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Strukturelle Fehler?

Nina Werkhäuser10. Juli 2012

Wie konnte die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" so lange unentdeckt morden? In mühevoller Kleinarbeit deckt der Bundestags-Untersuchungsausschuss die Zusammenhänge auf.

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Der Bundestags-Untersuchungssauschuss zum NSU tagt in Berlin (Foto: dapd)
Bild: dapd

Die elf Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses sind allesamt erfahrene Parlamentarier, die nicht so leicht aus der Fassung zu bringen sind. Doch die Ergebnisse ihrer Untersuchungen machen auch sie zuweilen fassungslos. Derartig groß ist die Zahl der Pannen und Versäumnisse, derart frappierend die Ignoranz mancher Verfassungsschützer, dass sich den Abgeordneten die Frage aufdrängt: Sind die deutschen Sicherheitsbehörden ihren Aufgaben gewachsen? Ist die jetzige Struktur die richtige? Und vor allem: War der Verfassungsschutz jahrelang auf dem rechten Auge blind?

Absurde Pannen

Seit Januar beschäftigt sich der Ausschuss, den alle Fraktionen im Bundestag gemeinsam eingesetzt haben, in nahezu jeder Sitzung mit grotesken Versäumnissen: zehn Morde in fünf Bundesländern, alle begangen mit der gleichen Tatwaffe - doch die Fahnder zogen nicht die richtigen Schlüsse. Die Ermittlungsergebnisse aus den verschiedenen Bundesländern wurden nicht zusammengeführt oder miteinander abgeglichen. In den föderalistischen Strukturen kochte jeder sein eigenes Süppchen.

Mehr noch: Tauchten Hinweise auf, dass Rechtsextremisten hinter den Morden an türkisch- und griechischstämmigen Unternehmern stecken könnten, verfolgte die Polizei diese Spuren nicht konsequent weiter. Auch der Verfassungsschutz, zuständig für Rechtsextremismus, kam der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" nicht auf die Spur, und das trotz der umstrittenen Praxis, Spitzel in der rechtsextremen Szene anzuwerben und zu bezahlen. Über diese Verbindungsleute hatten die Verfassungsschützer zeitweise sogar Kontakt zu den mutmaßlichen Tätern Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, die in Zwickau in Sachsen untergetaucht waren. Erst durch den Selbstmord von Böhnhardt und Mundlos flog die Terrorgruppe im November 2011 auf.

Die Fahndungsbilder der Mitglieder der rechtsextremistischen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), Uwe Mundlos (oben l. aus dem Jahr 2009, unten l. aus dem Jahr 1998), Beate Zschaepe (oben M. aus dem Jahr 2011, unten M. aus dem Jahr 1998) und Uwe Boehnhardt (oben r. aus dem Jahr 2011, unten r. aus dem Jahr 1998). Foto: dapd
Geriet nicht unter Verdacht: Die Terrorgruppe NSUBild: dapd

Vertrauen zerstört

Die bisherige Arbeit des Untersuchungsausschusses zeigt zweierlei: Zum einen haben einzelne Beamte schwere Fehler gemacht. Die polizeiliche Befragung eines Geisterbeschwörers - er sollte im Jenseits Kontakt zu einem Mordopfer in Hamburg aufnehmen - ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. "Kriminalfachlich stümperhaft" seien die Ermittlungen gewesen, sagte Bernhard Falk, der ehemalige Vizepräsident des Bundeskriminalamts, bei seiner Befragung im Untersuchungsausschuss.

Darüber hinaus gibt es strukturelle Probleme: Das Zusammenspiel der Sicherheitsbehörden in Deutschland funktioniert nicht richtig. Die verschiedenen Behörden hätten schlecht zusammengearbeitet und zu wenige Informationen ausgetauscht, bilanziert Clemens Binninger, der CDU-Obmann im Untersuchungsausschuss. "Schematisch und bürokratisch" seien die Ermittler vorgegangen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht auf der Gedenkfeier für die Opfer der NSU in Berlin Foto: dapd
Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht auf der Gedenkfeier für die zehn Mordopfer in BerlinBild: AP

"Polizei und Geheimdienste haben sich gegenseitig blockiert, das macht fassungslos", ergänzt Wolfgang Wieland, der Obmann der Grünen. Bei der Suche nach den Tätern hätte der Verfassungsschutz entscheidende Hinweise geben können. Doch er tat es nicht, etwa in Bayern, wo die Polizei auch auf Rechtsextremisten als mögliche Täter tippte. Zu keinem Zeitpunkt wurden die Ermittlungen zentral in einer Hand zusammengeführt. Fest steht: Der Ruf der Sicherheitsbehörden hat gelitten, das Vertrauen in den Verfassungsschutz ist schwer erschüttert.

Akten vernichtet

Der NSU-Untersuchungssauschuss gehört vielleicht zu den wichtigsten Ausschüssen, die der Bundestag je eingesetzt hat. In mühevoller Kleinarbeit entwirren die Parlamentarier das behördliche Durcheinander, sie tragen Einzelheiten zusammen, die bisher nicht in einem Gesamtbild sichtbar wurden. Sie befragen bedeutende Zeugen und studieren bergeweise Akten. Zumindest die, die noch da sind. Dass ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz im November 2011 wichtige Akten vernichtete, nachdem die Terrorgruppe bereits aufgeflogen war, ist ein vorläufiger Tiefpunkt in der Aufklärungsarbeit.

Ein "unglaublicher Skandal" sei das, sagt SPD-Obfrau Eva Högl. Der Ausschuss will nun klären, ob etwas vertuscht werden sollte. Immerhin geht es um Akten über Verbindungsleute des Verfassungsschutzes beim rechtsextremen "Thüringer Heimatschutz", dem die späteren Mitglieder des NSU angehörten.

Verfassungsschutz in der Krise

Beim Verfassungsschutz hatte die Aktenvernichtung personelle Konsequenzen: Behördenchef Heinz Fromm übernahm die Verantwortung und bat den Bundesinnenminister am vergangenen Montag um seine Versetzung in den Ruhestand. Tags drauf, am Dienstag wurde der Präsident des thüringischen Verfassungsschutzes, Thomas Sippel, mit 55 Jahren in den Ruhestand versetzt - er habe nicht mehr das Vertrauen des Parlaments, so die Begründung des thüringischen Innenministers.

Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, spricht in der Bundespressekonferenz in Berlin. Foto: dapd
Geht vorzeitig in den Ruhestand: Heinz FrommBild: dapd

Im Bundestag liegt noch viel Arbeit vor dem Untersuchungsausschuss, für den sich aus jeder beantworteten Frage mindestens drei neue ergeben. Die Befragung der zuständigen Minister steht noch aus, bevor das Gremium im kommenden Jahr dringende Empfehlungen abgeben will für eine Reform der Sicherheitsarchitektur in Deutschland.

Erste praktische Konsequenzen aus der Mordserie hat die Bundesregierung bereits gezogen und ein gemeinsames Abwehrzentrum von Bund und Ländern gegen Rechtsextremismus eingerichtet. Dessen Herzstück ist eine Datei, in der Daten von Rechtsextremisten zentral erfasst und allen zuständigen Behörden zugänglich gemacht werden.