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EU-Beitrittskandidat Georgien will Anti-LGBTQ+-Gesetze

Maria Katamadze
31. März 2024

Die Regierungspartei in Georgien will die Rechte der LGBTQ+-Community massiv einschränken. Das verstößt gegen Menschenrechte und gegen die Regeln der Europäischen Union. Es spaltet das Land vor den Parlamentswahlen.

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Georgien, Tiflis, Ausschreitungen vor Pride-Parade: Zwei Männer verbrennen eine Regenbogenfahne oder Plakat
Die Regenbogenfahne verbrennen: Proteste gegen LGBTQ+ in GeorgienBild: IRAKLI GEDENIDZE/REUTERS

Georgien will Teil der Europäischen Union werden - aber ohne das zu übernehmen, was Regierungsvertreter LGBTQ+-"Propaganda" und "pseudoliberale Werte" nennen. In der vergangenen Woche hat die Regierungspartei Georgischer Traum einen entsprechenden Verfassungszusatz vorgeschlagen, um "den Wert der Familie und Minderjährige zu schützen".

Nach den Worten von Mamuka Mdinaradze, Mehrheitsführer des Georgischen Traums im Parlament, soll die Verfassungsänderung die Ehe ausschließlich als "Vereinigung eines alleinstehenden genetischen Mannes und einer alleinstehenden genetischen Frau" erlauben. "Falls jemand uns gleichgeschlechtliche Ehen aufzwingen will", so Mdinaradze, "dann werden wir sagen: Das verbietet unsere Verfassung."

Beobachter vermuten, dass die Änderungen erst später im Jahr verabschiedet werden, wahrscheinlich nach den Wahlen im Oktober. Falls sie angenommen werden, beträfen sie nicht nur gleichgeschlechtliche Ehen. Dann wäre auch jede Versammlung mit einem Bezug zu LGBTQ+ gegen das Gesetz. Verboten wären auch alle geschlechtsangleichenden Maßnahmen und Adoptionen durch gleichgeschlechtliche Paare.

LGBTQ+-Rechte als Waffe im Wahlkampf

Kritiker wie Oppositionspolitiker und zivilgesellschaftliche Gruppen verurteilen die Gesetzesinitiative als populistisch. Einige Beobachter glauben, dass die Regierungspartei konservative Einstellungen instrumentalisiert, um bei der Parlamentswahl im Oktober mehr Stimmen zu erringen. Das hat auch Konsequenzen für die Opposition.

"Die Opposition gerät in eine äußerst schwierige Lage. Falls sie für die Rechte von LGBTQ+ eintritt, könnte ihr das bei den Wahlen schaden, denn die georgische Gesellschaft ist ziemlich konservativ", sagt Kornely Kakachia, Professor für Politikwissenschaft und Direktor des Thinktanks Georgian Institute of Politics in der georgischen Hauptstadt Tiflis, der DW.

Menschen stehen vor einem Gebäude mit Säulen, eine Frau hält ein Plakat hoch
"Wer ist als nächstes dran?" Proteste nach queer-feindlichen Angriffen im Juli 2021Bild: Sputnik/dpa/picture alliance

Ob der Georgische Traum die Gesetzesnovelle mit seiner Mehrheit im Parlament durchbringen kann, sei schwer zu beurteilen, meint der Verfassungsrechtler Vakhushti Menabde. "Sie haben nicht genug Abgeordnete, um die Verfassung zu ändern. Aber ich kann nicht ausschließen, dass sie einige Oppositionspolitiker für sich gewinnen." Mit Sorge sieht Menabde vor allem, dass eine solche Verfassungsänderung die georgische Gesellschaft spalten und Konflikte zwischen gesellschaftlichen Gruppen befeuern könnte.

Die Vorschläge aus Tiflis ähneln den Gesetzen, die Moskau jüngst erlassen hat, um LGBTQ+ zu unterdrücken. Kritiker werfen dem seit Februar regierenden Ministerpräsidenten Irakli Kobachidse vor, sein Land an Russland weiter annähern zu wollen.

Georgiens Jugend drängt nach Europa

So wollte Georgien Russland bereits mit einem sogenannten "Ausländische-Agenten"-Gesetz nachahmen. Danach müssen Organisationen, die mehr als 20 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland bekommen, sich als "ausländische Agenten" registrieren lassen. Faktisch, so sagen Menschenrechtsaktivisten, werden solche Gesetze gegen Oppositionsgruppen und zivilgesellschaftliche Initiativen eingesetzt. Nach heftigen und teils gewalttätigen Protesten im vergangenen Jahr hat die Regierung in Tiflis das georgische "Ausländische-Agenten"-Gesetz aufgehoben.

