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"Es war ein schreckliches Gemetzel"

Birgit Goertz16. Oktober 2013

Sabine Ebert ist eine erfolgreiche Autorin historischer Romane. Doch ihr neues Buch "1813. Kriegsfeuer" über die Zeit der Leipziger Völkerschlacht ist anders. Im DW-Interview spricht sie über ihre akribische Recherche.

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In einer historischen Gefechtsdarstellung schießen am 20.10.2012 in Markkleeberg (Sachsen) Teilnehmer in Uniform. (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Eine junge Frau auf der Flucht, ein waghalsiger General, eine Mutter, die verzweifelt auf die Rückkehr ihrer Söhne hofft. Die Figuren in Sabine Eberts Roman hat es wirklich gegeben. Drei Jahre hat die Autorin Quellen studiert, Tagebücher gelesen, sogar ihren Wohnsitz nach Leipzig verlegt, weil sie ein authentisches Bild der Völkerschlacht und ihrer Zeit zeichnen wollte. Dabei räumt Sabine Ebert mit vielen Mythen und Legenden auf, die um das Ereignis im Oktober vor 200 Jahren ranken.

Deutsche Welle: Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen werden die Kriege gegen das napoleonische Frankreich als Befreiungskriege oder Freiheitskriege betrachtet. Es wird unterstellt, dass die Untertanen nicht nur für die Befreiung ihres Landes von der Fremdherrschaft in den Krieg zogen, sondern auch für ihre bürgerliche Freiheit. Das aber ist ein historisches Missverständnis.

Sabine Ebert: In der Geschichtsbetrachtung, im Bewusstsein vieler Menschen ist es gängig, diese Zeit zu betrachten als Befreiungskriege, als Ära der Erhebung des Volkes gegen die Besatzer, in der das Volk für Reformen und den Fortschritt kämpfte. Das war von den Herrschern nicht geplant . Sie hatten am Ende das Sagen. Ihnen ging es um die Eroberung von Land, die Wahrung ihrer Interessen und die Mehrung von Macht.

Die nachfolgenden Generationen verklärten die Völkerschlacht zum "Befreiungskrieg", Männer in den Straßen Breslaus jubeln über die Erklärung des preußischen Königs "An mein Volk",Aquarell von Richard Knoetel (1857-1914) (Rechte: picture-alliance/akg-images)
Die nachfolgenden Generationen verklärten die Völkerschlacht zum "Befreiungskrieg"Bild: picture-alliance/akg-images

Ihr neuer Roman orientiert sich weitgehend an historischen Quellen.

Neunzig Prozent meiner Figuren haben tatsächlich gelebt. Ich habe ganz akribisch die Tagebücher und Lebensläufe studiert und folge den Abläufen Tag für Tag, Stunde für Stunde. Da habe ich größte Sorgfalt verwendet und nichts umgebogen, weil es gerade nicht in mein Konzept passt.

Warum war ihnen das so wichtig, auf historische Personen zurückzugreifen? Schließlich schränkt es die dramaturgische Freiheit stark ein.

Ja, das beschränkt sehr und war auch sehr ungewohnt zu schreiben. Das war ein Experiment, etwas, was wahrscheinlich auch noch niemand so gemacht hat, aber es war mir wichtig für die Glaubwürdigkeit des Buches.

Zu welchen Schlüssen kommen Sie in Ihren Recherchen?

Es gibt so viele Mythen und Legenden, die um diese Zeit ranken. Vor allem die Glorifizierung muss heraus aus dem Thema, das Pathos. Es war ein schreckliches Gemetzel. Das muss einmal klar gesagt werden. Was die historischen Figuren angeht: Man hat vielen ein Denkmal gesetzt, an deren Denkmal man auch einmal kratzen muss. Viele der hehren Helden, die uns serviert werden, haben bedenkenlos Tausende in den Tod geschickt.

Napoleon erfährt zum Teil in Deutschland noch große Bewunderung. Was alle wissen: Er war ein genialer Feldherr, der größte seiner Zeit. Er hatte viele moderne Gedanken, die Europa heute noch prägen. Die einheitlichen Maße, der Code Civil - das sind große Errungenschaften. Auf der anderen Seite ist Napoleon derjenige, von dem der Satz stammt: "Ein Mann wie ich scheißt auf das Leben von einer Million Soldaten." Er hat Hunderttausende in den Tod geschickt, viele davon blutjunge Männer.

