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Essen ohne Gentechnik - eine Illusion

Rayna Breuer12. Juni 2012

Die EU-Kommission will mehr Gentechnik in Lebensmitteln zulassen. Bundesagrarministerin Aigner stellt sich quer und wirbt für "Null-Toleranz". Dabei sind Lebensmittel ohne gentechnische Eingriffe längst Mangelware.

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Eine Mitarbeiterin arbeitet in einem Labor am Institut für Pflanzenforschung Agroscience in Neustadt an der Weinstraße am Umsetzen von Transgenen Rapspflanzen (Foto: Ronald Wittek dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Als der Augustinermönch Gregor Johann Mendel vor knapp 150 Jahren eine gelbe und eine grüne Erbse kreuzte, konnte er sich bestimmt nicht ausmalen, welche Konsequenzen dieses Experiment haben würde. Es war der Startschuss für einen neuen Wissenschaftszweig: die Gentechnologie, die heute mehr denn je polarisiert.

Jüngster Stein des Anstoßes für Wirtschaft, Politik und Verbraucher ist die sogenannte Null-Toleranz-Regel. Die will die EU-Kommission lockern. Bislang ist es verboten, Lebensmittel mit nichtzugelassenen gentechnisch veränderten Organismen (GVO) zu verunreinigen. Künftig soll das in gewissem Rahmen erlaubt sein - die Rede ist von bis zu 0,1 Prozent. Der deutschen Verbraucherministerin Ilse Aigner geht der EU-Vorschlag zu weit: "Wenn es sich letztendlich um nicht zugelassene GVO handelt, muss Sicherheit die oberste Priorität gerade bei Lebensmitteln haben", betonte Aigner in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. Die Verbraucher hat sie damit eindeutig auf ihrer Seite. Aber wie sehr gefährden genmanipulierte Produkte unsere Gesundheit? Und essen wir sie nicht schon längst, ohne es zu wissen?

Mit Vorsicht zu genießen

Die Debatte über die Null-Toleranz-Regel für Lebensmittel unterschlägt, dass viele Lebensmittel schon lange nicht mehr frei von Gentechnik sind. Seit etwa zehn Jahren sind Organismen mit manipuliertem Erbgut in Deutschland erlaubt - vorausgesetzt, sie sind in der EU zugelassen. Dass der Verbraucher oft im Dunkeln tappt, liegt daran, dass die entsprechenden Zutaten nicht gekennzeichnet werden müssen: "Bei zugelassenen GVO haben wir keine Null-Toleranz-Regel. Die Gesetzgeber haben beschlossen, dass GVO, die auf ihre Sicherheit geprüft sind, bis zu einem gewissen Grad in Produkten vorhanden sein dürfen", sagt Alexander Hissting vom Verband Lebensmittel ohne Gentechnik. Konkret erlaubt sind 0,9 Prozent. Erst ab diesem Grad Verunreinigung muss die Ware gekennzeichnet werden.

Porträtbild Alexander Hissting (Sprecher des VLOG) vom Verband Lebensmittel ohne Gentechnik. (Foto: Pressebild: Verband Lebensmittel ohne Gentechnik e.V. )
Alexander Hissting vom Verband Lebensmittel ohne GentechnikBild: VLOG

Ein weiteres Schlupfloch sind Futtermittel: Seit einem Jahr dürfen sie auch nichtzugelassene genmanipulierte Substanzen enthalten. Sprich: Eine Kuh kann mit GVO ernährt werden, auf der Milchverpackung muss das allerdings nicht gekennzeichnet sein. So können die misstrauisch beäugten Substanzen auch auf unseren Speiseplan landen. Die meisten Verunreinigungen der Nahrung entstehen aber beim Transport oder bei der Verarbeitung der Produkte, wenn etwa landwirtschaftliche Maschinen oder Container sowohl für konventionelle als auch für gentechnisch veränderte Produkte verwendet werden.

Keine Hundert-Prozent-Garantie

"100 Prozent gentechnikfreie Produkte kann man nicht mehr garantieren", erklärt Marcus Girnau vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde. Selbst in Waren mit dem Vermerk "Ohne Gentechnik" oder in Bioprodukten könnten Genmanipulationen versteckt sein. "Durch die unterschiedlichen Zulassungsbedingungen in anderen Teilen der Welt, über den internationalen Warenhandel und die Analysemechanismen, die heutzutage angewendet werden, ist es nicht ausgeschlossen, dass kleinste Spuren auch nicht zugelassener Mittel in den Produkten mitgeführt werden", sagt Girnau.

Dr. Marcus Girnau, Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. Pressefoto: Sekretariat Dr. Marcus Girnau Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V. (BLL) German Federation for Food Law and Food Science Haus der Land und Ernährungswirtschaft Claire-Waldoff-Straße 7 10117 Berlin
Marcus Girnau vom Bund für Lebensmittelrecht und LebensmittelkundeBild: BLL/Marcus Girnau

Risiko Ungewissheit

Das Misstrauen gegenüber der Gentechnik bleibt groß. Welche Folgen der Verzehr gentechnisch manipulierter Produkte hat, ist allerdings nicht lückenlos nachgewiesen. "Das ist noch wissenschaftliches Neuland. Es fehlt zum Beispiel Grundlagenforschung, um genveränderte Pflanzen in den tierischen Produkten nachzuweisen. Ob man das überhaupt erforschen kann, darüber streiten sich die Wissenschaftler", sagt Gentechnik-Gegner Alexander Hissting.

Bundesweit einziges Genkartoffelfeld wird abgeerntet. Ein Mann hält mit Schutzhandschuhen am Mittwoch (29.09.2010) auf dem bundesweit einzigen kommerziellen Genkartoffel-Feld bei Zepkow in Mecklenburg-Vorpommern einige der geernteten Kartoffeln in den Händen. (Foto: Jens Büttner)
Der Anbau von genmanipultierten Pflanzen ist in Europa zurückgegangenBild: picture-alliance/ZB

Klarer ist es bei GVO für Lebensmittel, die in der EU zugelassen sind. Die werden erst einmal geprüft. Das gewährleistet, dass keine gesundheitsgefährdeten Produkte in die Supermarktregale kommen. Und dennoch, beharrt Hissting, verberge sich hinter jeder gentechnisch veränderten Pflanze ein Risiko. Denn "durch die gentechnischen Veränderungen werden auch andere Eigenschaften mitverändert". So könnten Eiweiße beeinflusst werden und Allergien verursachen. Sollte die geltende Null-Toleranz-Regel gelockert werden, warnt Hissting, würden auch mehr Lebensmittel mit nichtzugelassenen gentechnisch veränderten Pflanzen verunreinigt - und mehr Lebensmittelskandale verursachen.