Eurovision Song Contest 2011
16. Mai 2011Wie war das doch früher beim Eurovision Song Contest? Die Lieder, die in diesem europaweiten Wettbewerb gegeneinander antraten, folgten ihrer eigenen Ästhetik. Melodien, die möglichst viele Generationen ansprechen sollten, trafen auf Texte, die man über alle Sprachgrenzen hinweg mitsingen konnte.
Gefragt war die große Geste, das paneuropäische Pathos, die Hymne von Liebe und Frieden. Die Songs, die hier gewannen, hatten mit aktuellen Trends in der Popmusik nichts am Hut. Viele der Siegertitel konnten sich in den Charts nicht bewähren. Dennoch entstand um den Wettbewerb eine Art fanatische Subkultur, die das Peinliche, das Pompöse und das Kitschige nach dem Motto "schlecht, aber gut" feierte.
Doch allmählich verließ der ESC seine musikalische Parallelwelt und bot im Wettbewerb einen Blick auf die Vielfalt europäischer Popmusik. Die Teilnehmerländer wurden mutiger. Sie suchten nicht mehr den Konsens und einige gingen sogar richtiggehend musikalische Wagnisse ein. Dass man inzwischen immer wieder auch Überraschungen erleben darf, macht den ESC spannend und auch musikalisch interessant.
Balkanbläser, Bar Jazz und griechischer Rap
Sicher, unter den 43 Teilnehmern des Jahres 2011 waren auch dieses Jahr wieder einige herzzerreißende Schnulzen, aber eben auch so originelle Beiträge wie die griechische Fusion aus Rap und folkloristischem Pop oder die herrliche Dreistigkeit, mit der die Band Zdob si Zdub aus Moldau Balkanbläser mit HipHop à la Beasty Boys paarte. Und man höre und staune: Der Jazzpianist Raphael Gualazzi aus Italien belegte mit einer originellen Swing-Nummer Platz 2.
Geschlagen wurde er nur noch vom Duo Ell & Nikki aus Aserbaidschan mit dem Lied "Running Scared". Dieser Song bestätigte einen weiteren Trend der letzten Jahre: Popsongs mit internationalem Format sind gefragter denn je beim europäischen Publikum. Der Eurovision Song Contest ist damit endgültig auf der musikalischen Höhe der Zeit angekommen, und nicht zuletzt das macht ihn zum größten Liederwettbewerb der Welt.
Düsseldorf: 12 points
Dass Lena mit ihrem Sieg vom letzten Jahr den Wettbewerb nach Deutschland geholt hat, gab den Organisatoren hierzulande die Möglichkeit, den immerhin 120 Millionen Zuschauern eine wahrhaftige Jahrhundertshow zu präsentieren. Und die Veranstalter, vor allem der NDR in Hamburg, haben nicht zuviel versprochen. Abgesehen von einer kleinen technischen Panne im ersten Halbfinale konnte der ESC durch Perfektion und Originalität beeindrucken.
Der Sound im Stadion, im Radio und im TV war optimal, die 1000 Quadratmeter große LED-Wand gigantisch und die Moderation von Judith Rakers, Anke Engelke und Stefan Raab ohne Fehl und Tadel. Auch das handwerkliche Niveau der Künstler ist in den letzten zehn Jahren enorm gestiegen. Falsch gesungen oder gespielt wird hier kaum noch, und selbst die schwächeren Kompositionen des Wettbewerbs bieten immer noch gutes Entertainment.
Immerhin Platz 10
Als Produzent Stefan Raab und der NDR im letzten Jahr bekannt gaben, dass Lena in Düsseldorf den Titel verteidigen solle, stieß das nicht gerade auf mediale Gegenliebe. Noch einmal antreten, das wird peinlich, hieß es etwa, jetzt drehen sie endgültig durch. Oder: Die kann doch gar nicht singen.
Ob man in Lenas Umfeld, oder ob sie gar selbst mit einem erneuten Platz 1 auch nur im Entferntesten gerechnet hat, weiß natürlich niemand. Sicher ist nur: Lena hat beim ESC 2011 gezeigt, dass sie ihren Song "Taken by a Stranger" optimal performen kann. Eine Tatsache, die man nach ihren teilweise doch eher mittelmäßigen Auftritten bei der deutschen Vorauswahl nicht erwartet hatte. Gönnen wir Lena also jetzt ein wenig Ruhe, und es muss ja nicht 27 Jahre dauern, bis Deutschland mal wieder den Eurovision Song Contest gewinnt.
Autor: Matthias Klaus
Redaktion: Suzanne Cords