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"Erheblicher Personalabbau": Kann das Bayer retten?

18. Januar 2024

Vom Vorzeigeunternehmen zum Sorgenkind: Mit massivem Personalabbau will der Agrar- und Pharmakonzern Bayer wieder gesunden. Dabei liegt die Übernahme des Konkurrenten Monsanto noch schwer im Magen.

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Bayer ist bekannt für Aspirin, den Hauptumsatz macht der Konzern aber im AgrarbereichBild: picture alliance/dpa

Die Bayer AG soll wieder in die Gewinnspur gebracht werden und dafür will der Firmenchef Bill Anderson, der seit Juni 2023 im Amt ist, die Organisationsstruktur des Konzerns umbauen. So möchte er Bürokratie beseitigen, Strukturen verschlanken und Entscheidungsprozesse beschleunigen.

Für viele Mitarbeiter wird das bedeuten, dass sie sich nach einer neuen Arbeit umschauen müssen. Bayer beschäftigt mehr als 100.000 Menschen weltweit, davon rund 22.000 in Deutschland. Es wird einen Stellenabbau geben, der bis Ende 2025 umgesetzt wird, das teilte der Agrar- und Parma-Konzern am Mittwochabend mit. Wie groß er genau sein wird, wurde nicht erläutert.

In erster Linie wird es aber wohl Führungskräfte treffen, weil Hierachieebenen abgebaut werden sollen. Zwölf Ebenen zwischen ihm und den Kunden seien "einfach zu viel", hatte Anderson schon im November verkündet. Betriebsbedingte Kündigungen wird es bis Ende 2026 nicht geben. Allerdings würde Beschäftigten, deren Stelle wegfällt und die den Betrieb bis dahin nicht verlassen haben, im Zweifel danach gekündigt, berichtet die Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Bayer-Konzernchef Bill Anderson
Bill Anderson: "Ich möchte Bayer zu einem der innovativsten und schnellsten Unternehmen weltweit machen. Dafür müssen wir unsere Strukturen und Prozesse komplett überarbeiten...", sagte der Bayer-Chef dem Handelsblatt. Bild: Georgios Kefalas//KEYSTONE/picture alliance

Vom Vorzeigeunternehmen zum Problemfall

Einen so stark verkrusteten, sehr traditionellen Konzern so radikal umzubauen, hält Marc Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung Wertpapierbesitz (DSW) für eine große Herausforderung. "Schmerzhafter und anstrengender könnte ein Weg nicht sein", so Tüngler. "Aber vielleicht ist das der einzige Weg, den Bayer jetzt noch hat: Dass sich das Unternehmen nach innen und nach außen verändern muss."

Dabei war der Bayer-Konzern, der mit Stolz auf große Teile seiner 160 Jahre langen Geschichte zurückblicken kann, eines der Vorzeigeunternehmen Deutschlands und gehörte lange zu den wertvollsten deutschen Firmen im Deutschen Aktienindex, dem wichtigsten deutschen Börsenbarometer. Inzwischen ist Bayer zwar immer noch das größte Unternehmen der deutschen Pharmaindustrie, von florierend kann aber keine Rede mehr sein. Das zeigt sich auch am Aktienkurs: Wer 2015 Bayer-Aktien gekauft hat, hat inzwischen nur noch ein Viertel des damaligen Wertes im Depot.

Noch im Geschäftsjahr 2022 hatte Bayer mit 4,15 Milliarden Euro einen Rekordgewinn eingefahren bei einem Jahresumsatz von rund 50,7 Milliarden Euro. Rund die Hälfte davon verdankt der Konzern dem Agrarbereich. Genau dieser Agrarbereich ist aber auch der Verursacher der Probleme. Er ist einer von drei Teilen des Unternehmens. Die anderen beiden Bereiche sind Pharmaceuticals (verschreibungspflichtige Produkte) und Consumer Health (verschreibungsfreie Produkte im Gesundheitsbereich).

Im dritten Quartal 2023 gab es bei Bayer einen Milliardenverlust von 4,6 Milliarden Euro, der vor allem der Agrarsparte zugeschrieben wird. 

