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Es droht eine Hängepartie

Mike Power (London)/ ml 6. Mai 2015

Nach den Wahlen an diesem Donnerstag werden sich die Briten an eine veränderte politische Landschaft gewöhnen müssen. Das steht fest, aber alles andere ist ziemlich offen. Von Mike Power, London.

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Großbritannien David Cameron Wahlkampf 2015
Bild: Reuters/A. Dennis

Bei diesen Wahlen steht einiges auf dem Spiel. Es geht um die Frage, ob Großbritannien Mitglied der Europäischen Union bleiben wird - schließlich haben die Tories den Wählern ein Referendum versprochen. Es geht somit auch um den Fortbestand Großbritanniens selbst, denn Schottland dürfte einem Ausscheiden aus der EU nicht tatenlos zusehen. Es geht aber auch um den Wohlfahrtsstaat und die Errungenschaften des "National Health Service" (NHS), sollten sich die regierenden Tories und ihr Koalitionspartner, die Liberaldemokraten, einer anderen Haushaltspolitik zuwenden.

Dabei sieht es so aus, als würde die britische Öffentlichkeit die Gesetzgebungsvorschläge in Gänze ablehnen, die von den großen Parteien gemacht werden. Was an deren Stelle treten könnte, ist unklar, unsicher und am Ende auch wenige Stunden vor dem Urnengang noch unvorhersehbar.

Den Meinungsumfragen zufolge wird keine Partei allein eine Mehrheit im Unterhaus erreichen. Wie im Jahr 2010 deutet alles auf eine Koalitionsbildung hin. Allerdings ist die Situation heute, anders als vor fünf Jahren, sehr viel komplexer und fast instabil. Dies hängt mit dem speziellen Wahlsystem im Vereinigten Königreich zusammen, mit wechselnden politischen Allianzen und mit dem Umstand, dass Großbritannien nicht über eine festgeschriebene Verfassung verfügt.

"Die Regierung bleibt die Regierung..."

Bezeichnend ist, was Schatzkanzler George Osborne in dieser Woche zu Journalisten sagte. Sollte der amtierende Premierminister David Cameron keine Mehrheit erreichen, werde dieser bis zu einem - wie auch immer gearteten - Deal nicht weichen. Denn: "Die Regierung bleibt die Regierung, bis es eine andere Regierung gibt."

Nach dem Wahlrecht Großbritanniens muss eine Partei mehr als 50 Prozent der 650 Sitze im Unterhaus innehaben, um Gesetze durchbringen zu können. Im Prinzip sind das 326 Sitze. Tatsächlich aber reduziert sich diese Zahl nach jetzigem Stand auf 323 Abgeordnete, da die irischen Parlamentsmitglieder der Sinn Fein Abstimmungen mit Blick auf die Rolle Londons in Nordirland boykottieren.

BBC Challengers Election Debate TV-Duell vor der Wahl in Großbritannien
Keine klare Mehrheit? BBC-Debatte vor der WahlBild: AFP/Getty Images/S. Rousseau

Robert Hazell, politischer Analyst der University College London's Constitution Unit, sagt seinen britischen Landsleuten einige chaotische Tage nach der Abstimmung voraus. Dies werde besonders dann der Fall sein, wenn sich Labour und die Konservativen ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern und beide Parteien den Anspruch erheben, die nächste Regierung zu bilden.

2010 hatte es gerade einmal fünf Tage gedauert, bis die Koalition stand. Dieses Mal, so Hazell weiter, könnten sich die Verhandlungen über Wochen hinziehen. Schließlich dürften mehr Parteien involviert sein und es dürfte darauf ankommen, auch den Hinterbänklern gerecht zu werden.

Das Zahlenspiel

Und so könnten am Ende simple Rechenmodelle darüber entscheiden, wer die Briten in den nächsten fünf Jahren regiert. Oder aber die politischen Scharfmacher. Jedenfalls dürften sich manche Wähler in Großbritannien darüber wundern, was am Ende herauskommt.

Auch wenn es absurd klingt: Obwohl die Tories die meisten Sitze gewinnen könnten, dürfte ein gegen die Konservativen gerichteter Block von 323 Stimmen am Ende leichter zu bilden sein als eine Regierungsmehrheit der Tories.

