten aus dem Fell seines Hundes entfernte. Und Mücken verdanken wir Mikronadeln, die den Schmerz von Injektionen minimieren.

Auf der Suche nach nachhaltigen Lösungen für knifflige technische Herausforderungen überlassen Designer zunehmend der Natur und ihrer Fantasie die Führung. Der Bereich der Biomimetik, auch Biomimikry genannt, lässt sich von den Strukturen und biologischen Prozessen in der Natur inspirieren.

Nahaufnahme der trockenen Früchte der Großen Klette, auf deren Spitzen Schneeflocken sowie eine kleine Moosflechte ruhen
Die winzigen Haken der Großen Klette haben die Modeindustrie revolutioniertBild: Rolf Poetsch/CHROMORANGE/picture alliance

"Allen Mensch gemeinsam ist die Vorstellungskraft", sagt Robert Blasiak, Forscher am Stockholm Resilience Center, das sich mit der Frage beschäftigt, wie sich die Gesellschaft sich wieder mehr mit der Natur verbinden kann. "Und ich denke, die Biomimetik ist ein Bereich, in dem Träumen gefragt ist, damit das Ganze funktioniert."

Wie Vögel als Vorlage für Hochgeschwindigkeitszüge dienten

Ein klassisches Beispiel für Biomimetik ist der japanische Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen, der 1964 eingeführt wurde. Mit einer Höchstgeschwindigkeit von 320 Kilometern pro Stunde hat das Hochgeschwindigkeitszugnetz den Massentransport in Japan revolutioniert und eine saubere Alternative zum privaten Auto geschaffen.

Frühere Konstruktionen waren nicht so schlank und aerodynamisch wie die heutigen, was zu Vibrationen und Lärm während der Fahrt führte - vor allem, wenn der Zug durch Tunnel schoss und einen Überschallknall auslöste.

1994 wurde der Ingenieur Eiji Nakatsu damit beauftragt, den Knall sowie die Vibrationen und Druckwellen zu beseitigen und für sanfteres Fahren zu sorgen. Als begeisterter Vogelbeobachter nahm Nakatsu Änderungen am Design des Zuges vor, die von Eulenflügeln und der spindelförmigen Körperform von Adelie-Pinguinen inspiriert waren.

Ein männlicher Eisvogel taucht mit dem Schnabel in stilles Wasser ein, die Oberfläche spiegelt sein Bild wider
Beim Fischefangen tauchen Eisvögel mit ihren stromlinienförmigen Schnäbeln ohne großes Plätschern ins WasserBild: Paul Sawer/Avalon/picture alliance

Um den Überschallknall zu eliminieren, formte er die Nase des Zuges nach dem langen spitzen Schnabel, der es den Pinguinen ermöglicht, zum Fischfang ins Wasser zu tauchen, ohne dass es dabei spritzt. Die Geräusche hörten auf, die Züge konnten sogar zehn Prozent schneller fahren und verbrauchten dabei 15 Prozent weniger Strom.

Von Schmetterlingen und Blättern zu effizienteren Solarzellen

Da die Welt versucht, von fossilen Brennstoffen wegzukommen, wird die Photovoltaik laut der Internationalen Energieagentur "in den meisten Teilen der Welt zur kostengünstigsten Option für die neue Stromerzeugung".

Um sie noch effizienter zu machen, orientierten sich Ingenieurinnen und Ingenieure an den Flügeln des Rosenfalters. Dieser in Südostasien beheimatete Falter absorbiert Sonnenenergie, um sich warm zu halten. Zu diesem Zweck hat das Tier schwarze Flügel entwickelt, die mit winzigen, nur einen Mikrometer breiten Löchern versehen sind. Diese Löcher streuen das Licht, wenn es auf die dunkle Oberfläche trifft, und erleichtern es dem Schmetterling, die Sonnenenergie zum Aufwärmen zu nutzen.

Ein Rosenfalter, ganz schwarz mit cremefarbenen und roten Flecken auf den Flügelspitzen, ruht auf einem grünen Blatt
Die Flügel des Rosenfalters sind ideal aufgebaut, um die Sonne aufzusaugenBild: Thomas Marent/Mary Evans Picture Library/picture alliance

Davon inspiriert wurden neue Solarzellen mit feinsten Löchern entwickelt, die dünner und leichter als die bisherigen Solarzellen sind. Und nicht nur das - sie absorbieren auch mehr Energie als herkömmliche Solarzellen.

Forschende der Princeton University wiederum ließen sich von der Struktur von Blättern inspirieren, um die Effizienz von Solarzellen zu verbessern. Sie fügten mikroskopisch kleine Falten in die Oberfläche der Paneele ein, um die Lichtwellen zu kanalisieren, und so die Stromerzeugung um fast 50 Prozent zu steigern.

"Indem wir diese Kurven hinzufügen, schaffen wir eine Art Wellenleiter", erklärt Yueh-Lin Loo, Professor für Bioingenieurwesen, der dem Forschungsteam angehörte. "Und das führt dazu, dass das Licht besser aufgefangen wird."