Monsanto als Giftpille

Die Misere begann, als Bayer 2018 das US-amerikanische Unternehmen Monsanto schluckte. Dabei sei Monsanto als die "Evil Company" bekannt gewesen, als das böse Unternehmen, sagt Tüngler. Andere Interessenten, wie BASF, hätten damals wegen der absehbaren Probleme durch den Unkrautvernichter Glyphosat, mit dem Monsanto sein Geld verdiente, und der im Verdacht steht, Krebs zu erregen, abgewunken. Bayer langte trotzdem zu, in der Hoffnung, den eigenen Agrarbereich zu stärken. Mit rund 59 Milliarden Euro war es damals der größte Firmenkauf eines deutschen Unternehmens im Ausland.

Zwar stieg mit Hilfe der Monsanto-Produkte der Umsatz von Bayers Agrarbereich, aber der Konzern trägt seit dem schwer an einem hohen Schuldenberg und den teuren, unabsehbaren Rechtsstreitigkeiten, die Bayer mit eingekauft hat.

Herbizide werden auf Soja-Feld in Argentinien gespritzt
Glyphosat ist ein Totalherbizid. Es lässt Pflanzen absterben. Wo Glyphosat versprüht wird, sterben Gräser, Sträucher oder Moos. Das Mittel wird vor allem in der Landwirtschaft eingesetzt, um ein Feld frei von Unkraut zu halten, bevor Nutzpflanzen ausgesät werden. Bild: PABLO AHARONIAN/AFP

Milliarden an Schmerzensgeldern mussten gezahlt werden

Keine fünf Monate, nachdem die EU-Kommission der Monsanto-Übernahme zugestimmt hatte, verurteilte ein US-Gericht Monsanto zu einem Schmerzensgeld von fast 290 Millionen Dollar für den ehemaligen Hausmeister Dewayne Johnson, der nach jahrelangem Gebrauch von Glyphosat an Krebs erkrankt war. Zwar wurde diese Summe in einem späteren Urteil auf 78 Millionen Dollar reduziert, aber die Klagewelle rollte weiter. Mal wurde Bayer zu 80 Millionen Dollar, mal zu zwei Milliarden Dollar verurteilt.

2020 legte Bayer ein milliardenschweres Programm auf, um den Großteil der Klagen beizulegen. Etwa 9,5 Milliarden Dollar hat Bayer bereits gezahlt, um Klagen vom Tisch zu bekommen. Ende 2022 hatten die Rücklagen in der Firmenkasse für die Vergleiche bestehender und künftiger Glyphosat-Klagen noch eine Höhe von 6,4 Milliarden Dollar.

"Die große Frage, die im Raum steht, ist: Reichen die Rückstellungen aus oder müssen noch mehr Milliarden zurückgestellt werden?", meint Marc Tüngler dazu. "Man sieht schier an der Anzahl der Ansprüche, die geltend gemacht werden, dass das nicht reichen wird."

Zwar habe Bayer auch einige Klagen gewonnen und über 100.000 Vergleiche geschlossen, sagt Tüngler. Aber es kämen immer neue Kläger dazu. Das liegt daran, dass "die Anwälte in den USA um Kläger werben und je mehr verglichen wird, umso attraktiver ist es für Anwälte, neue Mandanten einzuwerben."

Demonstranten der  "Fridays for Future"-Bewegung bei der Hauptversammlung der Bayer AG 2019
Klima-Aktivisten der "Fridays for Future"-Bewegung sowie zahlreiche Verbände und Initiativen demonstrieren gegen die Unternehmenspolitik des Agrarchemie- und Pharmakonzerns Bayer. Bild: Oliver Berg/dpa/picture alliance

Glyphosat: Giftig oder nicht?

Wie schädlich Glyphosat im Endeffekt ist, darüber gibt es keine eindeutige Meinung. Während die Krebsforschungsagentur IARC der Weltgesundheitsorganisation WHO Glyphosat 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" bewertete, hat die EU-Kommission den Wirkstoff in der Europäischen Union gerade erst für weitere zehn Jahre zugelassen. Auch die US-Umweltbehörde EPA bestätigt weiterhin, dass Glyphosat nicht krebserregend ist.

