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Erster Berlinale-Leiter Alfred Bauer war Nazi

Jochen Kürten
30. Januar 2020

Alfred Bauer leitete die Berliner Filmfestspiele ein Vierteljahrhundert. Zeitungs-Recherchen belegen jetzt, dass Bauer seine Nazi-Vergangenheit verharmloste. Die Berlinale dürfte im Februar ein Gesprächsthema haben.

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Erster Berlinale-Leiter Alfred Bauer
Bild: picture-alliance/akg-images

Ausgerechnet am Tag, als der neue künstlerische Leiter Carlo Chatrian in Berlin das offizielle Wettbewerbsprogramm vorstellte, platzte die publizistische Bombe. Alfred Bauer (auf unserem Foto r. mit Innenminister Gerhard Schröder 1956), erster und langjähriger Direktor der Berliner Filmfestspiele, soll in den Jahren von 1942 bis zum Kriegsende ein hochrangiger Nazi-Funktionär gewesen sein. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs soll Bauer - so die Recherchen der Wochenzeitung "Die Zeit" - diese Vergangenheit verschwiegen und umgedeutet haben. Bauers Nazi-Vergangenheit war nicht unbekannt, doch erst jetzt wird wohl deutlich, dass er im Filmwesen an mitentscheidender Stelle saß. 

DieBerlinale ist Deutschlands wichtigstes Filmfestival und gilt gemeinsam mit den Veranstaltungen in Cannes und Venedig als bedeutendstes Kino-Festival weltweit. Wenn nun also rund drei Wochen vor Beginn der 70. Ausgabe der Berlinale (20. Februar bis 1. März 2020) deutlich wird, dass Bauer, der das Gesicht des Festivals in den Jahren seiner Amtszeit von 1951 bis 1976 an entscheidender Stelle mitprägte, ein wichtiger Anhänger der Nationalsozialisten war, dann wirft das kein gutes Licht auf den Umgang der Berlinale mit der eigenen Geschichte.

Der "Fall Alfred Bauer" kam nur durch private Recherchen ans Tageslicht

Nach den Recherchen der "Zeit", die nur möglich waren, weil ein filminteressierter Privatgelehrter seine Erkenntnisse der Wochenzeitschrift mitteilte, hat Bauer seine Vergangenheit systematisch verschleiert. Die Dokumente sind nicht etwa gerade oder plötzlich aufgetaucht. Sie lagen offenbar, für jeden Interessierten sichtbar, jahrelang im Bundesarchiv in Koblenz. Doch es hat sich keiner dafür interessiert. Bis eben Ulrich Hähnel, Diplom-Betriebswirt und Cineast, bei seinen Recherchen, die eigentlich einem anderen Gegenstand galten, auf sie stieß. All das ist nachzulesen in der aktuellen Ausgabe der "Zeit".

Erster Berlinale-Leiter Alfred Bauer
Alfred Bauer holt die US-Schauspielerin Shirley MacLaine 1971 am Flughafen abBild: picture-alliance/dpa

In den offiziellen Broschüren und Jubiläumsbüchern der Berlinale, die in den Jahren 2000 und 2010 erschienen und die jeweils vom "Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien" gefördert wurden, stößt man nicht auf diese Vergangenheit Bauers: "Dr. Alfred Bauer war Rechtsanwalt und noch nicht ganz vierzig Jahre alt, als er am 6. Juni 1951 das Festival mit einer Vorführung von Hitchcocks 'Rebecca' im Steglitzer Titania-Palast und nach einer mitreißenden Rede des damaligen Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter eröffnete", heißt es etwa in einer Jubiläumsbroschüre von 2010.

Eine aktuelle Berlinale-Publikation wurde kurzfristig zurückgezogen

Und auch in einer neuen druckfrischen Publikation mit dem Titel "Alfred Bauer. Die Grundlagen der Internationalen Filmfestspiele Berlin", die am 24. Februar während der kommenden Berlinale offiziell vorgestellt werden sollte, findet sich anscheinend nichts über Bauer und seine Nazi-Vergangenheit. Das Buch wurde inzwischen von den Herausgebern und dem Verlag zurückgezogen: "Anlass ist die im Artikel der 'Zeit' (…) vorgelegte Interpretation der Quellen über die Rolle Alfred Bauers in der nationalsozialistischen Filmpolitik", heißt es dort.

69. Berlinale Preisverleihung | Nora Fingscheidt
Bekam im vergangenen Jahr für ihr Debüt "Systemsprenger" den "Alfred Bauer Preis": Regisseurin Nora Fingscheidt .Bild: Reuters/H. Hanschke

Auch die Berliner Filmfestspiele reagierten inzwischen: Der nach dem ersten Berlinale-Direktor benannte Preis, vergeben seit 1987, ein Silberner Bär mit dem Zusatz "Alfred Bauer Preis", soll umbenannt werden. Dass der "Alfred Bauer Preis" ausgerechnet für "neue Perspektiven in der Filmkunst" an besonders innovative Regisseurinnen und Regisseure vergeben und in der Vergangenheit an zahlreiche bedeutende Filmkünstler verliehen wurde, ist besonders pikant.

Auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters sowie Reiner Rother, Chef der Deutschen Kinemathek, kündigten nach den "Zeit"-Recherchen inzwischen an, dass die genaue Vergangenheit Bauers nun aufgearbeitet werden müsse. Unabhängige Institute und Historiker sollen mit der Aufarbeitung beauftragt werden. Rother sprach sich darüberhinaus dafür aus, auch andere Filmschaffende der Nachkriegszeit unter die Lupe zu nehmen: "Die Stunde Null ist eigentlich eine Fiktion", sagte der Filmwissenschaftler.

Bauer war stärker in die NS-Filmpolitik involviert als bisher bekannt

Alfred Bauer, so nachzulesen in der "Zeit", war Mitglied der NSDAP (Nationalsozialistische Partei Deutschlands) und der SA ("Sturmabteilung" der NSDAP) sowie weiterer nationalsozialistischer Organisationen. Von 1942 an war Bauer Referent der Reichsfilmintendanz: "An zentraler bürokratischer Stelle soll er die Filmpolitik der Nazis mitgetragen haben."

Wenn man weiß, welchen Stellenwert Joseph Goebbels, "Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda" und Präsident der "Reichskulturkammer", Film und Kino während der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland eingeräumt hat, ist eine Tätigkeit Bauers fern der Nazi-Ideologie mit all seinen Konsequenzen nur schwer vorstellbar. 

Berlin - Eklat bei der Berlinale 1970 - Rücktritt der Jury
1970 stand auch Bauer (l.) im Zentrum des Eklats um den deutschen Vietnam-kritischen Film "o.k." von Michael VerhoevenBild: picture-alliance/dpa/C. Hoffmann

Bauer, so die Recherchen Hähnels und der "Zeit", sei zeitweise "zweiter Mann in der Reichsfilmintendanz" gewesen. Goebbels beschrieb die Aufgaben dieser Institution Anfang 1942 so: "Dem Reichsfilmintendanten obliegt die allgemeine Produktionsplanung, die Ausrichtung der künstlerischen und geistigen Gesamthaltung der Produktion und die Überwachung des künstlerischen Personaleinsatzes sowie der Nachwuchserziehung." Konkret bedeutete das für viele, vor allem, aber nicht nur jüdische Filmschaffende, Arbeitsverbot, Verfolgung, Haft und Tod.

Während des Nationalsozialismus wurden einige üble Propagandamachwerke gedreht, der antisemitische Film "Jud Süß" von Regisseur Veit Harlan aus dem Jahre 1940, ist nur der bekannteste. Noch heute kommen diese Filme zum Teil nur in einem bestimmten Rahmen zur Aufführung: Sie gelten als sogenannte "Vorbehaltsfilme", die in der Öffentlichkeit nur gezeigt werden dürfen, wenn sie von historischen Einführungen und Diskussionen begleitet werden.

Erster Berlinale-Leiter Alfred Bauer
Alfred Bauer und die die italienische Schauspielerin Gina Lollobrigida im Jahr 1965Bild: picture-alliance/dpa

Alfred Bauer hat, so ist in der "Zeit" nachzulesen, nach Kriegsende versucht, seine Vergangenheit umzudeuten: "In seinem Entnazifizierungsverfahren hat Bauer systematisch verschleiert und gelogen." Bis vor kurzem galt er so als "unbescholten": "Alfred Bauer wurde am 18. November 1911 in Würzburg geboren. Nach einem Studium der Rechte und der Kunstgeschichte promovierte er 1938 mit einer Arbeit über Filmrecht", heißt es im Jubiläumsband "50 Jahre Berlinale".

1942 habe er eine Tätigkeit bei der "Ufa" angenommen, dort sei er u.a. für "Aufstellung der Dispositionspläne für die Deutsche Spielfilmproduktion" sowie die "Anfertigung der monatlichen Produktionsberichte über die in Arbeit befindlichen Filme sowie Gutachten in Filmrechts- und Filmwirtschaftsfragen" zuständig gewesen. Das klingt recht harmlos. Von einer Arbeit in der "Reichsfilmintendanz" ist in der Kurzbiografie nicht die Rede.

PK Berlinale 2020 | Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian
Das neue Duo der Berlinale, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian, wird direkt mit der Geschichte des Festivals konfrontiert Bild: Reuters/A. Hilse

Der nun ans Tageslicht gekommene Fall Alfred Bauer ist kein Einzelfall. In Politik, Gesellschaft, im juristischen Bereich, in der Medizin und in den unterschiedlichsten Kultursparten sind in den Jahren und Jahrzehnten nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland immer wieder vergleichbare Fälle aufgetaucht.

Am Tag, als die Wochenzeitung "Die Zeit" den Fall ans Tageslicht brachte, sprachen der israelische Präsident Reuven Rivlin und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Bundestag. Sie erinnerten an die Opfer des Holocaust. Rivlin äußerte sich besorgt, dass Europa von den "Geistern der Vergangenheit heimgesucht" werde. Er appellierte dabei auch an die besondere Verantwortung Deutschlands gegen Nationalismus, Fremdenhass und Antisemitismus. Zu dieser Verantwortung gehört auch historische Aufarbeitung. Der Fall Alfred Bauer dürfte nicht der letzte sein.