Großbritanniens Vizepremierminister Nick Clegg
Nick Clegg von den LiberaldemokratenBild: Dan Kitwood/Getty Images

Die Wahlforscher des Instituts YouGov schätzten den Anteil von Labour im Mitte-Links-Lager und den Anteil der Konservativen im Mitte-Rechts-Spektrum auf jeweils 33 Prozent. In Stimmen ausgedrückt, kommt YouGov auf 276 Sitze für Labour und 272 Mandate für die Tories, die unter Cameron in einer spannungsreichen Koalition mit den Liberaldemokraten von Nick Clegg regieren. Sicher darf man davon ausgehen, dass sich beide großen Parteien nach einem Partner umsehen müssen.

Zahlenmäßig überlegen

Das Problem für die Konservativen, die seit 1992 keine eigenen Mehrheit mehr gewonnen haben, ist, dass ihnen die politischen Gegener (oder Mitbewerber) inzwischen schlicht zahlenmäßig überlegen sind.

Und gleichzeitig schwindet der Rückhalt des Verbündeten: Die Liberaldemokraten liegen in den Umfragen gegenwärtig bei zehn Prozent, was ihnen 24 Mandate einbringen würde. Bei der letzten Wahl hatten sie noch 57 Sitze errungen. Die Partei von Nick Clegg hat an Glaubwürdigkeit verloren, seit sie unter anderem einer Verdreifachung der Studiengebühren zugestimmt hat, obwohl Clegg im Vorfeld Widerstand gegen jede Erhöhung angekündigt hatte.

In der Zwischenzeit hat die Schottische Nationalpartei der Labour Party deren traditionelles Kernland streitig gemacht und bringt es dort auf nunmehr 50 Sitze. Die SNP könnte somit zum entscheidenden Machtfaktor in Westminster werden - mit ihrer Weigerung, gemeinsame Sache mit den Konservativen zu machen.

Jede Form der Zusammenarbeit mit den Nationalisten am rechten Rand hat die Labour Party bislang ausgeschlossen. Die rechtsgerichtete UK Independence Party (UKIP) kommt den Umfragen zufolge landesweit auf zwölf Prozent. Am Ende dürfte es unwahrscheinlich sein, dass die UKIP mehr als eine Handvoll Sitze im Parlament erreicht - erst recht nach den eher übellaunigen Auftritten von Parteichef Nigel Farage in verschiedenen Fernsehdebatten.

Nigel Farage UKIP Parteichef 13.10.2014 London
Nigel Farage, der UKIP-ChefBild: Getty Images/Carl Court

Nick Clegg kündigte an, dass seine Liberaldemokraten zunächst Gespräche mit der Partei führen werden, die die meisten Stimmen auf sich vereint. Jede von einer Minderheit geführte Koalition hätte zugleich ein Vertrauensproblem, so Clegg.

"Kommt, sprecht mit uns"

"Das ist ein Prinzip, das nur er erfunden hat", kommentiert das der Analyst Hazell. Es gebe keine Regel in der britischen Verfassung, die hier Vorgaben liefere. Niemand bestimmt, wer den ersten Schritt zu machen habe. So sei auch denkbar, dass alle Parteien zur gleichen Zeit miteinander redeten. Und auch, dass sowohl Cameron als auch Oppositionsführer Ed Miliband zur gleichen Zeit die Fahne hissten und die kleineren Parteien umgarnten: "Kommt und sprecht mit uns."

Die Boulevardpresse in Großbritannien und die Tories haben in den letzten Wochen des Wahlkampfs einige Mühe darauf verwandt, eine mögliche Regierung zu diskreditieren, deren wichtigster Koalitionspartner eben nicht über die meisten Stimmen verfügt. Eine solche Koalition sei geradezu illegitim. Ein Standpunkt, der laut Hazell "vollständig unsinnig ist, sowohl historisch gesehen als auch in Bezug auf unsere Verfassung".

Ed Miliband Labour Party
Ist seine Zeit gekommen? Oppositionsführer Ed MilibandBild: Reuters/C. McNaughton

Und so ist es schlicht unvorhersehbar, was nach den Wahlen am Donnerstag geschehen wird - und wer in einigen Wochen der neue Bewohner von Number 10 Downing Street sein wird. Diese Ungewissheit, sagt Hazell, könnte für das politische System Großbritanniens "die neue Normalität" werden.