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KonflikteHaiti

EU evakuiert diplomatisches Personal aus Haiti

11. März 2024

Haiti versinkt wegen der Bandengewalt weiter in Anarchie. Während der Regierungschef abgetaucht ist, verlassen westliche Diplomaten die Hauptstadt.

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Brennende Reifen während eines Protestzuges in Port-au-Prince
Brennende Reifen während eines Protestzuges in Port-au-PrinceBild: Odelyn Joseph/AP Photo/picture alliance

Angesichts der Gewalteskalation in Haiti hat die Europäische Union (EU) ihr gesamtes diplomatisches Personal aus dem Karibikstaat evakuiert. Es sei an einen sichereren Ort außerhalb des Landes gebracht worden, sagte ein EU-Sprecher in Brüssel. Er begründete den Schritt mit der "dramatischen Verschlechterung der Sicherheitslage" in Haiti. Die EU sei "äußerst besorgt" über die Entwicklungen der vergangenen Tage in Haiti, sagte der Sprecher in Brüssel weiter. Inzwischen ziehen auch die USA Botschaftspersonal aus Port-au-Prince ab und verstärken die Sicherheit der Botschaft mit zusätzlichen Streitkräften.

Am Sonntag hatte bereits das Auswärtige Amt in Berlin erklärt, dass der deutsche Botschafter und der Ständige Vertreter aus dem Karibikstaat in die Dominikanische Republik ausgereist seien. Ein Sprecher des Amtes begründete dies mit der "sehr zugespitzten und unberechenbaren Sicherheitslage". Er nannte die Lage in Haiti "sehr angespannt", die Zustände seien "furchtbar". Er fügte hinzu: "Es gibt eine Reihe großer gut bewaffneter Banden, die das Staatswesen herausfordern." Die haitianische Regierung habe internationale Schutztruppen in das Land eingeladen, um dabei zu helfen, Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen. Dazu habe sich unter anderem Kenia bereiterklärt, fügte der Sprecher hinzu.

Sicherheitskräfte riegeln einen Straßenzug der Hauptstadt ab
Sicherheitskräfte riegeln einen Straßenzug der Hauptstadt abBild: Odelyn Joseph/AP/picture alliance

Kriminelle Gruppen greifen nach der Macht

Seit Tagen erlebt Haiti eine Welle von Bandengewalt. Bewaffnete Banden, die den größten Teil der Hauptstadt Port-au-Prince sowie Straßen im Rest des Landes kontrollieren, attackieren Polizeistationen, Gefängnisse und Gerichte. Vor rund einer Woche hatten bewaffnete Gruppen das Gefängnis in Port-au-Prince gestürmt und laut Medienberichten fast 3.600 der knapp 3.700 Insassen die Flucht ermöglicht. Weitere Gefangene flohen aus der zweitgrößten Haftanstalt in der Stadt Croix des Bouquets.

Kurz zuvor hatten einige Banden einen Aufstand gegen die Regierung angekündigt. Aufgrund der massiven Verschlechterung der Sicherheitslage rief die Regierung am Sonntag vor einer Woche den Notstand mit nächtlicher Ausgangssperre aus. Die Gewalt in Haiti war eskaliert, als sich der Regierungschef Ariel Henry auf einer Auslandsreise in Kenia befand.

Die bewaffneten Banden im Land fordern den Rücktritt Henrys, der eigentlich Anfang Februar aus dem Amt hätte scheiden sollen. Bislang ist es ihm nicht gelungen, aus Kenia nach Haiti zurückzukehren. Henry hatte sich Ende Februar mit der Opposition darauf verständigt, bis zur Abhaltung von Neuwahlen gemeinsam zu regieren.

Wie die Welt Haiti destabilisiert hat

Die Bandengewalt hat laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) innerhalb einer Woche mindestens 15.000 Personen in der Hauptstadt Port-au-Prince in die Flucht getrieben. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind in Haiti seit Jahresbeginn etwa 1.200 Menschen getötet und knapp 700 verletzt worden. Mehr als 313.000 Menschen seien auf der Flucht. Die staatliche Grundversorgung wie das Gesundheitssystem stünden vor dem Kollaps, Tausende Menschen seien von humanitärer Hilfe abgeschnitten.

Kirche warnt vor Bürgerkrieg

Die Kirche sieht den bitterarmen Karibikstaat bereits am Rand eines Bürgerkrieges. Die Polizeikräfte seien machtlos gegenüber den bewaffneten Banden, die sich zu einer organisierten Armee entwickelt hätten, sagte Erzbischof Max Leroy Mesidor dem internationalen Hilfswerk "Kirche in Not". In einigen Regionen hätten sich bewaffnete Bürgerwehren gebildet, um die Banden zu bekämpfen. "Es besteht die Gefahr, dass ein Bürgerkrieg ausbricht. Es sind viele Waffen in Umlauf", warnte der Erzbischof des Hauptstadtbistums Port-au-Prince und Vorsitzende der nationalen Bischofskonferenz.

Insbesondere in der Hauptstadt sei kein Ort wirklich sicher, so Mesidor. Die Kirche sei eines der Hauptziele der Bandengewalt und weit verbreiteter Entführungen.

Millionen Menschen hungern

Die humanitäre Krise in Haiti hat zuletzt immer größere Ausmaße erreicht. Das Land leidet laut UN-Angaben unter einer noch nie dagewesenen Nahrungsmittelknappheit. Fast die Hälfte der Bevölkerung, etwa 4,9 Millionen Menschen, hat demnach nicht genug zu essen, um gesund zu überleben. Haiti gilt ohnehin als das ärmste Land der westlichen Hemisphäre.

Ein unterernährtes Kind wird in einem Hospital in Port-au-Prince behandelt
Ein unterernährtes Kind wird in einem Hospital in Port-au-Prince behandelt Bild: Ariana Cubillos/AP/picture alliance

Jamaika empfängt an diesem Montag die Staats- und Regierungschefs der Karibischen Gemeinschaft (Caricom), um Möglichkeiten zur Unterstützung Haitis und zur Förderung des politischen Dialogs zu erörtern.

kle/sti (afp, epd, rtr, kna)