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In Nigerias Gefängnissen herrscht Willkür

Stefanie Duckstein16. Oktober 2013

Erstickt, verhungert oder willkürlich erschossen: Einem Bericht von Amnesty International zufolge sind Gefangene der nigerianischen Polizei und des Militärs grausamer Willkür ausgesetzt.

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Soldat der Joint Military Task Force (JTF) in Maiduguri, Borno State Foto: AFP
Bild: Getty Images/AFP

Makmid Kamara war in den vergangenen Monaten oft in Nigeria. Der Westafrika-Referent für Amnesty International sprach mit ehemaligen Gefängnisinsassen, hörte Angehörige, erhielt Informationen von ranghohen Offizieren. Die Ergebnisse Kamaras hat die Menschenrechtsorganisation am Dienstag (15.10.2013) in ihrem jüngsten Bericht veröffentlicht. Amnesty spricht von schweren Menschenrechtsverletzungen seitens der Polizei. Hunderte von Häftlingen seien in Militärgewahrsam ums Leben gekommen.

Die meisten Todesopfer seien verdächtigt worden, Verbindungen zur islamistischen Terrorgruppe Boko Haram gehabt zu haben. Die Todesursachen, erklärt Kamara im Interview mit der DW, seien verschieden: "Einige sind verhungert, da man ihnen nur sporadisch und nicht genügend zu essen gab. Anderen Gefängnisinsassen hat man das Trinkwasser vorenthalten. Einige Häftlinge sind erstickt aufgrund überfüllter Gefängniszellen." Ein Interviewpartner habe Kamara berichtet, Zellen, die für 50 Personen ausgelegt sind, seien mit mindestens 150 Insassen belegt worden - ohne entsprechende Lüftung,

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ai: Ringen um Menschenrechte

Im Mai 2013 hatte die nigerianische Regierung den Notstand für die nordöstlichen Bundesstaaten Borno, Yobe und Adamawa ausgerufen. Boko Haram hat in diesem Jahr ihre Terror-Anschläge unter anderem auf staatliche Institutionen, christliche Einrichtungen und zuletzt auch auf Schulen in dieser Region weiter verstärkt. Präsident Goodluck Jonathan preist den Notstand, der den Sicherheitskräften ein hartes Vorgehen gegen die Extremisten ermöglicht, bei jeder Gelegenheit als Erfolg im Anti-Terrorkampf. Nigerianische Menschenrechtsorganisationen weisen jedoch immer wieder darauf hin, dass in einem Klima der Angst und des Misstrauens den Sicherheitskräften freie Hand beim Umgang mit Verdächten gelassen werde.

Tägliche Morde

Unter den Quellen, auf die sich Amnesty bezieht, sind auch Angehörige der Armee. Ein ranghoher Offizier berichtete demzufolge: "Es hat Zeiten gegeben, da wurden täglich Leute aus dem Gefängnis geführt und umgebracht." Der Verdacht, die Häftlinge seien Mitglieder von Boko Haram, habe genügt, sie abzuführen. Ein Polizist berichtet von 950 Toten allein in diesem Jahr.

Kamara und sein Team erhielten unter anderem detaillierte Hinweise von ehemaligen Gefangenen in der Kaserne Giwa im Bundesstaat Borno. "Soldaten haben ganze Gruppen von Häftlingen aus ihren Zellen geführt und ihnen mit Erschießung gedroht. Die Häftlinge sind nie wieder in ihre Zellen zurückgekehrt." Mit eigenen Augen habe Kamara in der Stadt Maiduguri gesehen, wie unzählige Tote wie Abfall vor der Leichenhalle lagen.

Strafgefangene in einem Zivilgefängnisses in Cotonou, Benin. Foto: dpa
Gefangene in einem Zivilgefängnis in Cotonou, BeninBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Bei einem anderen Zwischenfall hätten Aufseher Häftlinge ins Bein geschossen, heißt es im Amnesty-Bericht. Die seien schließlich an ihren Verletzungen gestorben, da man ihnen medizinische Versorgung verweigert habe.

Haram Kola Banwo von der nigerianischen Organisation Zentrum für Rechtsfragen (CISLAC), ist erschüttert über die Vorfälle. "Das ist unakzeptabel in einer demokratischen Gesellschaft, die die Menschenrechte in der Verfassung verankert hat. Die Regierung sollte diese Menschenrechte schützen", sagt Banwo im Gespräch mit der Deutschen Welle. Er fürchtet, dass das Misstrauen der Bevölkerung gegen die Sicherheitskräfte weiter zunimmt. "Es ist in unserem Land ohnehin nicht gut bestellt um die Einhaltung der Menschenrechte. Das Vorgehen der Polizei macht die Situation noch schlimmer."

Informationen aus den eigenen Reihen

Die Vorfälle haben sich vor allem in Einrichtungen der Spezialeinheit Joint Task Force (JTF) in den nordöstlichen Bundesstaaten Borno und Yobe ereignet. Die JTF, ein Kommando aus Armee und Luftwaffe, soll seit 2011 im Norden Nigerias gegen Boko Haram vorgehen. Immer wieder werden der Einheit Willkür und Gewalt gegen Verdächtige vorgeworfen. Das bestätigt Salihu Mahmoud von der Jugendorganisation für Frieden und Sicherheit, Arewa, in Nigerias Hauptstadt Abuja. "Die Soldaten sind darauf trainiert zu töten. Wie soll jemand Sicherheit und Schutz bieten, der darauf trainiert ist zu töten?"

Soldat patroulliert in Baga, Borno State. Foto: PIUS UTOMI EKPEI/AFP/Getty Images
"Vertrauen in die Sicherheitskräfte verloren" - Armeepatrouille in Baga, Borno StateBild: Getty Images/AFP

Nigerias Behörden äußern sich nicht öffentlich zu den Vorwürfen. Bereits im Juli dieses Jahres reiste Makmid Kamara mit seinen Erkenntnissen nach Abuja. In einem Gespräch mit hohen Beamten des Verteidigungsministeriums suchte er Antworten. "Aber sie haben alles abgestritten", sagt Kamara. Zwar hätten die Beamten eine Untersuchung versprochen. Bis heute hat Karama allerdings keine weiteren Informationen erhalten.

Amnesty International fordert eine umgehende Aufklärung der Todesfälle. "Solche Vorfälle sind ernsthafte Menschenrechtsverletzungen, sie verletzen internationale Standards, denen sich auch Nigeria verpflichtet hat", so Kamara.

Untersuchungen der Vorfälle wünscht sich auch Jugendvertreter Mahmoud. "Aber bitte von einer wirklich unabhängigen Institution", betont Salihu Mahmoud. Dass sich Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty bei dem Konflikt mit Boko Haram ausschließlich auf die Verfehlungen des Staates konzentrierten, hält er allerdings für einseitig. "Seit Beginn der Angriffe von Boko Haram haben die verschieden Sicherheitskräfte im Land ihr Bestes gegeben. Die positiven Aspekte dieses Einsatzes werden viel zu wenig wahrgenommen von Amnesty International."

Verwüsteter Markt von Gamboru nach einem Anschlag von Boko Haram, February 2012. Foto: EPA
Anschlag von Boko Haram in MaiduguriBild: picture-alliance/dpa