Wie sich in der Wüste Nebel ernten lässt

Ein weiteres Insekt, das als Vorlage für nachhaltige Lösungen diente, ist der Namib-Wüstenkäfer, der im Südwesten Afrikas lebt - einem der trockensten Orte der Erde. Dieser kleine schwarze Käfer kann Wassertröpfchen aus dem Morgennebel auffangen. Dazu streckt er seine langen Beine aus und hält seinen gewölbten Körper in den Wind. Die Tröpfchen verbinden sich, und rollen, wenn sie groß genug sind, am Körper des Käfers herunter bis an sein Maul.

Ein Namib-Wüstenkäfer streckt auf dem Sand sein Hinterteil in die Luft, Wassertropfen hängen an seinen Beinen und seinem Maul
Der Namib-Wüstenkäfer überlebt die trockenen Bedingungen, indem er Wasser aus dem Nebel trinktBild: M. Harvey/WILDLIFE/picture alliance

Diese evolutionäre Anpassung an das Wüstenleben inspirierte Design-Schaffende dazu, ein System zu entwickeln, das mit Hilfe von Sieben Wasser auffängt, das üblicherweise aus den Abgasen von Kühltürmen in Industrieanlagen entweicht. Dadurch könnten jedes Jahr Hunderte von Millionen Litern Wasser gespart werden.

Die halbrunde Panzerform des Käfers war auch Vorlage für die Entwicklung eines netzartigen Materials, das in trockenen Regionen der Welt aufgespannt werden kann, um Wasser aus der Luft aufzufangen.

Nachhaltige Inspirationen aus der Unterwasserwelt

Immer weiter dringen Forschende in die noch unerforschten Tiefen der Weltmeere vor und entdecken Designgeheimnisse, die es dem Leben im Wasser seit Jahrtausenden ermöglichen, zu gedeihen. Der Buckelwal zum Beispiel ist dafür bekannt, dass er trotz seiner Größe extrem wendig ist. Er hat eine Reihe von Höckern entlang den Vorderkanten seiner Flossen.

Ein Buckelwal springt an einem grauen Tag aus dem Wasser des Campbell Rivers in  Kanada
Für seine Größe ist der Buckelwal erstaunlich akrobatisch Bild: Dave Hutchison/All Canada Photos/picture alliance

In der Strömungsdynamik ging man lange davon aus, dass Windturbinen für eine optimale Leistung glatt und stromlinienförmig sein müssen. Doch die Forschung erkannte, dass die Höcker des Buckelwals, auch Tuberkele genannt, winzige Wirbel erzeugen, die den Luftwiderstand und die Schallentwicklung verringern und der Flosse helfen, das Wasser zu durchschneiden. Diese Erkenntnis ebnete den Weg für neue, effiziente Designs von Wind- und Gezeitenturbinen, Flugzeugen, Wasserfahrzeugen und Surfbrettern.

Andere, weniger mobile Meeresbewohner könnten zu nachhaltigen Lösungen im Baugewerbe beigetragen. Korallen besitzen ein hartes Exoskelett aus Kalziumkarbonat. Gebildet wird es aus Kalzium, Kohlenstoff und Sauerstoff - Stoffen, die im Meerwasser vorhanden sind.

Dies könnte der Bauindustrie als Inspiration für nachhaltigeren Zement dienen. Wird dabei Kohlenstoff verwendet, der aus der CO2-Abscheidung in Industrieanlagen gewonnen wird, könnte zusätzlich CO2 gebunden, statt in die Atmosphäre gepustet zu werden, wo es die Erderhitzung vorantreiben würde.

Steinkorallen, die einem riesigen rosa Gehirn ähneln, ruhen auf dem Meeresboden, während über ihnen ein Schwarm blauer Fische mit gelb-grünen Schwänzen vorbeischwimmt
Das harte Exoskelett der Korallen aus Sauerstoff, Kohlenstoff und Kalzium könnte Vorlage für eine neue Art von Zement seinBild: blickwinkel/imagesandstories/picture alliance

Seegras und andere Wasserpflanzen besitzen Beschichtungen an ihrer Oberfläche, die es Bakterien und anderen Mikroorganismen schwer machen, Fuß zu fassen. Sie könnten die Vorlage für neue Mittel sein und giftige Chemikalien ersetzen, die bislang eingesetzt werden, um Boote und Industrieanlagen an der Küste von störenden Meeresalgen, Bakterien und Seepocken freizuhalten.

Auch Haifischhaut hat ähnliche Eigenschaften: Ihre raue Oberfläche erweist sich als unwirtlich für Bakterien. Dies hat das Design neuer, antibakterieller Oberflächen, etwa in Krankenhäusern, beeinflusst.

Eine "emotionale Verbindung" mit der Natur schaffen

Abgesehen von der Vorlage für Innovationen sieht Robert Blasiak vom Stockholm Resilience Center noch einen weiteren Vorteil in der Anwendung der Biomimikry im Alltag: die Möglichkeit, dass Menschen eine emotionale Verbindung zu anderen Lebensformen oder Ökosystemen herstellen.

"Wenn man diese emotionale Verbindung hat, ist das oft auch die Grundlage für mehr Fürsorge und Verantwortungsbewusstsein und den Wunsch nach einer nachhaltigeren Beziehung zu diesen Ökosystemen", sagt Blasiak.

Redaktion: Jennifer Collins

Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk

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