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Erst verfolgt, dann vergessen

Markus Symank 16. September 2013

Die Gewalt in Ägypten richtet sich vermehrt gegen Christen. Vor einem Monat brannten Islamisten Dutzende von Kirchen ab. Doch der Staat tut wenig, um die Christen zu schützen.

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Eine Nonne in der Kapelle einer ausgebrannten Franziskaner-Schule in Beni Suef in Ägypten (Foto: DW/Symank)
Zerstörtes Gotteshaus: Die Kapelle einer ausgebrannten Franziskaner-Schule in Beni SuefBild: DW/M. Smyank

Verkohlte Sitzbänke, in Asche verwandelte Schreibhefte, ein ausgebrannter Schulbus: In der Franziskaner-Schule der oberägyptischen Stadt Beni Suef sieht es aus wie nach einem Bombenangriff. Toiletten und Waschbecken sind in Stücke geschlagen, geschmolzene Rotorblätter von Ventilatoren hängen von den Decken.

Schwester Nagaat, ganz in Weiß, steht in einem Raum mit rußgeschwärzten Wänden neben einem zertrümmerten Altar. Gottesdienste können die Christen hier nicht mehr feiern: Die Angreifer nahmen Stühle, Heiligenbilder, sogar Lichtschalter und Kabel mit. Das Kreuz auf dem Hausdach verbrannten sie und hissten an seiner Stelle eine Al-Kaida-Flagge. "Acht Stunden lang haben die Islamisten gewütet", erzählt Schwester Nagaat und hebt den abgehackten Kopf einer Marienstatue vom Boden auf.

Zunahme der Übergriffe

Einen Monat nach den schwersten religiösen Unruhen in Ägypten seit der Revolution vom 25. Januar 2011 steht die christliche Gemeinschaft am Nil noch immer unter Schock. Mindestens 45 Kirchen und viele andere christliche Einrichtungen wurden am 14. August in Brand gesetzt. Am heftigsten tobte die Gewalt in Oberägypten, wo die Zahl der Christen besonders groß ist. Zu den Attacken kam es, nachdem die Armee in Kairo einen Sitzprotest der Islamisten aufgelöst und dabei ein Blutbad mit Hunderten Toten angerichtet hatte. Die Muslimbruderschaft hatte den Christen zuvor vorgeworfen, das Militär zu unterstützen.

Eine christliche Bauernfamilie in Diabija in den Trümmern ihres Hauses (Foto: DW/Symank)
Eine christliche Bauernfamilie in Diabija in den Trümmern ihres HausesBild: DW/M. Smyank

Die ägyptischen Christen sehen sich seit Jahrzehnten Benachteiligungen im Beruf und Alltag ausgesetzt. In den vergangenen Monaten aber ist die Zahl der gewaltsamen Übergriffe deutlich angestiegen. Aus der Sicht von Schwester Nagaat liegt die Schuld dafür bei der inzwischen gestürzten islamistischen Regierung unter Präsident Mohammed Mursi: "Präsident Husni Mubarak hat die Hassprediger hinter Gitter gebracht. Unter Mursi hingegen durften sie in den Moscheen hetzen wie sie wollten." So riefen Imame in Beni Suef zum Boykott von Läden auf, die koptischen Christen gehören.

Polizei überfordert

Die Sicherheitskräfte haben seit dem 14. August mehr als 2000 Mursi-Anhänger festgenommen. Die Situation der Christen hat sich dadurch jedoch kaum gebessert. In Dalga, einer Kleinstadt in der oberägyptischen Provinz Minja, riefen Islamisten vor kurzem einen Scharia-Staat aus. 40 christliche Familien flüchteten aus dem Ort, nachdem ihre Häuser abgefackelt worden waren. Die Christen, die in Dalga zurückgeblieben sind, müssen den Islamisten seither Schutzgeld bezahlen.

In Beni Suef würden fast jeden Abend Mitglieder der Muslimbrüder durch die Innenstadt marschieren und mit weiteren Angriffen drohen, sagt Amir Samy, ein Arzt im Krankenhaus St. Theresa. Trotzdem sei die Polizei nicht der Bitte nachgekommen, Wachmänner vor dem christlichen Krankenhaus aufzustellen. Verärgert ist Samy deshalb nicht. "Die Polizei kann sich ja selbst kaum schützen", gibt er zu bedenken. Am Tag, als die Franziskaner-Schule in Flammen aufging, setzten Islamisten auch die zentrale Polizeistation in Brand. Samy behandelte mehrere angeschossene Polizisten. Für einen Beamten kam jede Hilfe zu spät. Er war ein Freund des Arztes, ein 22-jähriger Christ.

Der Arzt Amir Samy aus Beni Suef vor einem Bild der Jungfrau Maria (Foto: DW/Symank)
Amir Samy: "Die Polizei kann sich selbst kaum schützen"Bild: DW/M. Smyank

Alter Hass neu ausgelebt

Obwohl das Militär vor knapp zwei Jahren christliche Demonstranten in Kairo getötet hat, setzen viele Kopten ihre Hoffnung nun auf die Armee. Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi hatte den Christen im vergangenen Monat versprochen, dass die Armee den Aufbau der zerstörten Kirchen aus eigener Tasche bezahlen werde. Geschehen ist seither allerdings wenig. "Niemand von der Regierung hat sich auch nur die Schäden angesehen", sagt Sarif Nasser, ein Friseur aus Diabija. Das kleine Dorf südlich von Beni Suef war einst von Christen gegründet worden. Jetzt bleibt von der örtlichen Kirche nur eine Brandruine übrig - und der Priester ist geflohen.

"Der Hass auf uns Christen war schon lange da. Doch erst seit Mursi leben ihn die Islamisten aus", sagt Nasser. Viele der Angreifer habe er als Mitglieder der Muslimbruderschaft identifizieren können. Bei anderen habe es sich um bezahlte Schläger gehandelt. Einige habe die Polizei zunächst festgenommen, erzählt Nasser. Tags darauf seien sie allerdings entkommen, als eine Gruppe Islamisten die Polizeistation in Brand setzte.

Stockende Aufarbeitung

In Beni Suef geht die Aufarbeitung der Verbrechen ebenfalls schleppend voran. Die Schule hat den Behörden zwar eine CD mit Fotos und Videos des Angriffs übergeben, die Nachbarn aufgenommen haben. Darauf sind Dutzende von Plünderern zu sehen. Einige lachen fröhlich in die Kameras.

Trotz des Beweismaterials habe die Polizei nur wenige Festnahmen vollzogen, sagen die Christen vor Ort. Franziskaner-Schwester Nagaat zeigt sich auch enttäuscht über den fehlenden Beistand der Bevölkerung. Für sie ist dies besonders schwer zu verstehen, weil zwei Drittel ihrer insgesamt 600 Schüler muslimischen Glaubens sind. Einige Muslime aus der Nachbarschaft hätten zwar ihr Bedauern über den Brand ausgedrückt, sagt Nagaat. Beim Wiederaufbau helfen wolle aber niemand.