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Erste Versicherung gegen Atomkatastrophe

Gero Rueter25. Januar 2016

Bei Atomunfällen wie in Fukushima gibt es für betroffene Bürger kaum Entschädigung. In Österreich bietet nun eine private Versicherung Schutz. Kritiker fordern jedoch, dass die AKW-Betreiber dafür vorsorgen sollten.

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Tschechien Kernkraftwerk Temelín Foto: picture-alliance/dpa/M. Sterba
Das tschechische Kernkraftwerk Temelin in der Nähe von ÖsterreichBild: picture-alliance/dpa/M. Sterba

In Österreich gibt es keine Atomkraftwerke. In unmittelbarer Grenznähe, in den Nachbarländern Schweiz, Deutschland, Ungarn, Tschechien, Slowakei und Slowenien sind jedoch 21 Reaktoren in Betrieb, unter ihnen die ältesten in der Welt. Viele Österreicher sorgen sich um die Sicherheit dieser Kraftwerke und darum, dass sie eine Atomkatastrophe wie in Tschernobyl und Fukushima treffen könnte.

Für diesen Fall bietet jetzt das Versicherungsunternehmen L'Amie eine Atomversicherung an. Kommt es in einen der 21 grenznahen Reaktoren zu einem Super-Gau, "so zahlen wir unbürokratisch, ohne weitere Gutachten", erklärt Geschäftsführer Cristian Pedak gegenüber der DW.

Geld im Katastrophenfall

Wenn die internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) einen Unfall auf der internationalen Skala für Nuklearunfälle in der höchsten Kategorie einstuft, der Stufe sieben, zahlt L'Amie bis zu 100.000 Euro. Bei Unfällen in der Kategorie sechs gibt es dagegen kein Geld.

Für den privaten Versicherungsschutz von 100.000 Euro muss eine Familie in Wien eine Prämie von 610 Euro im Jahr zahlen. Seit November gibt es dieses Angebot in Österreich. Laut L'Amie ist es die erste private Atomversicherung weltweit.

"Mir hat Fukushima gezeigt, was passieren kann und dass man als Betroffener überhaupt nichts bekommt", sagt Sabine Gruber der DW. Die Mutter von zwei kleinen Kindern wohnt bei Linz in Oberösterreich, 120 Kilometer von den tschechischen Reaktoren in Temelin entfernt. Sie hat die Versicherung abgeschlossen und bekommt im Versicherungsfall 25.000 Euro ausgezahlt. "Dann habe ich wenigstens etwas Geld und habe die Möglichkeiten zu reagieren. Ohne Versicherung fehlt mir diese Möglichkeit."

Die Zahl der bereits abgeschlossenen Verträge nennt L'Amie nicht, jedoch sei das Interesse groß. "Wir haben täglich Anfragen und auch welche aus den Nachbarländern. Über ein Angebot dieser Versicherung auch in anderen Ländern denken wir nach", sagt Pedak.

Kernkraftwerk Isar Foto: picture alliance/chromorange/T. Marx
AKW Isar in der Nähe von ÖsterreichBild: picture alliance/chromorange/T. Marx

Risiken und Kosten einer Atomkatastrophe

Die neue Versicherung zu entwickeln, kostete L‘Amie viel Zeit. Nach zweieinhalb Jahren hatte das junge Versicherungsunternehmen auch andere Versicherungsunternehmen überzeugt, sogenannte Rückversicherer, das Produkt mit abzusichern.

Bei der Bewertung des Risikos stützt sich L'Amie unter anderem auf eine Analyse vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Die Mathematiker rechneten aus, dass ein Atomunfall wie in Tschernobyl und Fukushima einmal in 10 bis 20 Jahren weltweit wahrscheinlich ist. Nach Angaben der Wissenschaftler trägt dabei Westeuropa wegen der hohen Reaktordichte das weltweit höchste Risiko einer radioaktiven Kontamination.

Wissenschaftler von den Versicherungsforen Leipzig ermittelten in einer Studie, dass die Schadenssumme von einer großen Reaktorkatastrophe in Europa zwischen 150 und 6.363 Milliarden Euro liegen würde.

Die Betreiber von Atomkraftwerken haften für dieses Risiko jedoch bisher nur sehr begrenzt. In den EU-Ländern liegt die vorgeschriebene Deckungssumme zwischen 0,1 und 2,5 Milliarden Euro. In Deutschland und der Schweiz haftet der Reaktorbetreiber zusätzlich noch mit seinem Konzernvermögen.

Atomkraftwerk in Tihange Belgien Foto: AFP PHOTO / BELGA / ERIC LALMAND
Risse im Reaktor: Das AKW Tihange in Belgien macht vielen Menschen AngstBild: Getty Images/AFP/E. Lalmand

Private Vorsorge statt Fonds von Betreibern?

Umweltverbände und Grüne sehen das Versicherungsangebot L'Amies eher kritisch. "Der Vorstoß dieser privaten Versicherung ist vielleicht gut gemeint", sagt Rebecca Harms, Vorsitzende der Grünen im Europaparlament, "doch das ändert nichts an dem eigentlichen Problem. Alle Atomkraftwerke in der EU sind unterversichert. Klar ist, dass der Staat, also wir alle die Risiken tragen und sich die Unternehmen aus der Verantwortung ziehen und zwar mit staatlicher Duldung."

Harms setzt sich schon seit Jahren für eine bessere Haftung der Atomindustrie gegen die Risiken ein. "Es ist absurd, dass eine Industrie viel Geld verdient mit alten, immer riskanteren Atomkraftwerken in der EU. Und im Schadensfall so billig davon kommen soll."

Ähnlich bewertet auch Adam Pawloff von Greenpeace in Wien die Situation. "Dass jetzt Privatpersonen für eine Versicherungspolice extra zahlen, für Risiken, die der Kraftwerksbetreiber verursacht, das ist hochgradig zynisch." Pawloff will die Befreiung der Kraftwerksbetreiber von der kompletten Haftung beenden. Für Greenpeace ist das eine versteckte Subvention der Atomenergie.

Pawloff schlägt vor, dass stattdessen alle Reaktorbetreiber in einen öffentlichen Fonds einzahlen, der alle Risiken abdeckt. Die Versicherungsforen Leipzig rechneten so eine Fondsmodell in der Studie durch: Die Kosten für eine Kilowattstunde Atomstrom würden sich so um 14 bis 67 Cent erhöhen.

Nach der Atomkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 bestätigte auch die Europäische Kommission ein Defizit bei der Haftungsregelung und versprach Besserung.

Der französische Atomkonzerns EDF, der 58 Reaktoren betreibt, erhöht sein Haftungslimit von derzeit 91 Millionen Euro ab Mitte Februar auf 700 Millionen Euro. Für viele Atomkraftgegner ist eine Erhöhung um diesen Betrag angesichts der Dimensionen eher symbolisch.

Der größte deutsche Energieversorger Eon, der vier Atomreaktoren an der österreichischen Grenze betreibt, will sich zu der privaten Atomversicherungen von L'Amie nicht äußern und lehnt eine Aufstockung der eigenen Haftung ab. "Mit einer Deckungsvorsorge von 2,5 Milliarden Euro nimmt Deutschland eine Spitzenposition ein", heißt es in der Stellungnahme gegenüber der DW. Zusammen mit dem Konzernvermögen seien "mögliche Schadensersatzforderungen bei Unfällen rundum abgedeckt."