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Erzbischof Heße: Hauptlast an Geflüchteten nicht in Europa

9. Juni 2024

Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße fordert Europa zu einem besseren Umgang mit Flüchtlingen auf - und lenkt den Blick auf Afrika. Er betont, dass nur politisches Handeln wirklich helfen kann.

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Erzbischof Dr. Stefan Heße im Gespräch mit Helfern und Kirchenvertretern im Lager Kakuma.
Erzbischof Heße im Flüchtlingslager KakumaBild: DEUTSCHE BISCHOFSKONFERENZ/MAXIMILIAN VON LACHNER

Der Hamburger katholische Erzbischof Stefan Heße war eine Woche lang in Kenia  und hat dort mehrere Flüchtlingslager besucht. In einem Interview mit der Deutschen Welle bilanziert er seine Reise und fordert die Politik in Deutschland auf, die wachsenden Fluchtbewegungen weltweit ernster zu nehmen. Immer mehr Menschen würden auch aufgrund des Klimawandels flüchten. 

Deutsche Welle: Erzbischof Heße, Sie haben in diesen Tagen das Flüchtlingslager Kakuma im Norden Kenias besucht. Welcher Moment ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Erzbischof Stefan Heße: Besonders eindrücklich bleibt für mich die Begegnung mit jungen Menschen in einer Schule mitten im Camp. Ich war in einer Riesen-Klasse, 150 Schülerinnen und Schüler, die total diszipliniert waren, dazu ein ganz junger Lehrer.

Und das Faszinierende: Die jungen Menschen sind von ihrer Schule begeistert, sie finden, sie ist die wundervollste Schule auf der Welt. Und gleichzeitig wünschen sie sich mehr Bücher, kleinere Klassen, bessere Unterrichtsmaterialien, vor allen Dingen Licht am Morgen und am Abend, damit sie wirklich auch was lesen können. Da war Hochschätzung und Begeisterung für das, was da ist und möglich ist, aber gleichzeitig auch das Bedürfnis nach mehr Unterstützung.

Im Kakuma Refugee Camp in Kenia spielen Fußball im Flüchtlingslager.
Eine Szene während des Heße-BesuchsBild: DEUTSCHE BISCHOFSKONFERENZ/MAXIMILIAN VON LACHNER

Das Lager Kakuma ist mehr als 30 Jahre alt. Es nahm damals Flüchtlinge aus dem Südsudan auf – und drei Jahrzehnte später ist die Lage für das Land immer noch fast perspektivlos. Sehen Sie irgendwelche Aussichten für die Region?

30 Jahre - das heißt, viele Menschen sind in diesem Lager schon zur Welt gekommen. Sie kennen gar keine andere Situation. Das Camp ist riesig, mit knapp 300.000 Menschen, und daneben gibt es eben die Stadt Kakuma mit 150.000 Bewohnern. Man kann sich vorstellen, wie schwierig das Miteinander, auch die Integration überhaupt ist. Bisher waren das zwei getrennte Wirklichkeiten. Nun hat die Regierung den Plan der Integration. Ich bin gespannt, ob sie umsetzbar ist. Auf jeden Fall wird es Zeit brauchen, dieses Ziel zu erreichen.

Afrikanische Länder tragen weltweit die Hauptlast an Flüchtlingszahlen und an entsprechender Hilfe. Währenddessen streiten sich die europäischen Länder über striktere Abschottung im Mittelmeer und versuchen, Geflüchtete und Asylverfahren auszulagern. Was geht Ihnen angesichts der Bilder in Kenia durch den Kopf?

Ich denke an die Situation der Geflüchteten in den ganz einfachen Lagerunterkünften. Wir sprechen hier in Kenia über 800.000 Menschen. In Ostafrika sollen es fünf Millionen Menschen sein, die als Flüchtlinge gelten, zudem gibt es dort bis zu 18 Millionen Binnenflüchtlinge.

Da ist es völlig verfehlt, wenn man in Europa den Eindruck erweckt, unser Kontinent würde die Hauptlast an Flüchtlingen tragen und könne das nicht stemmen. Ich habe hier erlebt: Kenia ist alles in allem ein sehr gastfreundliches Land. Das schließt nicht aus, dass es auch mal Spannungen zwischen der einheimischen Bevölkerung und den Menschen in den Lagern gibt. Aber das liegt wohl einfach daran, dass auch die einheimische Bevölkerung in einer sehr prekären Situation lebt.

Die Europäer sind in tiefer Sorge angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und des Gaza-Israel-Kriegs. Blenden wir andere Kriege im Süden aus?

Natürlich haben wir in Europa den Ukraine-Krieg und den Gaza-Israel-Krieg ganz klar vor Augen. Aber es ist wichtig, die anderen Krisenherde nicht zu übersehen. Deswegen sind wir bewusst mit dieser Reise nach Afrika gegangen, um von Seiten der Kirche die Aufmerksamkeit auch auf diese Region der Erde zu lenken: etwa auf Somalia, den Sudan und Südsudan. Das sind globale Hotspots der Fluchtbewegung von heute. Und wir dürfen niemals die eine Situation gegen die andere ausspielen. Unser Ziel muss es sein, global zu denken und globale Lösungen zu finden.

Kürzlich sind Sie, gemeinsam mit Ihrem evangelischen Counterpart, beim Thema Asyl und Umgang mit Flüchtlingen mit der CDU aneinandergeraten. Wie sehen Sie diese Kontroverse unter dem Eindruck Ihrer Tage in Kenia?

Wir wissen, dass die Zahl der Geflüchteten auf der ganzen Erde rasant steigt. Darauf können und müssen wir uns einstellen. Wenn die Politik das nicht realisiert, hilft das nicht. Hier in Kenia habe ich zudem noch einmal die Ursachen von Klimaflucht und von Vertreibung kennengelernt.

Einfache Wellblechhütten im Kakuma Refugee Camp im Norden Kenias.
Einfache Unterkünfte im Lager Kakuma, das im Norden Kenias liegtBild: DEUTSCHE BISCHOFSKONFERENZ/MAXIMILIAN VON LACHNER

Gerade die Auswirkungen beim Klima werden als Phänomen zunehmen. All das werden wir nach meiner festen Überzeugung nur in einem großen Miteinander globaler Art lösen können. Sicher wird es dazu mehr Hilfe brauchen. Aber es geht auch um ein gut aufeinander abgestimmtes Agieren. Dazu kann die katholische Kirche als weltweite Institution einen bemerkenswerten Beitrag leisten. Das können Institutionen und Hilfsprojekte sein. Das sind aber auch einzelne Akteure, zum Beispiel sehr beeindruckende Ordensleute oder so ein junger Lehrer, wie ich ihn eingangs schilderte. Man darf nicht vergessen: Kirchliche Akteure sind ja in Krisenregionen oft auch dort tätig und helfen beim Überleben, wo staatliche Hilfe nicht mehr hinkommt.

Der katholische Geistliche Stefan Heße (57) ist seit 2015 Erzbischof von Hamburg. Im gleichen Jahr wurde er Flüchtlingsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz.  

Das Interview führte Christoph Strack.