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Präsenz zeigen

Das Interview führte Steffen Leidel 7. März 2007

Der ehemalige chilenische Präsident, Ricardo Lagos, erklärt im DW-WORLD-Interview, warum US-Präsident Bush in Lateinamerika Präsenz zeigen will und warum ein gesamtamerikanisches Freihandelsabkommen nicht funktioniert.

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Ricardo Lagos
Ricardo LagosBild: AP

DW-WORLD.DE: Präsident Bush reist für sechs Tage nach Lateinamerika. In fast allen Ländern wird gegen ihn protestiert werden. Laut der Zeitschrift Time hat Bush in Lateinamerika den schlechtesten Ruf von allen Staats- und Regierungschefs weltweit. Inwiefern ist er selbst für das negative Image verantwortlich?

Ricardo Lagos: Das hat vor allem mit der Wahrnehmung zu tun, die hier in der Region bezüglich der Außenpolitik von Bush im Nahen Osten, speziell im Irak und Afghanistan, vorherrscht. Die internationale Unterstützung für Bush war nach dem 11. September sehr groß. Das amerikanische Volk durchlebte einen seiner schwersten Momente. Das Verständnis für die US-Regierung schwand jedoch mit der Art und Weise des Kampfes gegen den Terrorismus. Was den Irak angeht, hat Bush außerhalb des UN-Systems gehandelt. Mir hat jemand damals gesagt: 'Vielleicht werden sie den Krieg gewinnen, aber sie werden den Frieden verlieren.' Vier Jahre danach hat er nun die Rechnung dafür bekommen. Diese Wahrnehmung gibt es aber nicht nur in Lateinamerika, sondern auch an anderen Orten der Welt.

Die Bush-Administration hat die Region auch vernachlässigt. Es ist erst der zweite Besuch von Bush in Lateinamerika…

Ich habe mit Bush vor den Anschlägen gesprochen. Mein Eindruck war, dass er dieser Region besonders viel Aufmerksamkeit schenken wollte. Aber nach dem 11. September wurde die gesamte internationale Agenda von den Terroranschlägen bestimmt. Seitdem verschwand Lateinamerika vom Schirm des Weißen Hauses. Es stimmt jedoch auch, dass Bush sich mit Hilfe eines gesamtamerikanischen Freihandelsvertrages an die Region annähern wollte. Der Fehler bestand darin, zu denken, man könne ein Abkommen, das nicht die Unterschiede der verschiedenen Länder berücksichtigt, verabschieden. Das ist jedoch so gut wie unmöglich. Ein Freihandelsabkommen mit einem Land wie Brasilien, mit einem so großen Markt, muss ganz anders sein, als ein Abkommen mit einem der kleinen Karibikstaaten, die insgesamt gerade einmal 15 Millionen Einwohner zählen. Es gab kein angemessenes Verständnis der Handelsphänomene in Lateinamerika.

Kurz vor der Reise hat Bush ein Millionen Dollar schweres Hilfsprogramm im Kampf gegen soziales Elend in Lateinamerika angekündigt. Zu den Initiativen Washingtons gehören beispielsweise Bildungsprogramme und Hilfen für Kleinunternehmer. Ist das nun Ausdruck eines schlechten Gewissens oder will Bush etwa in Konkurrenz zu den Sozialprogrammen eines Hugo Chávez treten?

Hilfsprogramme sind grundsätzlich etwas Gutes. Quantitativ muss man es jedoch im richtigen Verhältnis sehen. Für das, was heute Lateinamerika ist, ist es etwas ziemlich bescheidenes. Man muss unterscheiden: Es gibt in Lateinamerika Länder, die brauchen keine Hilfeleistung. Argentinien, Chile oder Brasilien, für sie ist es viel wichtiger, was die Handelsgespräche bringen werden. Viele Länder sagen: We want trade, not aid. Wir wollen vor allem Wettbewerb mit gleichen Bedingungen für alle. Die Subventionen für die Landwirtschaft, die in Europa oder USA gezahlt werden, sind für uns ein entscheidendes Thema.

Für besonders viel Wirbel sorgt mit seinen Äußerungen wieder einmal einer der größten Gegner von George W. Bush: der venezolanische Präsident Hugo Chávez. Muss der US-Präsident sich angesichts des Antiamerikanismus von Chávez Sorgen machen?

