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Polarisiert: Rammsteins Single "Deutschland"

Bettina Baumann
29. März 2019

Schon im Werbeclip sorgen Rammstein mit ihrem Auftritt als KZ-Häftlinge für Empörung. Die neue Single "Deutschland" und ein Musikvideo folgten. Das Spiel mit der Provokation bleibt für viele grenzwertig.

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Rammstein mit Best-of-Album auf Platz eins
Bild: picture-alliance/dpa

Zuerst gab es nur ein kurzes Teaser-Video: Rammstein-Frontmann Till Lindemann und drei seiner Bandmitglieder stehen nebeneinander aufgereiht an einem Galgen, jeder mit einem Strick um den Hals und in gestreifte Sträflingskluft gekleidet. Es ist klar: Die Szene stellt eine Exekutionsszene in einem NS-Konzentrationslager dar.

Dass der unkommentierte 35-Sekunden-Schwenk für Empörung sorgte war wenig überraschend. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sprach von einer überschrittenen roten Linie und nannte das Ganze "eine geschmacklose Ausnutzung der Kunstfreiheit". Historiker Michael Wolffsohn bezeichnete den Clip als eine "Form von Leichenschändung" und ein Sprecher des israelischen Außenministeriums stellte sich hinter Forderungen nach einer sofortigen Löschung des Videos. 

Lesen Sie hier unser Interview zu den Reaktionen auf den Rammstein-Teaser und was das unter anderem über die deutsche Erinnerungskultur aussagt.

Reise durch deutsche Geschichte

Gelöscht wurde allerdings nichts - im Gegenteil. Hinzugekommen ist am Donnerstagabend (28.03.2019) das ganze Musikvideo - plus die aktuelle Single. "Deutschland" heißt sie und der dazugehörige, aufwendig produzierte Clip dauert insgesamt über neun Minuten. Knapp 7 Millionen Mal wurde er bei Youtube schon aufgerufen. 

Doch wer ihn sehen will, muss offiziell volljährig sein und sein Geburtsdatum im Netz angeben. Zu sehen gibt es in dem umstrittenen Video Szenen von expliziter Gewalt: über Kannibalismus bis hin zu einer schwarzen Germania, die einen Schäferhund-Welpen gebärt. Bilder, die manchen Betrachter verstören könnten.

Alles in allem ist das Video eine Reise quer durch die deutsche Geschichte: von den alten Germanen bis zur Gegenwart, bei der weder Nationalsozialisten, noch DDR-Kader und RAF-Terroristen als Protagonisten ausgespart werden. "Eine Collage deutscher Gewaltgeschichtsschreibung", schreibt Daniel Hornuff, der die Professur für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Uni Kassel vertritt, bei "Zeit Online".

Im Refrain des neuen Songs singen Rammstein: "Deutschland, mein Herz in Flammen, will dich lieben und verdammen." Publizistik- und Medienwissenschaftler Joachim Trebbe von der Freien Universität Berlin stellt in seiner Analyse fest, dass die Band ihren Hörern mit der Single und dem dazugehörigen Video "jede Menge semantische Differentiale um die Ohren haut", aber eine ganz klare Distanzierung vom Nationalismus stattfinde. 

Rammstein-Sänger Till Lindemann
Rammstein-Sänger Till Lindemann spart nicht mit provozierenden TextenBild: picture alliance/CITYPRESS24

"Deutschland" sei "ein Lied über das zwiespältige Verhältnis zu einem Deutschland, in dem die Leute leben, die darüber singen. Und darüber, was dieses Deutschland sozusagen in seiner bisherigen geschichtlichen Entwicklung so angestellt hat." Dabei finde auch keine Verherrlichung oder kein Missbrauch von irgendwelchen Symbolen statt, so Trebbe im DW-Interview weiter. 

"Für Überlebende der Konzentrationslager empörend"

Doch der Kritik an der KZ-Häftlings-Szene scheint auch mit der Einbettung in ein neunminütiges Video nicht der Nährboden entzogen zu sein. So warf der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, Rammstein vor, "von der Gier nach möglichst blutrünstigen Bildern und Szenen" getrieben zu sein, die auch vor den deutschen Konzentrationslagern nicht halt mache. Für Überlebende der Konzentrationslager seien solche Videos empörend und abstoßend. 

Und auch Trebbe sieht den Umgang Rammsteins mit der Nazi-Ära in dem Video kritisch. Die Band habe die nationalsozialistische Zeit als Episode neben andere platziert. Sie in eine Reihe mit den Kriegen von Karl dem Großen oder den Fenstersturz in Prag zu stellen, sei "nach wie vor kritikfähig - jedenfalls in der spezifischen deutschen Konstellation." Deutschland trägt eine ganz besondere Verantwortung beim Umgang mit der nationalsozialistischen Ära und allem, was mit ihr in Zusammenhang steht. Gemeinsam mit Israel, so erläutert Trebbe, sei Deutschland zudem "Hüter dieser Erinnerung". 

Rammstein beim Echo-Auftritt 2005.
Band der Extreme: Rammstein beim Echo-Auftritt 2005Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb/S.Stache

Erfolgreich mit Tabubrüchen und Grenzüberschreitungen

Gegründet hat sich die Band Rammstein 1994. Mit ihrem brachialen Rock und martialischen Klängen füllen sie Konzerthallen und Stadien auf der ganzen Welt. Auch dass sie bewusst bei ihrer neuen Single mit der Nazi-Ästhetik spielen, ist nichts Neues. Für das Video zum Song "Stripped" zeigte die Band Ausschnitte aus Leni Riefenstahls NS-Propagandafilm über die Olympischen Sommerspiele von 1936.

Vor einigen Jahren erklärten sie im Interview mit dem Musikmagazin "Rolling Stone", die Heftigkeit der Reaktionen habe sie sehr überrascht. "Wir dachten damals aber tatsächlich, das klärt sich schon alles von selbst." Sänger Lindemann fügte erklärend hinzu, sie kämen schließlich aus dem Osten, seien als Sozialisten aufgewachsen. "Wir waren früher entweder Punks oder Gruftis - wir hassen Nazis!" Mit "Links 2 3 4", habe man unmissverständlich klar gestellt, wo Rammstein politisch einzuordnen sind.

Das Spiel mit Ambivalenzen, Tabubrüchen und Grenzüberschreitungen werden Rammstein wohl weiterhin betreiben. Gerade das jüngste Beispiel zeigt, dass dieses Konzept funktioniert: Millionen von Fans pilgern zu ihren Konzerten - 28 der 30 Konzerte der Sommer-Europa-Tour 2019 sind bereits ausverkauft.