Die jetzt vorgeschlagene Verfassungsänderung in Sachen LGBTQ+ sehen viele Kritiker als eine Neuauflage des "russischen Gesetzes". Denn: "Tatsache ist, dass kein Staat der Welt ein Interesse an antidemokratischen Entwicklungen in Georgien hat - außer Russland", so Paata Zakareishvili, ehemaliger georgischer Minister für Versöhnung und bürgerliche Gleichstellung, im Sender Radio Free Europe/Radio Liberty. "Darum sehe ich das natürlich als ein russisches Gesetz."

Gewalt gegen LGBTQ+ in Georgien

Trotz des Bestrebens, in die Europäische Union aufgenommen zu werden, neigt die georgische Gesellschaft zu konservativen Werten. Die Georgische Orthodoxe Kirche gehört beispielsweise zu den bedeutendsten Institutionen im Land und spielt eine entscheidende Rolle in Politik und Gesellschaft.

Laut einer Umfrage der UN-Frauenrechtskommission im Jahr 2022 finden zwar 56 Prozent der Befragten, dass LGBTQ+-Rechte gewahrt werden müssen. Sie sagen aber auch, dass "Mitglieder der Community ihre Lebensweise nicht anderen aufzwingen" sollten.

Georgien, Tiflis | Anti-LGBTQ+-Demonstration: Polizisten versuchen, voran drängende Menschen zurückzuhalten
Mit Gewalt gegen LGBTQ+-Rechte: Gegendemonstranten gegen die Gay Pride in Tiflis im Juli 2023Bild: Zurab Tsertsvadze/AP/picture alliance

Im Juli 2023 griffen rechtsextreme Gegendemonstranten die Tbilisi Pride an, das LGBTQ+-Festival. Dutzende Menschen wurden verletzt, darunter auch Journalisten. Die Parade musste abgesagt werden. Die Organisatoren der Tbilisi Pride werfen dem Innenministerium und antiwestlichen Gruppierungen vor, koordinierte Angriffe inszeniert zu haben.

EU: Georgien muss Europarecht achten

"Als EU-Beitrittskandidat wird von Georgien erwartet, seine Gesetze mit EU-Recht in Einklang zu bringen", teilte die EU-Delegation in Georgien der DW in einem Statement mit. Die Delegation repräsentiert die EU in Georgien und soll die gegenseitigen Beziehungen stärken. "Das Beitrittskandidatenland muss stabile Institutionen haben, um den Respekt vor den Menschenrechten zu garantieren sowie den Respekt vor und den Schutz von Minderheiten" - das seien die Voraussetzungen für eine EU-Mitgliedschaft.

Im vergangenen Dezember machten die Staats- und Regierungschefs der EU Georgien zum Beitrittskandidaten - der sehnlichst erwartete Startschuss, um Mitglied des Staatenbundes zu werden. Die EU-Kommission legte neun Bedingungen fest, um Georgien näher an die EU zu bringen. Dazu gehören: Die politische Spaltung des Landes angehen, die Menschenrechte besser wahren und äußere Einmischung in die Innenpolitik verhindern. Die jetzt vorgeschlagene Verfassungsänderung scheint mit diesen Bedingungen nicht übereinzustimmen.

Menschen demonstrieren und recken die Fäuste, April 2023
Große Zustimmung: Mehr als 80 Prozent der Georgierinnen und Georgier unterstützen eine EU-Mitgliedschaft ihres LandesBild: Shakh Aivazov/AP/picture alliance

Die Regierung in Tiflis versuche eben, eine Balance zwischen zwei gegensätzlichen Zielen zu finden, meint Kornely Kakachia vom Georgian Institute of Politics. "Um an der Macht zu bleiben, muss die Regierungspartei einerseits auf EU-Kurs bleiben, weil das mehr als 80 Prozent der Georgier unterstützen. Gleichzeitig haben sie schon angefangen, Brüssel ihre Bedingungen zu diktieren: Sie wollen wie Ungarns Regierungschef Viktor Orbán sein." Orbán pflegt gute Beziehungen zu Kreml-Chef Wladimir Putin und hat die EU-Unterstützung für die Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskriegs mehrfach blockiert. "Aber", ergänzt der Politikwissenschaftler Kakachia: "Ungarn ist bereits Mitglied der EU."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.