Zunächst einmal muss man feststellen: Chávez ist in einer ganz anderen Situation als die Mehrheit der Präsidenten in Lateinamerika. In diesen Länder muss erst einmal investiert werden, um Reichtum zu schaffen und danach muss eine Politik gemacht werden, die diesen Reichtum jenen zu Gute kommen lässt, die ihn am meisten brauchen. Chávez hat das Glück, dass er bereits Reichtum hat, dank des Erdöls. Für ihn geht es eher darum, den Reichtum zu verteilen. Ich will hier nicht vereinfachen. Aber ein Teil der Außenpolitik von Chavez hat mit seinen Ölvorräten zu tun, die einigen Ländern in Zentralamerika und in der Karibik zu Gute kommen. Chávez ist hier im Vergleich zu den USA wichtig. Es gibt andere Akteure in der Region, die immer wichtiger werden. China spielt eine immer wichtigere Rolle. Mit der Reise will Bush Präsenz zeigen und klar machen, dass die USA weiter Interesse an der Region hat.

Politische Beobachter sagen, Bush versuche mit dieser Reise Venezuela zu isolieren.

Das macht doch keinen Sinn. In der globalisierten Welt ist es schwierig jemanden zu isolieren. Chávez bezieht nun einmal 80 Prozent seiner Einnahmen aus dem Verkauf von Erdöl an die USA. Man muss verstehen, dass in Lateinamerika die Politiken unterschiedlich sind, eben weil es unterschiedliche Realitäten gibt.

Ist Chávez gefährlich für die Region, er schlägt ja gerne radikale Töne an?

Diesen Radikalismus kann Chávez vielleicht nach innen, in Venezuela, anwenden, nach draußen macht er keinen Sinn. Macht dieser radikale Diskurs Sinn hier in Chile? Nein. Wir haben die Sachen eben anders gemacht. Jedes Land hat seine eigene Realität. Die Etappe, in der es ein Patentrezept für alle gibt, ist vorbei. Chile hat eine sehr offene Wirtschaft. Unsere Handelsbeziehungen sind eben anders als die von Ländern mit einer eher geschlossenen Wirtschaft. Chávez macht eben das, was er für Venezuela für richtig hält. Ich werde mich da nicht einmischen.

Die Vision eines vereinten Lateinamerika ist also utopisch?

Es gibt einen gewissen Fortschritt, was die Integration angeht. Ich glaube, wir kommen schneller voran, wenn wir die Rolle jedes einzelnen akzeptieren. In Europa war Deutschland zusammen mit Frankreich lange Zeit der Motor. Sie konnten viel schneller voranschreiten, als andere Länder wie Großbritannien. Doch auch sie sagen nicht: eine Taille, eine Politik für alle! Es gibt durchaus noch Unterschiede. Die Region als ein Ganzes anzusehen ist ein großer Fehler. Jedes Land hat seine eigene Realität. Wissen Sie, warum es für die Karibikstaaten so problematisch ist, ein Freihandelsabkommen mit den USA abzuschließen? Deren wichtigsten Steuereinahmen sind die Zölle. Wenn Sie nun die Zölle senken, um Freihandel zu betreiben, wo holen Sie sich die Einnahmen her? Sie müssen neue Steuern erheben. Hier geht es nicht darum, die nationale Industrie zu schützen. Die gibt es gar nicht.

Eine wichtige Station auf der Bush-Reise ist Brasilien. Dort will Bush über die Gewinnung von Treibstoff aus nachwachsenden Rohstoffen sprechen. Beide Länder produzieren ja zusammen mehr als 70 Prozent des weltweit erzeugten Biokraftstoffs. Soll hier ein Zukunftsmarkt erschlossen werden, und will man so damit die Abhängigkeit vom venezolanischen Öl reduzieren?

Es geht hier darum, von der Erfahrung Brasiliens zu profitieren. Brasilien ist, was Biokraftstoffe angeht schon seit Jahren ganz vorne. Sicher, dafür braucht man riesige Flächen, nicht jedes Land ist dafür geeignet. Aber es geht hier vor allem darum, von fossilen Kraftstoffen unabhängiger zu werden, saubere Kraftstoffe zu produzieren. Hier geht es um die Zukunft und nicht darum, Chávez ein Signal zu senden.

Der 69-jährige Sozialist Ricardo Lagos war zwischen 2000 und 2006 Präsident von Chile. Lagos war einst ein glühender Anhänger der kubanischen Revolution. Während seiner Regierungszeit propagierte er einen moderaten Sozialismus, der in seiner Ausprägung der europäischen Sozialdemokratie nahesteht. Lagos ist Parteifreund und politischer Ziehvater der neuen Präsidentin Chiles, Michelle Bachelet. Heute ist Lagos Präsident des Club von Madrid. Der Vereinigung gehören 68 ehemalige Staats- und Regierungschefs an.