Damit Bayer das Thema Glyphosat jemals vom Tisch bekomme, müsse sich das Oberste Gericht der USA, der Supreme Court, mit dem Fall beschäftigen, meint Tüngler. Doch der lässt Bayer bislang abblitzen. 

Eine weitere Sorge: Altlasten durch PCB

Glyphosat ist nicht das einzige Monsanto-Erbe, das Bayer schwer im Magen liegt. Auch Produkte, die die Chemikalie PCB enthalten, gelten als krebserregend und sind in den USA seit 1979 verboten. Monsanto hatte PCB bis 1977 produziert. Die Chemikalie wurde beispielsweise in Bodenreinigern oder Farbe eingesetzt. Vor kurzem hatte ein US-Geschworenengericht Monsanto zur Zahlung von 857 Millionen Dollar im Zusammenhang mit PCB-haltigen Produkten verurteilt.

Pharmasparte: Rückschlag erlitten

Als wäre die Belastung durch die Klagen nicht genug, musste Ende November die Pharmasparte von Bayer einen herben Rückschlag einstecken. Bislang baute Bayer darauf, mit seinem neuen Mittel namens Asundexian gegen Blutgerinnsel ein Spitzenumsatzpotenzial von mehr als fünf Milliarden Euro zu generieren - mehr als mit jedem seiner anderen Medikamente. Das war wichtig, weil die Patente von Bayerns Gewinnbringer, dem Gerinnungshemmer Xarelto und des Augenmittels Eylea, weltweit nach und nach auslaufen. Beide bringen gut 40 Prozent der gesamten Pharmaumsätze von Bayer ein. Eine höher dosierte Version von Eylea darf Bayer nun allerdings in Japan verkaufen, teilte das Unternehmen am Donnerstag (18.01.) mit. In der vergangenen Woche hatte die Europäische Kommission die höhere Dosis zugelassen.  

Ende 2023 wurde eine entscheidende Studie mit Asundexian wegen mangelnder Wirksamkeit vorzeitig abgebrochen. Es würden zwar weiterhin Umsätze mit dem Produkt ab dem Jahr 2026 erwartet, versuchte Bayer-Pharmachef Stefan Oelrich die Wogen zu glätten bei einer Telefonkonferenz mit Investoren. "Aber es ist unnötig zu sagen, dass es mit Sicherheit unter fünf Milliarden sein werden."

Produktion von Medikamenten bei der Bayer AG
Die Entwicklung neuer Medikamente kostet Milliarden und bis zur Marktreife vergehen viele JahreBild: Bayer AG

Die Aktie war in Reaktion auf den Rückschlag mit Asundexian um mehr als ein Fünftel abgestürzt und der Börsenwert von Bayer schrumpfte um etwa 8,7 Milliarden Euro. 

Drückender Schuldenberg - Zerschlagung des Konzerns

Der Monsanto-Happen hat Bayer neben den Klagen einen großen Schuldenberg beschert. Die Nettofinanzverschuldung lag Ende September 2023 bei über 38 Milliarden Euro und überstieg damit den Wert von Bayer an der Börse, der derzeit nur noch bei rund 32 Milliarden Euro liegt.

Wegen dem Mix aus hohen Schulden und einer niedrigen Börsenbewertung wird immer wieder über eine Zerschlagung des Konzerns diskutiert. Die Einzelteile seien mehr wert als der Gesamtkonzern, heißt es von Investoren. Außerdem ließe sich mit dem Erlös verkaufter Teile beispielsweise die Schulden reduzieren, so die Hoffnung. Marc Tüngler fürchtet allerdings, dass mögliche Verkaufserlöse die Anwälte in die USA weiter motivieren könnte, noch mehr zu klagen.

Weitere Einzelheiten zum Konzernumbau und einen Ausblick auf das Jahr 2024 will Bayer im März 2024 auf einem Kapitalmarkttag bekanntgeben. 

Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion