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EU-Flüchtlingsquote: Vier gegen alle

Bernd Riegert22. September 2015

Nicht einstimmig wie üblich, sondern gegen den Willen von vier Ländern will die EU Flüchtlinge umverteilen. Ob das funktioniert, war schon kurz nach dem Beschluss fraglich. Aus Brüssel Bernd Riegert.

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Aufnahme eines Flüchtlingslagers in Brüssel (Foto: Riegert/DW)
Mitten in Brüssel, nicht weit von den Innenministern: wildes Flüchtlingslager vor der AsylbehördeBild: DW/B. Riegert

Nur drei Kilometer vom Tagungsgebäude entfernt könnten sich die 28 Innenminister der EU ein hautnahes Bild der Flüchtlingskrise verschaffen. Vor der überlasteten Asylbehörde von Brüssel kampieren bereits seit Wochen rund 800 Flüchtlinge zwischen Hochhäusern in einem kleinen Park. Inzwischen haben sie vom Roten Kreuz Zelte bekommen, es gibt Trinkwasser und einige improvisierte Toiletten. Die Zustände sind nicht ganz so miserabel wie in Griechenland oder Kroatien, aber überraschen jeden Besucher, der in die Hauptstadt Europas kommt.

Doch für Ortbesichtigungen bei den Menschen, über die sie im EU-Ratsgebäude beraten, hatten die Minister keine Zeit. Sie hielt ihr interner Streit um Verteilungsschlüssel in Atmen. Am Ende wurden Tschechien, die Slowakei, Ungarn und Rumänien von der Mehrheit der EU-Staaten überstimmt. Die Verteilung von 120.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien wurde gegen den Willen der vier Staaten durchgesetzt. Finnland enthielt sich der Stimme. Der Vorsitzende des Innenminister-Rates, der Luxemburger Migrationsminister Jean Asselborn, sagte, die EU befände sich in einer Notlage. Deshalb sei eine Entscheidung heute auch gegen den Willen einer Minderheit nötig gewesen. "Wenn wir nichts entschieden hätten, hätte man uns erst recht für uneinig und unglaubwürdig gehalten."

Noch keine echte Quote

Die EU-Kommission hatte verbindliche Quoten für die Verteilung je nach Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl des aufnehmenden Landes vorgeschlagen. Diese Quote wurde jedoch nicht angenommen. Im Abschlusspapier der spannungsgeladenen Sitzung der Innenminister wird nur die absolute Zahl an Menschen genannt, die jeder Staat aufnehmen muss. Deutschland muss zum Beispiel 31.000 Flüchtlinge aufnehmen, Tschechien 3000 und die Slowakei 1500. Jean Asselborn kündigte an, dass sich die EU bald auf eine permanente Quote einigen müsse.

Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere im Gespräch mit seiner österreichischen Amtskollegin Johanna Mikl-Leitner (Foto: AP)
Die österreichische Innenministerin Mikl-Leitner mit ihrem deutschen Amtskollegen de MazièreBild: picture-alliance/AP Photo/Geert Vanden Wijngaert

Slowakei schert aus

Der tschechische Premierminister Bohuslav Sobotka hatte schon vor der Abstimmungsniederlage erklärt, das System werde so nicht funktionieren. Der slowakische Regierungschef Robert Fico erklärte in Bratislava, er werde den Beschluss nicht umsetzen. Die Staaten, die keine oder weniger Flüchtlinge aufnehmen wollen, können sich auf Ausnahmen und besondere Belastungen berufen. Dadurch erhalten sie mehr Zeit, um den Beschluss der Innenminister tatsächlich in die Tat umzusetzen. Der Vorschlag, sich gegen 6500 Euro pro Kopf von der Pflicht zur Aufnahme loszukaufen, wurde verworfen. "Ein Geschäft Geld gegen Flüchtlinge gibt es nicht", sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

Kein Asylstaat nach Wahl

Wie die Verteilung genau funktionieren soll, muss die EU-Kommission jetzt ausarbeiten. Der ungarische Innenminister hatte bezweifelt, dass man Flüchtlinge in Länder schicken kann, in denen sie nicht leben wollen. Soll dann Zwang angewendet werden, wenn die Flüchtlinge sich trotzdem auf den Weg nach Deutschland machen, fragen sich viele EU-Diplomaten. Die meisten syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge geben an, dass sie nach Deutschland oder Schweden wollten. Der deutsche Innenminister legt besonderen Wert darauf, dass "Menschen, die in Europa verteilt werden, sich nicht aussuchen können, in welches Land sie gehen, sondern, dann haben sie in dem Land zu bleiben, in das sie verteilt worden sind. Wir haben heute beschlossen, dass sie unverzüglich zurückgeschickt werden, wenn sie sich nicht daran halten, und zwar in das EU-Land, aus dem sie verteilt wurden."

Viele EU-Staaten sind offenbar heute nicht in der Lage, die Masse der Flüchtlinge überhaupt zu registrieren und Asylanträge entgegenzunehmen. Um zu ermitteln, wer wohin umverteilt werden soll, wäre aber ein Mindestmaß an Erfassung in den hauptsächlichen Ländern der ersten Einreise, also Griechenland und Italien, notwendig. In der vergangenen Woche hatten die EU-Innenminister bereits die Verteilung von 40.000 Flüchtlingen auf freiwilliger Basis beschlossen. Insgesamt stehen also jetzt 160.000 Plätze in den kommenden zwei Jahren zur Verfügung. Diese Zahl löst natürlich das Problem nicht, sagte die Sprecherin des Flüchtlingshilfswerkes der Vereinten Nationen (UNHCR), Melissa Flemming. Bei den derzeitigen Zahlen der ankommenden Flüchtlinge reichen 160.000 Plätze gerade mal für einige Wochen.

Aufnahmezentren gibt es bislang nur auf dem Papier

Voraussetzung für eine bessere Verteilung der Flüchtlinge sind leistungsfähige Aufnahmezentren in Griechenland und Italien. Die schlägt die EU-Kommission schon seit einiger Zeit vor. Die sogenannten "Hot spots" tauchen in vielen Erklärungen der Innenminister und auch des zuständigen EU-Kommissar für Migration, Dimitris Avramopoulos, immer wieder auf. Nach Angaben der EU-Grenzschutzagentur Frontex wurde in Griechenland aber gerade einmal mit planerischen Vorarbeiten begonnen und ein Arbeitskreis mit den zuständigen griechischen Behörden gegründet. Der einzige "Hot spot" existiert auf Sizilien in Catania. Der hatte aber nicht die Aufgabe, Tausende Flüchtlinge zu erfassen und umzuverteilen, sondern diente als Verbindungsbüro verschiedener EU-Agenturen, die italienische Behörden bei Asylverfahren beraten. Der Ratspräsident der EU, der luxemburgische Migrationsminister Jean Asselborn, hat den Mangel nun erstmals öffentlich benannt und gesagt, das müsse man jetzt anpacken.

Porträt Robert Fico (Foto: dpa)
Der slowakischer Premier Fico will nicht mitmachenBild: picture-alliance/dpa

Die Umverteilung von Flüchtlingen funktioniert auch nur dann, wenn die Flüchtlinge und Asylsuchenden die Aufnahmezentren auch wirklich aufsuchen. Wenn sie über die grüne Grenze irgendwo in die EU ungeordnet einreisen, wie das derzeit der Fall ist, ist eine Registrierung schier unmöglich. Deshalb, so die österreichische Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, müssen die Außengrenzen der EU besser geschützt werden. Also, schlussfolgert ein osteuropäischer EU-Diplomat, lag Ungarn mit seinem Grenzzaun zum Nicht-EU-Land Serbien gar nicht so falsch. Solche Zäune an EU-Außengrenzen gibt es im übrigen auch in Griechenland, Bulgarien und Spanien.

Zeltstadt für Flüchtlinge im Brüsseler Bankenviertel (Foto: Riegert/DW)
Zeltstadt für Flüchtlinge im Brüsseler BankenviertelBild: DW/B. Riegert

"Nur ein Baustein, mehr nicht"

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere ist klar, dass es sich bei dem Beschluss zur Umverteilung nur um einen ersten Schritt, einen kleinen Baustein zur Lösung der Flüchtlingskrise handelt. "Es kann nicht nur um die Verteilung von Schutzbedürftigen gehen, sondern wir brauchen grundsätzlichere Lösungen. Dazu gehört der Stopp des Zuzugs, die Begrenzung des Zuzugs nach Europa. Dazu gehört Hilfe für die Länder, in denen Flüchtlingslager sind. Dazu gehört eine enge Kooperation mit der Türkei und eine Rückführung von Personen, die nicht schutzbedürftig sind", sagte de Maiziere in Brüssel.

Eine Begrenzung des Andrangs von Flüchtlingen funktioniert nach Auffassung der EU-Innenminister nur mit einer Bekämpfung der Fluchtursachen in Syrien, Afghanistan und Eritrea. Kriege im Nahen Osten und Diktaturen in Afrika lassen sich aber nicht kurzfristig beseitigen. Deshalb wollen sich die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Krisengipfel am Mittwoch mit den außenpolitischen Aspekten des Flüchtlingsdramas beschäftigen. Sie wollen der Türkei mehr Geld und Unterstützung bei der Versorgung von geschätzten zwei Millionen syrischen Flüchtlingen im Land angedeihen lassen.

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