Erstmals ÖVP-Grüne-Koalition in Wien
1. Januar 2020Die konservative ÖVP und die Grünen haben sich in Österreich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt, wie beide Parteien bestätigten. Das Übereinkommen muss am Samstag noch vom Bundeskongress der Grünen mit fast 300 Delegierten gebilligt werden.
Eine türkis-grüne Regierung wäre in Österreich auf Bundesebene eine Premiere. Dem Bündnis wird bereits jetzt Symbolcharakter für Deutschland und andere europäische Länder zugesprochen. ÖVP-Chef Sebastian Kurz wagt nach eineinhalb Jahren in einer aus dem Ausland stets kritisch beäugten Regierung mit der rechten FPÖ nun einen Richtungswechsel.
Überraschungen bei Ressorts
Dass die Verhandlungen erfolgreich enden würden, hatte sich schon in den vergangenen Tagen abgezeichnet: Seit Montag teilten die beiden Parteien trotz noch fehlender endgültiger Einigung mit, welche Minister dem künftigen Kabinett angehören sollen. Auch der Versand der Einladungen für den grünen Bundeskongress wurde als Zeichen gewertet, dass eine Übereinkunft kurz bevorsteht.
Zu den Überraschungen bei den Ministerplänen gehört die Neueinrichtung eines Integrationsministeriums, dessen Leitung Susanne Raab übernehmen soll. Die Kurz-Vertraute war bisher Leiterin der Integrationssektion im Außenministerium. Kurz lobte sie als "junge und sehr erfahrene Integrationsexpertin".
Grünes Superministerium
Die Grünen erhalten derweil ein Superministerium, in dem die Themen Umwelt, Verkehr und Infrastruktur, Energie, Technologie und Innovation zusammengeführt werden. Als Ministerin ist Leonore Gewessler vorgesehen. Die 43-Jährige leitete die Umwelt-NGO Global 2000, bis Grünen-Chef Werner Kogler sie zu einer Kandidatur für die Grünen bei der Nationalratswahl im September überzeugen konnte.
Im Verteidigungsministerium wird mit Klaudia Tanner, derzeit Bauernbunddirektorin im Bundesland Niederösterreich, erstmals eine Frau Chefin. Innenminister wird der bisherige Generalsekretär Karl Nehammer. Mit Außenminister Alexander Schallenberg darf auch ein Mitglied der Expertenregierung im Kabinett bleiben, die seit dem Misstrauensvotum gegen die vormalige Regierung von Kurz die Geschäfte führt.
Programmatischer Spagat
Die Neuwahl und die Koalitionsverhandlungen waren nötig geworden, nachdem die rechtskonservative ÖVP-FPÖ-Regierung nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos zerbrochen war. Der ehemalige FPÖ-Chef und Vizekanzler Heinz-Christian Strache wirkte in den Aufnahmen anfällig für Korruption und trat zurück. Kurz rief Neuwahlen aus und wurde wenige Tage später per Misstrauensvotum aus dem Kanzleramt getrieben.
Bei der Wahl im September konnten ÖVP und Grüne dann deutliche Gewinne verbuchen, während die sozialdemokratische SPÖ und die FPÖ viele Wählerstimmen verloren. Beide Parteien betonten während der Verhandlungen, dass es zwischen ihnen große Unterschiede gebe und entsprechend große Hürden auf dem Weg zu einem Bündnis überwunden werden müssten. Während Kurz neue Steuern ablehnt, auf einen Anti-Migrations-Kurs Wert legt und wirtschaftsnah regieren will, benannten die Grünen den Klimaschutz, den Kampf gegen die Kinderarmut und mehr Transparenz als ihre wichtigsten Punkte.
Dennoch pries der Kanzler in spe das Regierungsprogramm nun als "exzellentes Ergebnis". Es sei gelungen, "das Beste aus beiden Welten zu vereinen", sagte Kurz bei einer Pressekonferenz und gelobte, beide Parteien könnten ihre zentralen Wahlversprechen halten. Einen kleinen Einblick hinter die Kulissen gewährte der 33-Jährige dann aber doch noch: "Diese Regierungsverhandlungen, so ehrlich muss ich sein, waren nicht einfach", gestand er den Reportern.
jj/qu (dpa, afp)