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Kritik an flächendeckender Überwachung

Nina Haase 11. Januar 2014

Das Europaparlament hat den Bericht zu seinen Ermittlungen im NSA-Überwachungsskandal veröffentlicht. Nicht nur der US-Geheimdienst, auch europäische Firmen und Regierungen kommen darin schlecht weg.

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Projektion eines Textes auf dem Gesicht einer Frau (Foto: REUTERS/Pawel Kopczynski/Files)
Bild: Reuters

Donnerstag Nachmittag, die erste Woche nach den Weihnachtsferien - da ist es kein Wunder, dass die meisten Sitze in Raum JAN 2Q2 im Europäischen Parlament nicht besetzt waren. Aber was Claude Moraes, britisches Mitglied der Fraktion der Sozialisten und Sozialdemokraten (S&D), präsentierte, riss die anwesenden Abgeordneten - und die gesamte EU - mit einem Schlag aus dem Winterschlaf.

Moraes war im Auftrag des Ausschusses für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) gekommen. Er stellte den 52-seitigen Bericht über die Ermittlung des Ausschusses im NSA-Überwachungsskandal und seine Auswirkungen auf europäische Bürger vor. Die erste Fassung des Berichts, über den das Parlament Ende Januar endgültig abstimmt, kritisiert alle Beteiligten: Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten genauso wie in Europa ansässige Firmen.

"Sammeln, speichern, analysieren"

Der Bericht fasst Untersuchungsergebnisse aus den vergangenen sechs Monaten zusammen. Auf Seite 16 heißt es, die jüngsten Enthüllungen von Whistleblowern und Journalisten in den Medien ergäben gemeinsam mit Expertenaussagen während der Ermittlung "überzeugende Beweise für die Existenz weitreichender, komplexer und technisch weit entwickelter Systeme, die von den Geheimdiensten der USA und einiger EU-Staaten entwickelt wurden, um in beispiellosem Ausmaß, unterschiedslos und verdachtsunabhängig die Kommunikations- und Standortdaten sowie weitere Metadaten der Menschen in aller Welt zu sammeln, zu speichern und zu analysieren".

Die Autoren weisen explizit auf den britischen Geheimdienst GCHQ und seine Überwachungsprogramme hin und fügen hinzu, dass wahrscheinlich auch Länder wie Frankreich, Deutschland und Schweden ähnliche Programme haben - wenn auch in geringerem Ausmaß.

Bild von Claude Moraes vor einer EU-Flagge. (Foto: EPA/FRANTZESCO KANGARIS)
Moraes: Privatsphäre ist kein LuxusgutBild: picture-alliance/dpa

Moraes und die anderen Ausschussmitglieder hatten in der zweiten Hälfte von 2013 zu dem Thema unter anderem Insider aus der Technologiebranche, Bürgerrechtler, Juristen, US-amerikanische Politiker, ehemalige Geheimdienstmitarbeiter und Sprecher von Firmen wie Microsoft und Yahoo befragt. Auch der Journalist Glenn Greenwald gab ein Statement ab. Er war der Erste, der seinerzeit die Enthüllungen des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden veröffentlichte.

Antiterrorkampf nur ein Vorwand

Der Kampf gegen den Terrorismus kann laut Berichtsentwurf "niemals als Berechtigung für ungezielte, geheime und manchmal sogar illegale Überwachungsprogramme herhalten." Moraes und seine Kollegen zeigten sich nicht überzeugt, dass die NSA nur den Kampf gegen den Terrorismus im Sinn habe, wie es die USA behaupten. Im Berichtsentwurf schreiben die EU-Politiker von anderen Motiven, zum Beispiel "politische und Wirtschaftsspionage".

Gebäude des EU-Parlaments in Brüssel. (Foto: Markus Böhnisch, DW)
EU-Parlament: Terrorabwehr nur ein Vorwand, um ungestört lauschen zu könnenBild: DW/M. Böhnisch

Einige Abgeordnete wiederholten ihren Aufruf, die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den USA zu unterbrechen. Aber Kilian Froitzhuber vom Blog netzpolitik.org glaubt nicht, dass diese Unterbrechung zustande kommt. Er sagte der DW, er sei froh zu sehen, dass "der Ausschuss im Berichtsentwurf ankündigt, dass das EU-Parlament kein Abkommen unterzeichnen wird, das nicht ausdrücklich die Bürgerrechte der Europäer schützt."

Wird Edward Snowden aussagen?

Der Ausschuss bekundete außerdem Interesse, Edward Snowden selbst zu befragen. Ob das passieren wird, ist aber unklar. Der britische Konservativen-Abgeordnete Timothy Kirkhope und andere bestehen darauf, dass Snowden in einer interaktiven Sitzung und nicht per aufgezeichneter Videobotschaft aussagen müsse. Kirkhope war unter den Mitgliedern des LIBE-Ausschusses, die versucht hatten, Snowden zu diskreditieren. Am Donnerstag bestärkte er in einem Schreiben seine Überzeugung, dass Snowden "Menschleben gefährdet hat".

Für den Grünen-Abgeordneten Jan-Philipp Albrecht ist es dagegen unabdingbar, Snowdens Leistungen als Whistleblower anzuerkennen. Der Amerikaner, dem in Russland Asyl gewährt wurde, sollte nicht länger als Krimineller gesehen werden, so Albrecht im DW-Interview: "Snowden hat das alles ans Licht gebracht. Ich denke, dass nach dieser Ermittlung klar ist, wie riesig dieser Skandal ist, und dass wir niemals davon gehört hätten, wäre Edward Snowden nicht den entscheidenden Schritt gegangen."

Jan Philipp Albrecht. (Photo: imago/teutopress)
Albrecht: Hoffentlich hohe Wahlbeteiligung bei der Europawahl im MaiBild: imago/teutopress

Die Untersuchung des EU-Parlamentsausschusses im Ausspähskandal war die erste ihrer Art mit solch einem Umfang. Kein einzelnes EU-Land hat die Affäre so gründlich durchleuchtet und keine Regierung in Europa hat so ausdrücklich die amerikanische Regierung kritisiert.

Hoffen auf höhere Wahlbeteiligung

Die Liste der politischen Empfehlungen im Berichtsentwurf ist lang: Unter anderem sollen Länder wie Deutschland ihre Gesetze so ändern, dass sie den Grundrechten der Privatsphäre und des Datenschutzes entsprechen. Parlamentarische Kontrollgremien, die Geheimdienstaktivitäten untersuchen, sollen mit besserem Technikwissen ausgestattet werden. Und nicht zuletzt soll die IT-Infrastruktur der EU besser gegen Angriffe geschützt werden, auch wenn das Geld kostet.

EU-Abgeordneter Albrecht ist überzeugt, dass die Untersuchung den Bürgern dabei geholfen hat zu verstehen, wie wichtig europäische Standards für den Schutz ihrer Rechte und ihrer Privatsphäre sind. Er hofft, dass diese Einsicht zu einer höheren Wahlbeteiligung bei der Europawahl im Mai führt. "Ich denke, dass die Leute bei der nächsten Wahl darüber nachdenken, wie das aktuelle EU-Parlament und die Fraktionen daran gearbeitet haben, ihre bürgerlichen Rechte in der EU zu schützen."