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Tag der Provenienzforschung: Woher stammt die Kunst?

Sven Töniges
10. April 2019

Provenienzforschung bedeutet häufig langwierige und mühselige Recherche- und Archivarbeit. Nicht selten bietet sie Stoff für einen Krimi. Ein Ortsbesuch bei einer Kunstgeschichts-Kriminalistin in Bonn.

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Deutschland Kunsthistorikerin Dr. Heidi Gansohr
Zentrale Quelle für Provenienzforscher und Ausstellungmacher: die Inventarbücher des MuseumsBild: DW/S. Töniges

Es ist eine filmreife Geschichte, die Heidi Gansohr da erzählt, als sie neben einem prächtigen Ölbild im Rheinischen Landesmuseum Bonn steht. Die Geschichte beginnt mit drei Initialen auf einem Bilderrahmen und führt über diverse NS-Kunsthändler auf verschlungensten Pfaden durch das Nazideutschland der 1940er Jahre - von Köln über Herrmann Görings Landsitz Carinhall am Schluss nach Bonn.

Das Bild mit dem Titel "Darbringung im Tempel und Verklärung Christi" soll ein unbekannter Künstler im 16. Jahrhundert gemalt haben. Lange Zeit galt es als verschollen - bis die "Monuments Men", die als Spezialeinheit der US-Army im Zweiten Weltkrieg geraubte Kunstgüter suchen, das Bild im Lager eines Kunsthändlers entdecken und zurück nach Bonn bringen.

Deutschland Kunsthistorikerin Dr. Heidi Gansohr
Kunsthistorikerin Heidi Gansohr vor dem lange verschollenen Bild "Darbringung im Tempel und Verklärung Christi"Bild: DW/S. Töniges

Kunsthandel während der Nazi-Herrschaft

Heidi Gansohrs Job ist es, solche Geschichten nachzuzeichnen. Die promovierte Kunsthistorikerin ist im LVR-Museum Bonn für die Provenienzforschung, also für die Ermittlung der Herkunft von Kunstgütern, verantwortlich. Seit Mitte der 1990er Jahre durchkämmt sie hauptamtlich die Museums-Bestände und nimmt insbesondere die Erwerbungen nach 1933 in den Blick. Während der NS-Herrschaft habe das Museum "enorm viele", dem Regime gefällige Kunstwerke angeschafft, erzählt Heidi Gansohr im DW-Interview in ihrem Büro im Hinterhaus des Museums.

Vieles zu unrecht Erworbene wurde bereits nach 1945 restituiert, also an die ursprünglichen Eigentümer oder deren Erben zurückgegeben. Doch es gäbe weiterhin allein 500 Gemälde, deren Erwerb noch fraglich und eindeutig zu klären sei. Wie diese mühsame Abklärung vor sich geht, zeigt Gansohr im Archiv des Museums. Hier stehen Regale mit dickleibigen Inventarbänden. Etwa der, auf dem "1936.f.f." steht. Band für Band und Seite um Seite durchforstet die Historikerin akribisch nach Hinweisen auf eventuelle Raubkunst - und wird so zur kunsthistorischen Kriminalistin.

Deutschland Kunsthistorikerin Dr. Heidi Gansohr
In Listen wie diesen fahnden Provenienzforscher nach Hinweisen auf Raubkunst Bild: DW/S. Töniges

Oft sind es kleine Signale, die sie hellhörig werden lassen. Ein beiläufig erwähnter Name oder eine Ortsangabe, die auf Netzwerke von NS-Regime-nahen Kunsthändlern hindeuten könnten. Da fällt einem sofort der Name Gurlitt ein. Der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, dessen Sammlung 2012 auf spektakuläre Weise zu Teilen bei seinem Sohn in entdeckt wurde, war tief verstrickt in die NS-Kunstpolitik. Und  nicht nur er. "Ja", sagt Heidi Gansohr, "Gurlitt war nicht allein auf dieser Welt". Netzwerkanalyse und der systematische Abgleich von Namen sind somit wichtige Instrumente ihrer Provenienzarbeit.

Jedes Jahr: "Tag der Provenienzforschung"

Dass wohl unzählige Kultureinrichtungen in Deutschland, Museen, Sammlungen, Bibliotheken auf ähnliche Hinweise in ihren Kellern und Beständen stoßen könnten, hat auch die Politik die Bedeutung einer intensiven Provenienzforschung erkennen lassen. Den sperrigen Begriff hat die Debatte über die NS-Raubkunst längst über Spezialistenkreise hinaus bekannt gemacht. 1998 unterzeichneten mehr als 40 Staaten die sogenannte "Washingtoner Erklärung" und verpflichteten sich, "faire und gerechte Lösungen" mit den Opfern des NS-Kunstraubs oder ihren Erben zu finden.

Deutschland Gurlitt Rückgabe des Gemälde In einem Sessel sitzende Frau von Matisse
Erfolgreiche Restitution: Ein Erbe der Familie Rosenberg begutachtet das Raubkunstbild "Sitzende Frau" von Matisse Bild: picture-alliance/dpa/Art Recovery Group/W. Heider-Sawall

Seither haben Heidi Gansohr und ihre Fachkollegen zwar institutionellen Rückenwind, doch das ist für die Kunsthistoriker nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Immerhin wurde als zentrale Anlaufstelle für Fragen auch aus den Museen das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg geschaffen.

Gefragt, was sie sich von Seiten der Politik wünschen würde, betont die Kunsthistorikerin, bei weitem nicht alle ihrer Kollegen seien in einer so komfortablen Situation, sich voll und ganz auf die langwierige Provenienzforschung konzentrieren zu können.

In diesem Jahr veranstaltet ein internationaler Zusammenschluss von Provenienzforschern zum ersten Mal einen "Tag der Provenienzforschung". Er soll künftig einmal jährlich am zweiten Mittwoch im April stattfinden. Über 70 Kulturinstitutionen in Deutschland, Österreich, Großbritannien, den Niederlanden und der Schweiz haben sich beteiligt, wie das Deutsche Historische Museum Berlin (DHM) angab.