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Politik

Rotes Tuch für Osteuropa

Catherine Martens
23. Oktober 2017

Zu welchen Bedingungen dürfen Arbeiter aus Osteuropa in anderen EU-Staaten beschäftigt werden? Der Streit darüber beschäftigt nun auch die Arbeits- und Sozialminister der Europäischen Union.

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Polnischer Bauarbeiter
Bild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Prag und Warschau wollen seit Monaten verhindern, dass auch nur ein Wort im jetzigen Text zur EU-Entsenderichtlinie umgeschrieben wird. Zu groß ist die Angst, Osteuropa könne dadurch wirtschaftlich das Nachsehen haben. Derzeit erlaubt die Entsendung, dass Unternehmen Mitarbeiter zur Arbeit in ein anderes EU-Land schicken dürfen, diese aber gleichzeitig Lohn auf Heimatniveau bekommen. Brüssel sieht hier schon seit längerem Reformbedarf. Stichwort: Wettbewerbsverzerrung. Befeuert durch Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron mit deutscher Rückendeckung liegt der Entwurf in Brüssel jetzt auf dem Tisch .     

Die Neuerung darin ist ein rotes Tuch für Osteuropa: Wer am gleichen Ort arbeitet, sollte dafür auch gleichen Lohn bekommen. Entsandte Arbeitnehmer könnten demnach nicht mehr fundamental schlechter bezahlt werden als die Kollegen im Gastland: Ein polnischer Handwerker, der in Belgien arbeitet, würde laut der Neuauflage nicht mehr nach polnischen Tarifen bezahlt, sondern genauso hoch wie seine belgischen Kollegen. Länder wie Deutschland und allen voran Frankreich argumentieren, nur so könne Lohndumping vermieden werden. Die Osteuropäer allerdings rechnen mit empfindlichen Einbußen heimischer Unternehmen.

Im Osten wird Stimmung gemacht

Die Anspannung darüber ist sogar im fernen Brüssel spürbar: Im Osten wird Stimmung gemacht, im Zweifel, so scheint es, auch fernab der eigentlichen Sachlage. Die EU schafft die Entsenderichtlinie ab, heißt es etwa diese Woche in polnischen Medien. Auf den Fluren der EU-Institutionen staunt man über solche Fake News. Das EU-Parlament könnte sich über so viel neue Macht freuen, wenn es denn nicht grundlegend falsch wäre: Die EU-Entsenderichtlinie kann nicht einfach abgeschafft werden. Im Alleingang durch das EU-Parlament schon gar nicht.    

Aber der Reihe nach: Bislang gibt es lediglich einen Entwurf der EU-Kommission, die ihrerseits von den EU-Mitgliedsstaaten damit beauftragt wurde. Bei der Revision handelt es sich nach Einschätzung von EU-Parlamentariern auch nicht um einen Rachefeldzug aus Paris an billigen osteuropäischen Arbeitskräften. Der konservative Abgeordnete Sven Schulze aus der EVP-Fraktion lässt gegenüber der Deutschen Welle keine Zweifel: "Die Richtlinie stammt aus den 90ern und wir haben seitdem europaweit immer wieder massiven Missbrauch festgestellt. Eine Reform drängte sich auf, da gibt es fraktionsübergreifende Einigkeit."

Abgeschafft wird also nichts, verändert schon. Richtig ist, dass das EU-Parlament dazu am Montag (16.10.2017) inhaltlich seine Position abgestimmt hat. Welche Punkte des Kommissionsvorschlags sieht das EU-Parlament kritisch, wo gibt es inhaltliche Gemeinsamkeiten? Und welches Verhandlungsmandat ergibt sich daraus für das EU-Parlament? Die fraktionsübergreifende Position des EU-Parlaments plädiert im Wesentlichen für eine Dauer von 24 Monaten. Erst dann würde sich der Wechsel vom Heimatlohn zum Lohn des Gastlandes vollziehen. Bei sogenannten Ketten-Entsendungen - mit wechselnden Personen auf demselben Arbeitsplatz, wie oftmals im Pflegebereich oder im Baugewerbe - soll es im Ermessen des Gastlandes liegen, ob jenseits der zwei Jahre die Entsendung verlängert wird oder der Wechsel zum Recht vor Ort wirksam wird. Letzteres ist die Handschrift der EU-Parlamentarier, die sich gegen eine harte Deadline aussprechen.   

Mehr Arbeitnehmerschutz möglich durch Neuerung 

Kernpunkt neben Dauer und Lohn ist die Rechtsgrundlage. Hier setzt sich das EU-Parlament deutlich von der EU-Kommission ab.  Auf Druck des EU-Parlaments hin soll die legale Tragweite verändert werden, um der sozialen Komponente künftig mehr Rechnung zu tragen. Bislang verortet die EU die Entsenderichtlinie ausschließlich im Binnenmarkt. Künftig, so die fraktionsübergreifende Linie, müsse sie auch um den sozialrechtlichen Teil des Primärrechts erweitert werden. Was kompliziert klingt, könnte allen Unkenrufen aus Osteuropa zum Trotz eine attraktive Neuerung sein: Bislang handele es sich lediglich um die "Erbringung von Dienstleistungen", so kommentiert es die EU-Kommission. Ginge es nach dem Willen des EU-Parlaments, würde bald auch der Arbeitnehmerschutz im Gesetzestext verankert werden. Der derzeitigen Unsitte, Ausgaben für Kost und Logis einfach in den Lohn mit einzurechnen, könnte damit ein Riegel vorgeschoben werden.

Im Übrigen, so Vertraute des Ausschusses, sei der jetzige Wettbewerbsvorteil gar nicht so groß: "Ein Bulgare, der in Deutschland entsandt ist, muss schon unter der jetzigen Regel nach deutschem Mindestlohn bezahlt werden."

Die Position des EU-Parlaments, davon gehen auf Nachfrage der DW die Europäischen Abgeordneten aus, werde im Straßburger Plenum nicht mehr angefochten, sondern fraktionsübergreifend gebilligt. Alleine dies zeige schon, so der konservative Sven Schulze, dass Osteuropa nicht außen vor sei: "Im Gegenteil, wir haben alle Regionen mit einbezogen, von Anfang an, dazu haben wir uns vorab weit öfter als üblich mit unseren osteuropäischen Kollegen getroffen."

Die Abstimmung Mitte Oktober habe nicht dazu gedient, der Entsenderichtlinie den Todesstoß zu versetzen. Im Gegenteil, erklärt ein Sprecher des Ausschusses, das Parlament brauche als Vertretung der europäischen Bürger ein starkes Mandat, um damit selbstbewusst in die Verhandlung mit den Mitgliedsstaaten gehen zu können. Nicht zuletzt, um aufmerksam machen zu können auf Bauchschmerzen diverser Mitgliedsstaaten - warum nicht jene der Osteuropäer.