Das Cover zu Sabine Eberts Buch "1813. Kriegsfeuer" (Foto: Knaur Verlag)
Das Cover zu Sabine Eberts BuchBild: Knaur

Die Leipziger haben die Schlacht hautnah miterlebt. Seit dem Frühjahr 1813 waren Schlachten in der Region im Gange. In der Stadt waren Notlazarette eingerichtet worden und nach der Schlacht blieben Leichenberge liegen. Die Seuchengefahr war entsprechend groß. Wie muss man sich das vorstellen?

Das trifft auf fast alle Städte Sachsens zu. Seit Anfang des Jahres 1813, als die Überreste der Grande Armée aus Russland zurück kam – krank, ausgehungert, ohne richtige Kleidung, verwundet – brachten sie den Typhus mit. Damals war eigentlich ganz Sachsen ein Lazarett. In allen Städten wurden seit dem Frühjahr Kirchen zu Lazaretten umgewidmet, auch öffentliche Gebäude. Das steigerte sich im Verlauf des Jahres zur unerträglichen Belastung. Von allen Schlachten kamen weitere Verwundete. Aber am schlimmsten war der Typhus, davon war auch die Zivilbevölkerung betroffen, die Ärzte waren davon betroffen. Man hatte dem kaum etwas entgegen zu setzen.

Wenn man in den Oktobertagen von mehr als 500.000 Kombattanten spricht, dann bedeutet das: Alle Dörfer um Leipzig waren besetzt, die letzten Vorräte waren geplündert. Es war kalt, es gab nicht genug zu essen, nicht genug zu heizen. Es wurde nicht nur das Vieh abgeschlachtet und in jedem Privathaus wurden Soldaten einquartiert, sondern die frierenden Soldaten haben die Häuser zerlegt, die Dächer abgerissen, die Türen, Fensterrahmen, die Möbel verbrannt, um sich wenigstens am Feuer wärmen zu können. Dann kam es zu den Kampfhandlungen. Viele aus den Dörfern flüchteten nach Leipzig, Tausende von Verwundeten kamen hinzu. Die Stadt war völlig überfüllt.

Wie präsent ist die Schlacht heute vor Ort?

Die Schlacht ist enorm präsent. Das ist ja auch klar. Es ist ein dramatisches Ereignis in der Stadtgeschichte, abgesehen davon hat es auch eine europäische Bedeutung. Es gibt sehr viele Leute, die in ihrer Freizeit dazu forschen, alte Augenzeugenberichte transkribieren und zugänglich machen. Dann gibt es die Aktiven im Reenactment, das sind diejenigen, die historische Szenen nachstellen, die experimentelle Archäologie betreiben und versuchen, dieses Stück Geschichte auch für das Publikum nacherlebbar zu machen. Sie stellen Biwak-Szenen, so hießen damals die Feldlager, und auch historische Gefechtsszenen nach, damit die Leute auch einen Eindruck bekommen, wie es damals zuging. Das ist Vermittlung von lebendiger Geschichte und ein guter Weg, Menschen zu interessieren, die kein Fachbuch in die Hand nehmen würden.

Sabine Ebert (Foto imago)
Sabine EbertBild: imago/Stefan Noebel-Heise

Aus Ihrer Sicht: Welchen Bezug hat die Schlacht zur europäischen Gegenwart?

Es ist ein Ereignis, das die Weichen gestellt hat für vieles, was wir heute haben in Europa. Das beginnt mit der politischen Karte Europas. Wir müssen jetzt von der Völkerschlacht weiterdenken zum Wiener Kongress, wo die politische Karte umstrukturiert wurde und in etwa das Europa herauskommt, das wir heute haben.

Das Pathos früherer Darstellungen jener Zeit gehört nicht hierhin. Es war ein furchtbares Sterben für unzählige Menschen, es sind ganze Landstriche verwüstet worden für Herrscherinteressen. Daran muss man erinnern, das muss man erklären. Aber es muss auch nach vorne geschaut werden. Ein Stück Versöhnung symbolisieren. Genau das passiert auf den Biwaks.

Es sind sozusagen die Ahnen derjenigen, die sich einst feindselig gegenüber standen, die heute gemeinsam historische Szenen nachstellen.

Sie alle sitzen jetzt friedlich beieinander und pflegen Freundschaften. Das ist für mich ein starkes Symbol, ein Signal, das Leipzig aussendet.

Zum Weiterlesen:
Sabine Ebert: Kriegsfeuer. 1813, München 2013.